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Kagame blockt ab

Armut und Krieg ausgeblendet: In Ruanda wird über ein neues Parlament abgestimmt

Von Raoul Wilsterer *

Kigali in diesen Tagen. Die ruandische Hauptstadt hat unter Wolkenbrüchen zu leiden – und unter einem sonderbaren Wahlkampf. Nach 2003 und 2008 sollen von Montag bis Mittwoch die 80 Parlamentssitze zum dritten Mal neu vergeben werden. Doch das Interesse daran bleibt, gelinde gesagt, gedämpft. Da scheint es logisch, daß selbst die Beobachtermission der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) zur Stimmabgabe auffordert – so geschehen zu Wochenbeginn in Kigali. Es sei wichtig, daß die Ruander »in großer Zahl« ihr »politisches Recht« wahrnehmen würden, meinte deren Leiter Musa Sirma. Der ehemalige kenianische Minister fand als Begründung grundsätzliche Worte: »Ein glaubwürdiger Wahlverlauf befördert die regionale politische Integration und stärkt demokratische Prozesse.« Auf »friedliche Art und Weise« sollten »die politischen Führer« bestimmt werden.

Nun deutet nichts darauf hin, daß es bei der Abstimmung zu irgendwelchen »unfriedlichen« Zwischenfällen kommen wird. Offen ist lediglich, ob die bestehende Koalitionsregierung unter Führung der übermächtigen Präsidentenpartei Front Patriotique Rwandais (FPR) weiterhin vier Fünftel der Abgeordneten stellen wird. Indes ist auch dieses Thema wenig spannend, da die anderen Parteien, Sozialdemokraten (PSD), Liberale (PL) und die PS-Lumberakari, nicht gerade als oppositionell bekannt sind. Opposition bedeutet in Ruanda Risiko. Victoire Ingabire, Vorsitzende der nicht zugelassenen Démocratiques Unifiées (FDU), sitzt hinter Gittern. 2010 bei den Präsidentschaftswahlen zunächst als aussichtsreiche Konkurrentin für Amtsinhaber Paul Kagame gehandelt, wurde sie unter Hausarrest gestellt und Ende Oktober 2012 schließlich wegen »Hochverrats« und »Verharmlosung« des Genozids von 1994 zu acht Jahren Haft verurteilt: Unter anderem hatte sie die Massenmorde der ruandischen Armee in Flüchtlingslagern des Ostkongo ab 1996 hinterfragt.

Die Umstände der bevorstehenden Abstimmung gleichen denen vorheriger. So war 2010, als Kagame offiziell satte 93 Prozent der Stimmen erhielt, von »einer Wahl, die keine war«, die Rede (Spiegel-online). Wirkliche Opposition sei ausgeschaltet, verboten oder ermordet worden – wie im Fall von André Kagwa Rwisereka, Vizechef der Grünen, dessen Leichnam in einem Sumpfgebiet gefunden worden war, der Kopf abgetrennt. Bis heute wurde die Tat nicht verfolgt, die Partei jahrelang nicht zur Kandidatur zugelassen. Erst kürzlich, wenige Tage vor Schließung der Listen, erhielt sie nun die Genehmigung – und wird sie nicht wahrnehmen. Ihr Vorsitzender Frank Habineza erklärte am Dienstag, es sei nicht möglich, »alle notwendigen Anforderungen zu erfüllen«.

Kagame, der ehemalige Tutsi-Rebellenführer, versteht etwas von Herrschaftssicherung durch Drohungen, Blockaden und Infiltrierung gegnerischer Gruppen. Als langjähriger Freund insbesondere der USA – er wurde 1990 an der Militärakademie in Fort Leavenworth geschult und führte dann die RPF-Miliz von Uganda aus nach Ruanda – gilt er laut New York Times als »starker Mann der globalen Elite«, der aus dem kleinen ostafrikanischen Land bis 2020 einen prosperierenden, modernen Musterstaat machen wolle. Doch Kagames »Vision 2020« stockt. Die angestrebten zweistelligen Wachstumsraten wurden nicht erreicht, die Inflation liegt bei sechs Prozent, Preise für Benzin und Grundnahrungsmittel explodieren. Zwar steht Ruanda im aktuellen »Doing Business Report« der Weltbank zu Investitionsrahmenbedingungen auf Platz 52 (von 185) und damit in Afrika an zweiter Stelle, doch zugleich gehört es weiterhin zu den ärmsten Ländern weltweit. Im Human-Development-Index der UNO von 2012 rangiert es an 167. Stelle, einen Rang schlechter als im Vorjahr.

Die nationale Oberschicht profitiert indes weiter vom illegalen Handel mit geraubten Gütern – von regionaler »Integration« keine Spur. Die Schätze des Ostkongo – Coltan, Diamanten, Erze, Gold – werden geplündert und über Kigali an Abnehmer in westlichen Konzernetagen verkauft. Was in den Jahren bis 2003 die ruandische Armee selbst und danach andere durch Kigali ausgestattete bewaffnete Gruppen erledigt hatten, betreiben nun die M23-Rebellen, »allesamt desertierte kongolesische Soldaten der Ethnie der kongolesischen Tutsi«, wie die FAZ schreibt. Sie gelten als Kagames »fünfte Kolonne«. Zwar hat Washington mittlerweile seine direkte »Militärhilfe« eingestellt, und auch andere westliche Länder froren ihre »Entwicklungsgelder« ein, doch die Kämpfe halten an. Zehntausende Kongolesen befinden sich auf der Flucht. Im ruandischen Wahlkampf spielt das keine Rolle. Die Repression wirkt.

* Aus: junge welt, Samstag, 14. September 2013


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