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Lebenslang für "Colonel Tod"

Theoneste Bagosora vom Internationalen Straftribunal für Ruanda wegen Völkermords verurteilt

Von Marc Engelhardt, Nairobi *

Das UN-Tribunal zur Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda hat einen der mutmaßlichen Drahtzieher der Gräueltaten zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Das Gericht im tansanischen Arusha sprach am Donnerstag den ehemaligen Direktor im ruandischen Verteidigungsministerium Théoneste Bagosora schuldig, 1994 maßgeblich den Völkermord in Ruanda organisiert zu haben.

Als im April 1994 die Verfolgung von Tutsi und moderaten Hutu begann, verschanzten sich die Verfolgten im ruandischen Ort Ntarama in einer Kirche, weil sie sich dort sicher fühlten. Doch die Verfolger kannten kein Erbarmen: Sie warfen Granaten und stürmten das Gotteshaus. Mehr als 10 000 Menschen, so berichten die wenigen überlebenden Augenzeugen, wurden mit Macheten und bloßen Händen umgebracht. Im ganzen Land waren es mindestens 800 000.

In Ntarama wurden so viele Männer, frauen und Kinder ermordet, dass noch heute im Seitenschiff der Kirche große Plastiksäcke mit Knochen stehen, die ihrer Beisetzung noch harren. »Niemand soll jemals sagen können, den Völkermord habe es nicht gegeben«, hofft André Kamana, der heute Touristen durch die Gedenkstätte führt. Der mutmaßliche Drahtzieher des Völkermords sitzt seit elf Jahren in einer Zelle im tansanischen Aru-sha, wo er sich dem Internationalen Straftribunal für Ruanda stellen musste. Am Donnerstag ging nach 408 Verhandlungstagen sein Prozess zu Ende: Lebenslang, verkündete der erste Senat das Urteil gegen Théoneste Bagosora, genannt »Colonel Tod«. Das Urteil gilt als das bedeutendste seit der Einrichtung des Tribunals. Zwei Mitangeklagte Bagosoras wurden ebenfalls für schuldig befunden, ein dritter freigesprochen.

Die Anklage gegen den 1941 geborenen Militär lautete unter anderem auf Verschwörung, Aufhetzung und Anstiftung zum Völkermord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er selbst freilich will davon nichts wissen: Bis heute weist Bagosora alle zwölf Anklagepunkte zurück. »Ich glaube nicht an die Theorie, dass es einen Genozid gegeben hat«, ließ er das verblüffte Tribunal wissen.

Dabei war Bagosora zweifellos einer seiner Architekten. Nach dem Tod von Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana – sein Flugzeug wurde beim Landeanflug auf Ruandas Hauptstadt Kigali abgeschossen – riss Bagosora sofort die Macht an sich; Stunden später begannen die Massaker. »Bagosora übernahm die Kontrolle über Ruanda«, sagte der kanadische General Roméo Dallaire, damals Chef der UN-Mission in Ruanda, im Prozess aus. Bagosora traf alle Entscheidungen: Er verhängte eine Ausgangssperre und ließ eine ihm genehme Übergangsregierung wählen. Bei einer Party erklärt er in bester Laune: »Wir müssen alle Tutsi umbringen, um jeden Preis. Eine solche Chance kriegen wir nie wieder.«

Listen habe Bagosora verteilt, berichtete ein Zeuge, der von Den Haag aus über Video aussagte. Wer darauf stand, sei meist einen Tag später tot gewesen. Bagosora ist Überzeugungstäter: Seine erste Liste von »Staatsfeinden« stellte er bereits drei Jahre vor dem Genozid auf. Da spürte Habyarimanas Hutu-dominierte Einparteienregierung den Druck der »Ruandischen Patriotischen Front« (RPF), einer mehrheitlich aus Tutsi bestehenden Rebellenbewegung um den heutigen Präsidenten Paul Kagame, die von Uganda aus eine militärische Bedrohung darstellte. Bagosoras Bericht liest sich wie die Hetzreden, die er während des Genozids im Radio verkünden ließ. »Der Feind, das sind die Tutsi, regierungskritische Hutu und Ausländer, die mit Tutsi verheiratet sind.« Bei mehreren öffentlichen Veranstaltungen zeigte Bagosora sein Gesicht gänzlich ungeschminkt: »Wir brauchen einen Krieg, der das Land in ein apokalyptisches Chaos stürzt, damit wir alle Tutsi eliminieren können – dann erst haben wir Frieden.«

Doch trotz einer erdrückenden Beweislast in dem oft zäh dahinfließenden Prozess gab der auch nach so vielen Gefängnisjahren rundliche Brillenträger Bagosora das Opfer einer politischen Verschwörung. »Ich erkläre feierlich, dass ich niemals einen Menschen getötet oder die Ermordung von irgendjemandem angeordnet habe«, sagte er in seinem Schlussplädoyer. Seine Verteidiger hatten geschuftet, um diesen Eindruck zu untermauern. 160 Zeugen hatten sie aufgeboten, fast doppelt so viele wie die Anklage. Das Urteil ist zweifellos ein Einschnitt in der 14-jährigen Geschichte des Arusha-Tribunals. Eigentlich steht das Tribunal kurz vor seiner Abwicklung: Bis Ende 2009 soll auch der letzte Fall abgeschlossen sein. »Das werden wir nicht schaffen, und es gibt Signale, dass der UN-Sicherheitsrat die Laufzeit um ein weiteres Jahr verlängern wird«, sagt Tribunal-Sprecher Roland Amoussouga. Immerhin sind 13 hochrangige Verdächtige noch auf der Flucht. »Denen darf man nicht das Gefühl geben, dass gegen sie nicht mehr ermittelt wird.«

Mit seinem Wunsch, das Arusha-Tribunal bestehen zu lassen, ist Amoussouga nicht allein. Aus der Region mehren sich sogar Stimmen, das Gericht für andere Fälle zu öffnen, etwa die Verfolgung der Hintermänner von Kenias Unruhen nach den Wahlen Anfang des Jahres. Während die Justiz in vielen afrikanischen Ländern als korrupt und unfähig gilt, wird Arusha als leuchtendes Beispiel für Gerechtigkeit gefeiert.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2008


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