Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ruanda

Bischof von Anklage wegen Völkermords freigesprochen

Während das UN-Kriegsverbrechertribunal einen Journalisten wegen Aufhetzung zum Völkermord zu einer hohen Haftstrafe verurteilte, wird ein hoher katholischer Geistlicher, der im Verdacht stand, Tutsi an's Messer geliefert zu haben, freigesprochen. Verantwortlich für den Freispruch war ein ruandisches Gericht. Hierzu berichtet die Süddeutsche Zeitung am 16.06.2000:

Bisher höchster katholischer Würdenträger wegen Genozids vor Gericht
Freispruch für Bischof im Völkermord-Prozess in Ruanda

Von Michael Bitala

Der römisch-katholische Bischof Augustin Misago ist am Donnerstag in Ruanda vom Vorwurf des Völkermords und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit freigesprochen worden. Ein Gericht in der Hauptstadt Kigali kam zu der Überzeugung, dass der Geistliche nicht - wie ihm die Staatsanwaltschaft vorgeworfen hatte - den Genozid mitgeplant und mehrere Tutsi an die Mörder ausgeliefert hat. Der Vorsitzende der Sonderkammer des Gerichts, Sekaruso Rutaremara, habe auch den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung unter Hinweis auf das damals herrschende Klima der Gewalt zurückgewiesen, teilte die deutsche Botschaft in Kigali mit. Die Staatsanwaltschaft hatte die Todesstrafe gefordert.

Misago wurde direkt nach der Verhandlung nach mehr als einjähriger Untersuchungshaft freigelassen. Nach Augenzeugenberichten reagierte er auf das Urteil sehr bewegt. Mit dem Bischof stand der bislang höchste Würdenträger der katholischen Kirche wegen des Vorwurfs des Völkermords an den Tutsi vor Gericht. Im Frühjahr 1994 wurden in nur 100 Tagen mehr als 800 000 Tutsi und moderate Hutu getötet. Eine Sprecherin der Botschaft, die den Prozess von Anfang an verfolgt hatte, hob hervor, dass das Verfahren "sehr fair" verlaufen sei.

Der Bischof wurde im vergangenen Jahr festgenommen, nachdem ihn der ehemalige Staatspräsident Ruandas, Pasteur Bizimungu, öffentlich aufgefordert hatte, seine Schuld einzugestehen. Misago wurde zur Last gelegt, dass er während des Genozids an Treffen mit Hutu-Regierungspolitikern teilgenommen hatte, die im Verdacht stehen, den Völkermord geplant zu haben. Außerdem wurde er beschuldigt, in fünf Fällen schutzsuchende Tutsi den Mördern ausgeliefert zu haben, unter ihnen 90 Schüler. Sie alle hätten gedacht, so sagte Misagos Anwalt Protasius Mutembe der Süddeutschen Zeitung, dass ein katholischer Bischof, ein Mann, der sich selbst noch während des Genozids mit dem Interims-Präsidenten treffen konnte, ihr Leben retten könne. Doch in jedem Fall informierte Misago die Polizei oder Regierungsangehörige. Der Bischof selbst sieht sich als "Opfer einer Verschwörung". Niemand sei damals auf die Idee gekommen, dass auch Kinder umgebracht würden, sagte er; ein Argument, das ihm scharfe Kritik von Menschenrechtlern und Tutsi einbrachte. Die Treffen mit Regierungspolitikern, so Anwalt Mutembe, hätten dazu gedient, "die Situation zu entschärfen".

Prozess-Beobachter werteten den Freispruch auch als Zeichen, dass die heutige Regierung in Ruanda das Verhältnis zur katholischen Kirche nicht weiter belasten wolle. In Ruanda wurden schon zwei Priester wegen Beteiligung am Völkermord zum Tode verurteilt, mehr als zwanzig Geistliche und Nonnen sitzen noch in Haft. Seit der Festnahme des Bischofs versuchte der Vatikan, die Freilassung Misagos zu erreichen. Rom bezeichnete den Prozess als "kirchenfeindlichen Akt" der jetzigen Tutsi-Regierung. Noch kurz vor der Urteilsverkündung hatte der Vatikan versucht, über die europäischen Vertretungen in Kigali Einfluss auf das Gericht zu nehmen. Der Papst schickte Misago im April ein Telegramm. Darin hieß es, er bete für Misago und hoffe, dass dieser bald freigelassen werde.

Weitere Beiträge zu Ruanda:
Ruanda

Zurück zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage