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Wer beaufsichtigt künftig Gazprom?

Spekulationen über ein neues Amt für Putin

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Neuer Vorsitzender des Aufsichtsrats von Gazprom könnte Russlands gegenwärtiger Präsident werden: Wladimir Putin. Der Posten muss neu besetzt werden, weil der bisherige Chefcontroller, Dmitri Medwedjew, bei den Präsidentenwahlen am 2. März kandidiert und, wie Umfragen ergeben, in der Gunst der Wähler souverän in Führung liegt.

Gazprom sucht bereits seit Wochen nach einem Nachfolger für Dmitri Medwedjew. Auf die Kandidatenliste, die in der Nacht zu Donnerstag geschlossen wurde, schafften es 42 prominente Namen. Wer das Rennen macht, soll bereits am Montag offiziell bekannt gegeben und auf der Hauptversammlung der Aktionäre Ende Juni bestätigt werden.

Zählt man den Chef mit, besteht der Aufsichtsrat des weltweit größten Gaslieferanten, aus dessen Steuern sich der russische Haushalt zu über 25 Prozent finanziert, aus insgesamt elf Mitgliedern. Vier werden von Russlands Regierung ernannt, die an dem Unternehmen derzeit mit 51 Prozent beteiligt ist, vier weitere ernennt Gazprom selbst. Zwei der Sitze gehen an Unabhängige, einer davon an E.on-Ruhrgas, das 6,5 Prozent der Anteile hält. Auch der Vorsitz des Aufsichtsrats, schrieb die Moskauer Wirtschaftszeitung »Kommersant«, sollte ursprünglich einem Unabhängigen angetragen werden, um Vorwürfe internationaler Rating-Agenturen und Wirtschaftsprüfer zu entkräften, die mehrfach die undurchsichtige Unternehmensführung kritisiert hatten.

Diese Pläne, so das Blatt, das sich auf Informationen von Eingeweihten beruft, habe man jedoch fallen lassen, weil Wladimir Putin Bereitschaft signalisiert habe, das Amt zu übernehmen. Formell sehen Experten dafür auch keine Hindernisse. Selbst dann nicht, wenn Putin tatsächlich das Amt des Regierungschefs annimmt, das Medwedjew ihm für den Fall seiner Wahl angetragen hat. Zwar steht in Artikel elf der russischen Verfassung, dass Mitglieder der Regierung keine Leitungsfunktionen in der Wirtschaft übernehmen dürfen. Das Verbot bezieht sich jedoch nur auf die Vorstände, nicht auf die Aufsichtsräte. Schon Boris Jelzin besetzte eben diese Posten daher häufig mit hohen Beamten, um sich deren Loyalität zu sichern. Nachfolger Putin, der den Einfluss des Staates auf Schlüsselbranchen der Wirtschaft wiederherstellen wollte, zog das Prinzip noch kompromissloser durch. Einzelheiten plauderte der Finanzjongleur Oleg Schwarzman kurz vor den Dumawahlen im Dezember aus. Demzufolge kaufte seine Holding Mehrheiten an strategischen Unternehmen für Putins Vertraute und deren Familien.

Zwar widerrief Schwarzman inzwischen. Doch hält man seine Darstellung gerne für glaubwürdig und spricht von gezielter Indiskretion. Schwarzman soll den ehemaligen Geheimdienstkräften in Putins Umgebung nahe stehen. Diese und die Liberalen wurden bei der Postenverteilung von Putin lange Zeit gleich behandelt. Durch die Ernennung des liberalen Medwedjew zum Kronprinzen ist das fragile Gleichgewicht der rivalisierenden Gruppen jedoch empfindlich gestört, viele Kremlastrologen halten eine Korrektur daher für überfällig. Eben das, so ihr Argument, könnte der Hauptgrund für Putin gewesen sein, sich um den Posten des Oberaufsehers bei Gazprom zu bemühen, um dort künftig die Interessen seiner einstigen Mitkämpfer an der unsichtbaren Front persönlich wahrznehmen.

Allerdings hatte Putin selbst die Möglichkeit, Gazprom-Chef zu werden, bei einer Pressekonferenz schon im Jahre 2006 ausgeschlossen. Damals hatte er auf eine diesbezügliche Frage geantwortet: »Danke für das Job-Angebot. Aber weder vom Charakter her noch aufgrund meiner bisherigen Lebenserfahrung fühle ich mich zum Geschäftsmann berufen.«

* Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2008


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