Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Alte Kunst und neue Technologien

Ausstellungsstreit überschattete Merkels Teilnahme am Petersburger Wirtschaftsforum

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Aus einem glanzvollen Abschluss des Deutschlandjahrs in Russland und des Arbeitsbesuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel in St. Petersburg wäre beinahe nichts geworden – wegen des Streits um Beutekunst.

Unmittelbar vor dem Abflug aus Berlin nach St. Petersburg hatte die russische Seite Begrüßungsworte Merkels und des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Eröffnung der Ausstellung »Bronzezeit« gestrichen. Die Teilnahme beider Politiker wurde zunächst abgesagt. Am Abend ging es aber doch. Vor der Presse sah Putin gar kein »Problem«, Merkel »das Problem als solches gelöst«. Der gemeinsamen Eröffnung stand nach vorhergehenden Turbulenzen nichts mehr im Wege.

Am Projekt »Europa ohne Grenzen« hatten Wissenschaftler beider Länder – darunter des Berliner Museums für Ur- und Frühgeschichte – mehrere Jahre gearbeitet und Kostbarkeiten aus ihren Magazinen beigesteuert. Das Problem: Russland zeigt dabei auch »Beutekunst«: Kriegstrophäen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion verbracht wurden. Darunter der Goldschatz von Eberswalde. Deutschland verlangt seit Jahren die Rückgabe der Kunstschätze, erzielte aber nur Teilerfolge

Während Kirchen und private Sammler sich wieder an ihren Schätzen erfreuen können, sperrt Moskau sich bei staatlichen Museen gegen die Restitution und spricht von Kompensationen für die Verluste, die russischen Museen durch den deutschen Überfall im Juni 1941 entstanden sind.

Nicht nur das »Beutekunstproblem« trübt die deutsch-russischen Beziehungen. Für Verstimmung der jeweils anderen Seite sorgen auch unterschiedliche Positionen zu Syrien und anderen internationalen Problemen. Dazu kommt das Vorgehen der Behörden gegen Repräsentanzen deutscher politischer Stiftungen in Russland, die im Frühjahr durchsucht worden waren.

Mehr oder minder harmonisch sind derzeit nur die Wirtschaftsbeziehungen. Deshalb war Merkel eigentlich auch gekommen. Als Ehrengast des Petersburger Wirtschaftsforums – eine Auszeichnung, die in inzwischen 17 Jahren nur wenigen ausländischen Staatschefs zuteil wurde. Auch hatte Putin noch am Vorabend Merkels Wirtschaftspolitik über den grünen Klee gelobt: Sie reagiere auf die beste Weise auf die ökonomische Situation in der Welt. Vor allem um Wirtschaft ging es daher auch in dem Gespräch, das Merkel und Putin am Rande des Wirtschaftsforums führten. Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Russlands. Das Volumen des gegenseitigen Handelsaustauschs belief sich 2012 auf fast 74 Milliarden US-Dollar, was vor allem mit dem Export von Energie zu tun hat. Deutschland deckt seinen Bedarf an Erdgas inzwischen zu 45 Prozent aus russischen Vorkommen, bei Öl sind es 23 Prozent. Deutsche Unternehmen beteiligen sich mit Investitionen von 1,1 Milliarden Euro an der Erschließung des Gasfeldes Juschnorusskoje in Arktisnähe. Die Vorkommen gehören Gasprom und werden auf bis zu 25 Milliarden Kubikmeter veranschlagt.

Russland ist vor allem an der Intensivierung der Zusammenarbeit im Industriebereich interessiert. Auch, um sich unter günstigen Bedingungen Zugriff auf Hochtechnologien zu verschaffen. Vorrang haben dabei Maschinen- und Fahrzeugbau. VW und BMW lassen Teile der für Russland bestimmten Wagen bereits im Lande montieren. Ebenso Siemens seine Hochgeschwindigkeitszüge. Erst kürzlich beschloss die russische Regierung den Ausbau eines ganzen Netzes von Strecken, auf denen bis zu 400 Stundenkilometer möglich ein sollen. Mit über 6000 Unternehmen mit Beteiligung von deutschem Kapital ist die Bundesrepublik Deutschland auch einer der größten Investoren in Russland. Russland seinerseits hat allein im letzten Jahr rund 4,4 Milliarden Euro in deutsche Unternehmen investiert.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Juni 2013


