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"Morgengabe für Kagame"

OLG Frankfurt verhandelt Völkermord in Ruanda: Beschuldigungen aus Kigali müssen generellem Zweifel unterliegen. Ein Gespräch mit Helmut Strizek *


Dr. Helmut Strizek, Jahrgang 1942, war von 1980 bis 1983 Teil der EU-Delegation in Ruanda. 1987 bis 1989 war er Referent für Ruanda und Burundi im Bundes­ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er hat auf Antrag der Verteidigung in zahlreichen ­Verfahren vor dem UN-Tribunal für ­Ruanda als Experte ausgesagt.

Erstmals befaßt sich mit dem Oberlandesgericht, OLG, Frankfurt am Main derzeit die deutsche Justiz mit dem Völkermord in Ruanda von 1994. Der ehemalige Bürgermeister Onesphore R. wurde in Ruanda wegen Beteiligung am Genozid angeklagt. Wieso wird ihm der Prozeß in der BRD gemacht?

Als die ruandische Regierung erfuhr, daß R. in Deutschland Asyl erhalten hatte, beantragte sie 2007 seine Auslieferung. Anfangs geschah nichts. Erst politischer Druck brachte wohl den Stein ins Rollen. Am 24. April 2008 wurde R. auf Antrag der Staatsanwaltschaft beim OLG Frankfurt in Auslieferungshaft genommen, die Auslieferung vom Gericht jedoch im November 2008 abgelehnt. Dann nahm sich die Generalbundesanwältin des Falles an, und der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erließ Ende 2008 Haftbefehl. Im Mai 2009 verfügte der BGH aber die erneute Freilassung R.s, da die Beweislage für die von Ruanda erhobenen Beschuldigungen als unzureichend bewertet wurde. 2010 wurde er dann ein drittes Mal verhaftet, nachdem das Bundeskriminalamt in Ruanda ermittelt hatte. Das OLG eröffnete am 8.12.2010 das Hauptverfahren.

Welcher politische Druck veranlaßt Deutschland zum Eifer, sogar selbst in Ruanda zu ermitteln?

Im Februar 2008 stattete Bundespräsident Horst Köhler Ruanda einen politisch höchst problematischen Staatsbesuch ab. Er besuchte mit Uganda und Ruanda zwei Staaten, die für Angriffskriege 1996/1997 und 1998 gegen das damalige Zaire, die heutige Demokratische Republik Kongo, verantwortlich sind. Just während Köhlers Besuch in Kigali wurden in Spanien gegen führende Politiker der Regierungspartei unter dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame internationale Haftbefehle wegen Verbrechen beim Ruanda-Eroberungskrieg 1994 und beim Kongo-Krieg ausgestellt. Köhler lud Kagame dennoch für April 2008 zu einem Staatsbesuch ein, der ihm bis dahin versagt worden war. Im Vorfeld sah sich die Frankfurter Staatsanwaltschaft wohl gezwungen zu agieren und erwirkte beim OLG die Auslieferungshaft für R. als Morgengabe für den Berlin-Besucher Kagame. Die Auslieferungsablehnung berief sich darauf, daß R. in Ruanda kein faires Verfahren zu erwarten habe. Daß das OLG die Kagame-Diktatur derart desavouiert, war überraschend, wo doch die gesamte öffentliche Meinung bis dahin die Augen vor Kagames Schreckensherrschaft verschloß und ihn als ruandischen »Befreier« verherrlichte. Dies wollte die mächtige Kagame-Lobby nicht auf sich beruhen lassen.

Es heißt, Kagame kam als Vertreter der Opfer an die Macht, nachdem die Hutu 1994 einen brutalen Völkermord an den Tutsi verübt hätten und habe sich der Versöhnung der Volksgruppen verschrieben.

Diese von der damaligen US-Regierung unter Bill Clinton initiierte und in Deutschland mit großer Wirkung vom taz-Redakteur Dominic Johnson propagierte »offizielle Lesart« ist historisch unhaltbar. In Ruanda haben 1994 nach meinen Analysen zwei Völkermorde stattgefunden. Marodierende Hutu-Banden ermordeten Tutsi. Gleichzeitig kam es zu Massenmorden an der Hutu-Bevölkerung durch die aus Uganda vordringenden Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), die von Exiltutsi dominiert und von Kagame geführt wurde und heute den Staat bestimmt.

Haben nicht ranghohe Hutu-Extremisten den ruandischen Präsidenten wegen dessen Verhandlungsabsichten mit der RPF ermordet und ihren Plan der Ausrottung der Tutsi in die Tat umgesetzt?

Der Genozid an den Tutsi war eine fürchterliche Racheaktion entwurzelter Hutu, die bei den verschiedenen Angriffswellen der RPF seit 1990 aus dem Norden Ruandas vertrieben worden waren und seither unter schlimmen Bedingungen in inländischen Flüchtlingslagern vegetierten. Von dort wurden sie beim erneuten Angriff der RPF nach dem Attentat auf den Präsidenten Juvenal Habyarimana am 6. April 1994 wieder vertrieben. Teile von ihnen zogen dann im dadurch ausgelösten Machtvakuum mordend und brandschatzend durchs Land. Die Tutsi hätten in großem Maße gerettet werden können. Das hat der UN-Sicherheitsrat auf Wunsch Kagames unter Druck der Clinton-Regierung im Interesse des RPF-Sieges unterbunden. Mit dem Abzug der UN-Blauhelme wurde die Tutsi-Minderheit ihren Häschern schutzlos preisgegeben. Die Weltgemeinschaft hat die Tutsi Kagames brutalen Machtzielen geopfert. Es gibt viele Anhaltspunkte für eine Verantwortung von Kagames RPF für das den Völkermord auslösende Attentat. Um die These vom geplanten Genozid durch Hutu zu wahren, haben später die gleichen Kräfte jedoch verhindert, daß die von Kagame-Rebellen begangenen Massaker an der Hutu-Bevölkerung sowie die Hintergründe des Attentats vom UN-Strafgerichtshof für Ruanda, dem ICTR in Aruscha/Tansania untersucht wurden.

