Moskau feierte mit Graupengrütze und Gardisten
Russland gedachte des sowjetischen Sieges über den Hitlerfaschismus / Medwedjew betonte unteilbare Sicherheit
Von Irina Wolkowa, Moskau *
66 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa hat Russland mit einer Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau den Sieg über Hitler-Deutschland gefeiert. Auch in zahlreichen anderen Städten zwischen Kaliningrad und Wladiwostok wurde des historischen Datums gedacht.
Fast eine Stunde dauerte die Moskauer Militärparade anlässlich des Tags des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg (9. Mai). Rund 20 000 Soldaten aus Elite-Einheiten der Moskauer Garnison defilierten über den Roten Platz, darunter allein anderthalbtausend Militärmusiker. Ihnen folgten Panzerfahrzeuge, zum Abschluss zeigten Piloten von fünf Mi-8-Kampfhubschraubern ihr Können direkt über der Ehrentribüne, auf der neben Präsident Dmitri Medwedjew, Premier Wladimir Putin und den Mitgliedern seiner Regierung auch hohe Militärs und Kriegsveteranen Platz genommen hatten.
»Je weiter diese Jahre wegrücken, desto größer wird unser Verständnis der Heldentaten unseres Militärs – des Mutes, der Willenskraft und der Selbstaufopferung«, sagte Medwedjew in einer landesweit übertragenen Ansprache. Armee und Flotte verteidigten heute nicht nur das Land und seine Bürger sicher, sie beteiligten sich auch wirksam an Friedensmissionen. Russland setze sich für friedliche Zusammenarbeit und eine unteilbare Sicherheit ein und leiste damit selbst einen Beitrag zu Frieden und globaler Stabilität. Die heutige Generation rief Medwedjew dazu auf, den Frieden zu bewahren, den ihre Vorväter im Zweiten Weltkrieg erkämpften. Sie hätten das eigene Leben gewagt, »weil es Dinge gibt, die unter allen Umständen verteidigt werden müssen. Dazu gehört auch Freiheit.«
Medwedjew hatte sich bereits am Vortag mit Kriegsteilnehmern getroffen und ihnen in warmen Worten gedankt. Bei Graupengrütze aus einer historischen Feldküche, Kommissbrot und den obligatorischen »sto gramm« Wodka, wie sie in den vier Kriegsjahren nach jedem Gefecht an die Rotarmisten ausgegeben wurden, rief der Präsident seine Landsleute auf, mehr durch ihr Land zu reisen. Wer seine Heimat kenne, sei eher bereit, sie zu verteidigen. »Wer nur auf dem Sofa herumliegt, ist kein echter Patriot.« Ausdrücklich würdigte er die »ausgewogene Position« Deutschlands zum Krieg. Obwohl »dieser Entschluss nicht von allen begrüßt wurde«, sei die Bundeskanzlerin im vergangenen Jahr zu den Feierlichkeiten anlässlich des 65. Jahrestages des Sieges der Sowjetunion nach Moskau gekommen.
Angela Merkel hatte sich dabei auch die Militärparade angesehen, für Medwedjew ein »unverzichtbares Symbol der militärischen Stärke Russlands«. Allein schon wegen ihrer erzieherischen Bedeutung müsste sie alljährlich stattfinden. Bei Paraden, so der Präsident wörtlich, »sehen die Leute, dass wir kampffähige Streitkräfte mit kampfbereiter Kriegstechnik haben und dass unsere Armee reale Gefechtsaufgaben erfüllen kann«.
Damit wollte Medwedjew offenbar auch Kritik an den alljährlichen Aufmärschen die Spitze nehmen. Erst am Mittwoch (4. Mai) hatte ausgerechnet die regierungsnahe »Iswestija« gegen die Militärparaden polemisiert. Obwohl die diesjährige sehr viel bescheidener ausfiel als die im letzten Jahr, koste sie den russischen Steuerzahler mindestens 600 Millionen Rubel – umgerechnet rund 15 Millionen Euro. Dazu kämen weitere 101,8 Millionen Rubel aus dem Etat der Moskauer Stadtregierung für Sicherheit, Festschmuck und vor allem für Wetterraketen. Sie »impfen« die Wolken, die sich ausgerechnet zum Tag des Sieges fast jedes Jahr im Raum Moskau zusammenbrauen, mit chemischen Substanzen und bringen sie zum Abregnen, bevor sie die Hauptstadt erreichen. Dazu kommen aus Sicht des Blattes die versteckten Kosten. Gemeint waren Staus und Straßenschäden durch Panzerfahrzeuge, zumal die heiße Phase der wochenlangen Übungen im Stadtzentrum stattfand.
Deshalb, vor allem aber angesichts leerer Kassen nach dem Systemwechsel verzichtete das postsowjetische Russland zunächst gänzlich auf Paraden. Erst im Mai 1995, zum 50. Siegestag, marschierten wieder Soldaten über den Roten Platz, schwere Kampftechnik dagegen wurde am südwestlichen Rand des Stadtzentrums präsentiert: auf dem Poklonnaja-Hügel, wo an eben diesem Tag eine mit großem Aufwand gestaltete Gedenkstätte eröffnet wurde. Über das mehr als dreihundert Jahre alte Kopfsteinpflaster des Roten Platzes dagegen rollten Panzerfahrzeuge erst wieder bei der Siegesparade im Mai 2008. Flugschauen dürfen aus Kostengründen nach wie vor nur zu runden Jahrestagen stattfinden.
* Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2011
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