Knapp vorbei

Von Klaus Joachim Herrmann **

Ein fatales Zeichen wurde in St. Petersburg gerade noch vermieden, größerer Schaden abgewendet, es ging am Eklat knapp vorbei. Die »Bronzezeit«-Ausstellung kam wieder in den Zeitplan. Das war bitter nötig. Wie kaum etwas anderes taugt die »Beutekunst« als Gradmesser der deutsch-russischen Beziehungen. Sie hat höchsten Symbolwert für die Vergangenheit ebenso wie in der Zukunft. Abstand und Nähe lassen sich verdeutlichen, Trennung und Zuwendung, Freude und Ärger.

Die im Gefolge des Zweiten Weltkrieges aus dem geschlagenen Deutschland in die siegreiche Sowjetunion verbrachten Kulturgüter werden von Berlin zurückgefordert. Moskau hält den historisch Schuldigen an Überfall, Mord und Vernichtung unermessliche Verluste entgegen. Der Kreml betrachtet die »Beutekunst« als russisches Gut, die Staatsduma hat das vor Jahren zum Gesetz erhoben. Ausgerechnet in St. Petersburg, das im Krieg Leningrad war, wollte Putin das nicht diskutieren lassen.

Er will das übrigens auch nicht bei seiner »gelenkten Demokratie«, dem Umgang mit der Kanzlerin-nahen Adenauer-Stiftung oder Homosexuellen. Die Turbulenzen um die Ausstellung verweisen nach innen und außen gleichermaßen darauf, dass sich der Mann im Kreml nicht alles gefallen lassen will. Das meint sicher mehr noch die schon demonstrative Isolierung im Syrienkonflikt und die als unredliche Vorführung empfundenen Vorschläge Obamas zur atomaren Abrüstung.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Juni 2013 (Kommentar)


Merkel in St. Petersburg: Hin und her

Nach angeblichem Eklat wieder Gemeinsamkeit mit Putin

Von Arnold Schölzel **


Mit medialem Tamtam reiste Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag morgen zum »Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum«. Eine für den Abend geplante gemeinsame Ausstellungseröffnung mit Rußlands Präsident Wladimir Putin sei abgesagt worden, hieß es offiziell. Deutsche Medien vermeldeten einen Eklat von seiten der russischen Gastgeber. Am Nachmittag kündigte Putin dann doch einen gemeinsamen Ausstellungsbesuch an. Vizeregierungssprecher Georg Streiter hatte am Vormittag angedeutet, worum es tatsächlich ging: Merkel hätte erwähnen wollen, daß Deutschland auf der Rückgabe von Kunstwerken bestehe, die im Zweiten Weltkrieg nach Rußland gelangt seien. Die russische Seite habe eine solche Ansprache mit Verweis auf Zeitknappheit aber nicht zulassen wollen. Streiter behauptete: »Diese Ausstellung und ihr besonderer Hintergrund hätten eine Einordnung durch eine eröffnende Rede erfordert.« Das sei für den Gastgeber leider zeitlich nicht möglich gewesen, »und daraufhin wurde auf diesen Programmpunkt auf russischen Vorschlag verzichtet.«

Die deutsche Seite habe dem nicht zustimmen können: »Eine Eröffnung, die nur daraus bestanden hätte, kurz durch die Ausstellung zu hetzen, wäre dieser besonderen Ausstellung auch nicht angemessen gewesen.« Zusammengefaßt: Weil die Bronzezeitexpertin Merkel keine deutschen Forderungen zum Zweiten Weltkrieg verkünden konnte, sagte sie, nicht Putin, ab. In der Eremitage-Ausstellung »Bronzezeit – Europa ohne Grenzen« sind etwa 1 700 Objekte zu sehen, darunter 600, die seinerzeit in die Sowjetunion gebracht wurden. In einer Erklärung würdigte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, daß mit ihr die »kriegsbedingt verlagerten Objekte« wieder zurückgekehrt seien in den »wissenschaftlichen Kreislauf«.

Merkels Teilnahme am Wirtschaftsforum sah eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Putin, bilaterale Gespräche und eine gemeinsame Pressekonferenz vor. Das alles scheint über die tatsächliche Interessenlage aufgeklärt zu haben.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 22. Juni 2013


Zurück zur Russland-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zurück zur Homepage