Verbale Scharmützel zwischen Frankreich und Ruanda
Bericht zum Völkermord 1994 löst in Paris helle Empörung aus
Von Thomas Nitz *
Ruandas Vorwurf, Frankreich habe sich vor 14 Jahren am Völkermord in dem
afrikanischen Land beteiligt, hat in Paris für weitere Empörung gesorgt.
Die von den Staatspräsidenten Frankreichs und
Ruandas, Nicolas Sarkozy und Paul Kagame, Anfang des Jahres eingeleitete
»Normalisierung der
Beziehungen« hat einen herben Rückschlag erlitten.
Die Wogen der Empörung in Frankreich schlagen hoch: Verteidigungsminister
Hervé Morin wies die Anschuldigungen aus Ruanda gegen mehrere Dutzend
französische Politiker und Militärs am
Donnerstag (7. August) entschieden zurück. Er könne sich noch daran
erinnern, wie französische Soldaten
»unter abscheulichen Bedingungen Hunderte und Tausende Menschenleben«
gerettet hätten, sagte
Morin, der seinerzeit schon im Verteidigungsministerium arbeitete, dem
französischen Radiosender
RFI. Die Beschuldigungen der ruandischen Regierung seien »vollkommen
unerträglich«.
Die Beschuldigungen haben es in sich: Der am Dienstag (5. August)
veröffentlichte Bericht einer von der
ruandischen Regierung eingesetzten Untersuchungskommission wirft 14
Jahre nach dem
Völkermord in Ruanda neue Fragen nach der Mitverantwortung Frankreichs
auf. Der Bericht stützt
sich auf die Aussagen von knapp 700 Überlebenden und Augenzeugen.
Dem Report zufolge hat Frankreich von den Vorbereitungen für den
Völkermord gewusst und eine
wichtige Rolle bei der Ausbildung der Milizen des früheren Hutu-Regimes
gespielt und sie mit
Waffen und Soldaten unterstützt. In dem Dokument heißt es, »französische
Soldaten haben den
Milizen verschiedene Arten des Tötens beigebracht«. Zudem sollen
französische Soldaten auch
direkt an den Verbrechen beteiligt gewesen sein.
Bereits im November 2006 hatte die Regierung Ruandas die diplomatischen
Beziehungen zu
Frankreich abgebrochen. Anlass war die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens gegen Ruandas
Präsident Paul Kagame und weitere ruandische Politiker durch den
französischen Richter Jean-
Louis Bruguiere. Der Vorwurf: Kagame soll an der Ermordung des früheren
Präsidenten Ruandas,
Juvenal Habyarimana, beteiligt gewesen sein und durch die Tat den
Völkermord ausgelöst haben.
Von April bis Juli 1994 wurden in Ruanda rund 800 000 Tutsi und
regimekritische Hutu von Hutu-Milizen brutal ermordet. Kagame war damals
Rebellenführer der gegen das Hutu-Regime
kämpfenden Patriotischen Front Ruandas (RPF) - heute Regierungspartei in
Ruanda.
Paris wertet die neuen Vorwürfe als Revanche für die Ermittlungen gegen
Präsident Kagame und
wies eine Mitverantwortung Frankreichs zurück. »Der Bericht enthält
inakzeptable Anschuldigungen
politischer und militärischer Verantwortlicher Frankreichs«, sagte ein
Sprecher des
Außenministeriums in Paris. Zudem zweifelt das Außenministerium an der
Objektivität und
Legitimität der von der ruandischen Regierung eingesetzten
Untersuchungskommission.
Das französische Verteidigungsministerium schloss sich dieser
Einschätzung an und erneuerte
seine bereits 2007 geäußerten Zweifel an der »Unparteilichkeit« der
Untersuchung. Das Außenamt
betonte gleichzeitig die französische Absicht, »eine neue Beziehung« mit
Kigali aufbauen zu wollen.
»Wir stellen unsere Beziehung zu Ruanda weiterhin unter diese
Zukunftsperspektive«, hieß es in
einer offiziellen Stellungnahme, die mit dem Verteidigungsministerium
und dem Staatspräsidenten
abgestimmt war.
Dabei sah es noch am Anfang des Jahres nach einer Entspannung zwischen
Paris und Kigali aus. Im Januar räumte der französische Außenminister
Bernard Kouchner nach einem Treffen mit
Kagame »politische Fehler« bei der Einschätzung des Hutu-Regimes ein,
und Nicolas Sarkozy
sagte, dass Frankreich über die »Schwächen und Fehler« seiner damaligen
Ruanda-Politik
nachdenken müsse. Kagame seinerseits hatte noch im April erklärt, dass
Ruanda in Sarkozy einen
»aufgeschlossenen Gesprächspartner« gefunden habe.
Der Bericht dürfte hingegen wenig zur Entspannung beitragen, zumal
erstmals französische Politiker
namentlich genannt werden. Verantwortlich seien insbesondere der 1996
verstorbene ehemalige
französische Präsident François Mitterrand, die früheren
Ministerpräsidenten Dominique de Villepin
und Edouard Balladur sowie der damalige Außenminister Alain Juppé.
Tatsächlich pflegte Mitterrand
bis zuletzt eine freundschaftliche Beziehung zum Hutu-Regime.
Im Juni 1994 startete Frankreich, ausgestattet mit einem UN-Mandat, die
»Opération Turquoise«
und errichtete im Südwesten des Landes eine Sicherheitszone, nachdem die
UNO kurz nach Beginn
des Mordens ihre Truppen bis auf 270 Mann aus Ruanda abzog. Mit dieser
Sicherheitszone schufen
französische Soldaten einen Korridor, durch den viele der Mörder
zwischen Hunderttausenden
Flüchtlingen vor den anrückenden RPF-Rebellen in die DR Kongo entkommen
konnten. Seit dem
Ende des Bürgerkriegs befasst sich ein von der UNO eingerichteter
Strafgerichtshof in Tansania mit
den Verbrechen in Ruanda.
* Aus: Neues Deutschland, 9. August 2008
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