Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Erpressung

Ruanda droht. UN sollen auf keinen Fall ihren Ostkongoreport veröffentlichen

Von Raoul Wilsterer *

Die ruandische Regierung macht derzeit mit einem Erpressungsversuch von sich reden, der seinesgleichen sucht. Entweder, so die Forderung aus Kigali, die Vereinten Nationen (UN) veröffentlichen ihren 500seitigen Sonderbericht zu Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo, vormals Zaire, zwischen 1993 und 2003 nicht, oder die Beteiligung an »Friedensmissionen« der UN und der Afrikanischen Union endet ad hoc. Dementsprechend erhielt der Kommandeur der ruandischen Truppen in der westsudanesischen Krisenprovinz Darfur am Dienstag die Anweisung, »Vorbereitungen zu treffen« für den Abzug. Außenministerin Louise Mushikiwabo schilderte in der ruandischen Hauptstadt die Labilität der Lage mit den Worten: »Wir warten, was die UN mit diesem Report machen, aber wir sind äußerst ernsthaft dazu entschlossen, unsere Truppen abzuziehen.«

Bei dem Zankapfel handelt es sich um ein Dokument, das noch im September, offiziell vorgestellt werden soll. Dadurch erhielte es einen amtlichen Charakter. Bereits in den vergangenen Tagen waren Auszüge daraus an die Öffentlichkeit gelangt und hatten umgehend schwerste Besorgnisse in der Regierung von Präsident Paul Kagame ausgelöst. Demnach wird der ruandischen Armee vorgeworfen, nach ihrem Einmarsch in Zaire 1996 brutalste Verbrechen begangen zu haben. Zudem hätten von Kigali unterstützte Rebellengruppen Hutu-Flüchtlinge jahrelang gejagt, gefoltert und massakriert. »Schulen, Krankenhäuser, Flüchtlingslager, Kinder, Frauen und Alte – nichts und niemand war vor den Mordbanden aller Seiten sicher« (Spiegel online, 30.8.).

»Der UN-Bericht, der mittlerweile mehreren Zeitungen in Vorabfassungen vorliegt, belegt nun, daß die Soldaten Ruandas keinesfalls nur gegen irreguläre Hutu-Milizen vorgingen, sondern in großem Maßstab auch Hutu-Zivilisten zu Tode brachten, darunter offenbar nicht nur Hutu-Flüchtlinge aus Ruanda, sondern auch gänzlich unbeteiligte Hutu-Bürger des Kongo«, so das Internetportal german-foreign-policy (31.8.). Die Rede sei von »weit mehr als 100000 Toten«.

Der Sonderreport der Vereinten Nationen wurde von zwei Dutzend UN-Inspekteuren verfaßt; es soll sich um eine der umfangreichsten Untersuchungen von Kriegsverbrechen in der Geschichte der Organisation handeln. Tausende Zeugen wurden befragt, Filmdokumente gesichtet, Texte ausgewertet. Es heißt, die Verfasser hätten alles zusammengetragen, was als gesichert gelten kann. Herausgekommen sei »ein Dokument des Grauens« (Spiegel online). Die Verfasser stellen fest, daß die von Ruanda unterstützten Attacken Aktionen glichen, »die als Völkermordverbrechen bezeichnet werden könnten, wenn sie von einem zuständigen Gericht zu beweisen wären«.

Für die autokratische Herrschaft in Ruanda geht es um viel. Ihr internationales Ansehen steht auf dem Spiel. Doch auch deren mächtige Unterstützer im Ausland dürften wenig Interesse daran haben, daß eine Beteiligung der Tutsi-Elite sowohl an den furchtbaren Ereignissen in Ruanda 1994, als Hunderttausende Menschen ermordet wurden, als auch in den Kongokriegen (1996 bis 2003) aufgedeckt werden. Damals hatten Truppen aus Burundi, Uganda und Ruanda den ressourcenreichen Ostkongo besetzt und ausgeplündert. Bekannt ist, daß die Armee Kigalis von US-Militärs trainiert wurde. Und Paul Kagame studierte an der Eliteakademie der US-Army in Fort Leavenworth – und hat maßgeblichen Anteil an der Zurückdrängung des französischen Einflusses zugunsten anderer westlicher Staaten. Zunächst nach 1994 als Außenminister, danach bis heute als – frischgewählter – Präsident.

* Aus: junge Welt, 2. September 2010


Zurück zur Ruanda-Seite

Zur Kongo-Seite

Zurück zur Homepage