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Annäherung an Kagame

Französische Untersuchung bewertet Beginn des Völkermords in Ruanda neu

Von Simon Loidl *

Fast 18 Jahre nach dem Ereignis, das als Auslöser des ruandischen Genozids gilt, hat Mitte der Woche eine französische Untersuchungskommission einen Bericht zum Tod des damaligen Präsidenten des Landes veröffentlicht. Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug von Juvénal Habyarimana abgeschossen. Seit damals gingen die meisten Beobachter davon aus, daß die Ruandische Patriotische Front (RPF) die Rakete auf die Maschine des Staatsoberhaupts abgefeuert hatte. Neben Habyarimana, einem Hutu, starben bei dem Absturz der burundische Präsident Cyprien Ntaryamira und zehn weitere Menschen. Wenige Stunden nach dem Anschlag begannen die ersten Übergriffe von Mitgliedern der Präsidentengarde auf Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Tutsi und auf oppositionelle Hutu. Während der Massaker und Kämpfe der folgenden Monate wurden zwischen 500000 und einer Million Menschen ermordet. Eine große Anzahl der Opfer waren Tutsi.

Da die Präsidentenmaschine von einem französischen Piloten geflogen worden war, wurden die Ereignisse auch in Frankreich untersucht. 2006 kam der zuständige Ermittlungsrichter Jean-Louis Bruguière zu dem Schluß, daß der RPF-Anführer und derzeitige Präsident von Ruanda, Paul Kagame, für den Abschuß des Flugzeugs verantwortlich sei. Dies führte zu einer diplomatischen Krise zwischen Ruanda und Frankreich, das die vormalige Hutu-Regierung unterstützt hatte. Es wurden neun internationale Haftbefehle gegen Kagame-Vertraute und hochrangige RPF-Funktionäre ausgestellt. Kagames Beraterin Rose Kabuye wurde daraufhin im November 2008 am Flughafen in Frankfurt festgenommen und nach Frankreich ausgeliefert. Nach zahlreichen Vernehmungen mußte der Haftbefehl gegen sie im März 2009 jedoch aufgehoben werden.

2010 beauftragten französische Gerichte eine Kommission mit der neuerlichen Untersuchung der Ereignisse vom April 1994. Aufgrund ballistischer Gutachten und Zeugenaussagen kam diese nun zu dem Schluß, daß die Rakete nicht wie bisher angenommen von einer Farm, in deren Nähe sich Einheiten der RPF aufhielten, sondern aus einem Camp der ruandischen Armee abgeschossen wurde. Präsident Habyarimana starb demnach durch einen Angriff aus dem eigenen Lager.

Bereits 2009 war eine britische Untersuchung zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Der neue Bericht hat jedoch aufgrund der Rolle Frankreichs im ruandischen Bürgerkrieg größeres politisches Gewicht. Die Regierung Habyarimana war von Paris unterstützt worden, seitens des heutigen Kabinetts Kagame wurden immer wieder Anschuldigungen über eine Beteiligung damals in Ruanda stationierter französischer Soldaten an den Massakern geäußert. Dementsprechend wurde der aktuelle Report von der Regierung in Kigali begrüßt. Oppositionsparteien äußerten sich hingegen skeptisch zu der Veröffentlichung. Angesichts des »Ausmaßes an Infiltration und des Einsatzes von Agenten« zum Zeitpunkt des Attentats könne eine Beteiligung von Kagame-Leuten nicht ausgeschlossen werden, hieß es in einer von den Unified Democratic Forces (UDF) und dem Rwanda National Congress (RNC) veröffentlichten Stellungnahme. Nur eine internationale Untersuchung könne den Weg zur Gerechtigkeit ebnen, hieß es weiter.

Der neue Bericht entspricht jedenfalls den französischen Bemühungen der letzten Jahre, die Beziehungen zur Regierung Kagame zu normalisieren. Nach dem Ende des Bürgerkrieges war der Einfluß Frankreichs in der Region stark zurückgedrängt worden. Durch eine schrittweise Anerkennung der derzeitigen offiziellen ruandischen Version der Ereignisse versucht die Regierung Sarkozy seit einigen Jahren, wieder stärker Fuß zu fassen.

* Aus: junge Welt, 14. Januar 2012


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