Kann R. angesichts der deutschen Unterstützung für Kagame einen fairen Prozeß erwarten?

Den Willen zur Fairneß will ich keinem deutschen OLG absprechen. Das Problem ist die Beweisführung. Das Gericht ist auf das Gutdünken einer Diktatur angewiesen, die alle Bewegungen der Ermittler und potentieller Zeugen kontrollieren kann.

Das OLG schloß Sie ungeachtet Ihrer Expertise als Gutachter im Prozeß gegen R. aus. Wollte man Ihre Warnungen vor der Kagame-Diktatur und deren möglicher Einflußnahme verdrängen?

R. wurde mit richterlicher Genehmigung abgehört, auch meine Telefonate mit seiner Frau. Diese Kontakte erachtete die Anklage erst als wichtig, als ihr klar war, daß ihr der Inhalt meiner vom Gericht angeforderten Ausführungen mißfällt. Sie konstruierte aus meinem Besuch der Familie im Dezember 2008, nachdem R. 2008 aus dem Gefängnis entlassen wurde und ich annahm, daß gegen ihn nichts Schwerwiegendes vorlag, und dem für die Kinder mitgebrachten Gebäck sowie der ruandischen Sitte, einen Gast mit einer kleinen Aufmerksamkeit zu entlassen, eine unzulässige Komplizenschaft. Das Gericht folgte dem Befangenheitsantrag, um einen möglichen Revisionsgrund auszuschließen.

Dennoch scheint der vorsitzende Richter Sie ernst zu nehmen. Zeugen aus Ruanda fragt er immer, ob sie vor ihrer Anreise von ruandischen Behörden unter Druck gesetzt worden seien. Daß dies bisher stets verneint wurde, vermag angesichts möglicher Konsequenzen bei der Rückkehr nach Ruanda nicht verwundern. Ein unlösbares Dilemma?

Alle aus Kigali kommenden Beschuldigungen müssen wegen der totalen Kontrolle sämtlicher Vorgänge im heutigen Ruanda einem generellen Zweifel unterliegen. Es ist unmöglich, die Ereignisse in Ostruanda im April 1994 objektiv zu untersuchen. ICTR-Zeugen wurden manipuliert und bekamen für vorbereitete falsche Belastungsaussagen von der Kagame-Diktatur Vergünstigungen.

Auch die Verteidigung von R. betont das Glaubwürdigkeitsproblem der Zeugen. Tatsächlich haben gegen R. bereits Zeugen ausgesagt, die zur Zeit der Befragung durch das deutsche BKA in Ruanda in Haft waren und kurz danach freikamen. Diskrepanzen zwischen den Angaben gegenüber dem BKA in Ruanda und im Gerichtssaal sind ebenfalls alltäglich.

Da in Ruanda erst nach dem Ende der heutigen Diktatur glaubhafte Ermittlungen geführt werden können, rate ich im Fall R. jedenfalls zur Anwendung des alten Prinzips »Im Zweifel für den Angeklagten«.

Die Anklage betont, R. habe in den Tagen der ihm vorgeworfenen Massaker stets gemeinsam mit einem gewissen Jean Baptist Gatete, ebenfalls Bürgermeister, agiert. Auch Belastungszeugen behaupten dies, andere widersprechen. Gatete selbst wurde kürzlich vor dem ICTR verurteilt. Wirft das einen Schatten auf die Verteidigung von R.?

Wenn R. in der fraglichen Zeit so eng mit Gatete, der damals kein Bürgermeister mehr war, kooperierte, wie es die Anklage behauptet, warum ist der Name von R. im Gatete-Prozeß, in dem es auch um Mittäter ging, dann nicht einmal erwähnt worden?

Auch das Gatete-Urteil schließt die Augen vor den Erkenntnissen der spanischen und französischen Ermittlungsrichter, wonach Kagames RPF hinter dem den Völkermord auslösenden Attentat steht. Auch die sofort danach beginnende RPF-Aggression und das Chaos, das unmittelbar danach im Volk ausbrach, werden ausgeblendet. Das Urteil macht glauben, die Bürgermeister hätten in Ruhe ihre Aktionen planen können. Erst wenn die RPF-Aggressoren die politische Bühne in Kigali verlassen haben und sich der UN-Sicherheitsrat entschließen sollte, die ihm längst bekannten Fakten offenzulegen, ist Aufklärung möglich.

Interview: Cathrin Schütz

Von Helmut Strizek erschien in diesem Jahr das Buch »Clinton am Kivu-See. Die Geschichte einer afrikanischen Katastrophe«, Peter Lang– Internationaler Verlag der Wissenschaften, 408 Seiten, 39,90 Euro

* Aus: junge Welt, 3. August 2011


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