Ethno-Fassade
Ruandas Krieg in Ostkongo wirft die Frage nach den Hintergründen des Völkermords von 1994 auf
Von Gerd Schumann *
Was nur hat die deutsche Justiz getrieben, Rose Kabuye, die persönliche Beraterin des ruandischen Präsidenten Paul Kagame, am Sonntag abend in Frankfurt/Main verhaften zu lassen? Handelte sie etwa unabhängig der robusten Interessen Berlins an neokolonialer Einflußnahme in dem zentralafrikanischen Staat am Rande der Großen-Seen-Region? Es darf spekuliert werden. Tatsache ist indes, daß im Laufe dieser Woche die jahrelang ungetrübten diplomatischen Beziehungen zwischen Kigali und Berlin in schwere Turbulenzen geraten sind. Den derzeitigen Höhepunkt bildet die Ausweisung des deutschen Botschafters aus Ruanda. Nicht nur für Kagame und die regierende ruandische Elite könnte die überraschende Kontroverse weitreichende unangenehme Folgen nach sich ziehen.
Im Zuge des neuerlichen Ostkongo-Kriegs gerät eines der düstersten Kapitel aus der jüngeren zentralafrikanischen Geschichte in den Blickpunkt: Der »Völkermord an den Tutsi« von 1994 in Ruanda, dem zwischen 500000 und 800000 Menschen zum Opfer fielen, und seine Vorgeschichte. Die Ereignisse, Gegenstand eines UN-Tribunals wie mehrerer Hollywood-Produktionen ebenso wie alljährlich internationalen Gedenkens unter Führung der Regierung in Kigali, werden plötzlich hinterfragt. Daran dürfte Kagame keinerlei Interesse haben. Zumindest zeigte er dieses in der Vergangenheit nicht ansatzweise, obwohl er alle Möglichkeiten zur Aufklärung besaß.
Fahndung seit zwei Jahren
Die 47jährige Kabuye wird seit 2006 von Frankreich per internationalem Haftbefehl wegen »Völkermords« gesucht. Die Tutsi sei, so der brisante, doch durchaus fundierte Vorwurf aus Paris, 1994 maßgeblich an der Ermordung des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana, einem Hutu, beteiligt gewesen. Damals gehörte sie zur Führung der etwa 20000, in Uganda ausgebildeten Bewaffnete zählenden Tutsi-Armee, die sich seit Mitte der 1980er Jahre RPR (Ruandische Patriotische Front) nannte und als Ziel den Regierungssturz in Kigali proklamierte.
Am 6. April 1994 traf eine Sam-7-Rakete die von zwei französischen Piloten gesteuerte ruandische Präsidentenmaschine im Anflug auf Kigali. An Bord: Die beiden Hutu-Staatschefs von Ruanda und Burundi, Jevénal Habyarimana und Cyprian Ntaryamira, die von einer Krisenkonferenz zur Lage in Ruanda aus Daressalam zurückkehrten. Mit Habyarimanas Tod begann eines der schlimmsten postkolonialen Massaker – an Tutsi, aber auch an Hutu – erschütterte das Land und führte zu Massenfluchten in die Grenzgebiete des Kongo. Seitdem stehen sich dort verschiedene, ethnisch definierte bewaffnete Gruppen gegenüber.
Seinen aktuellen Waffengang begründet der ostkongolesische Tutsi-Führer Laurent Ngunda bis heute mit seiner Forderung, mutmaßliche Hutu-Beteiligte an den Massakern an Kigali auszuliefern. Dort regiert mittlerweile allerdings Paul Kagame, der als einstiger Befehlshaber der heutigen Regierungspartei RPR ebenfalls des Angriffs auf das Flugzeug verdächtig ist. Er habe den Befehl gegeben, die Rakete abzufeuern, behaupteten nicht nur ehemalige Hutu-Generäle, sondern schon seit geraumer Zeit auch einstige Gefährten des Staatschefs. Kagame selbst, der im vergangenen Jahrzehnt wegen der Teilnahme an dem Genozid über 100000 Hutus inhaftieren ließ, ordnete nie eine ordentliche Untersuchung des Flugzeugabschusses an.
Ausgebildet in Kansas
Der 1957 im ruandischen Gitarama geborene Tutsi diente ab 1986 als Geheimdienstchef in Ugandas offizieller Armee bis 1990, wurde dann an die Militärakademie von Fort Lavenworth im US-Bundesstaat Kansas delegiert. Den Kursus mußte er im Oktober desselben Jahres Hals über Kopf beenden. Die Anwesenheit des 34jährigen in Ruanda war nach 30jährigem Exil in Uganda aus US-Sicht zwingend notwendig geworden. Der Diktator des Nachbarlands Kongo (damals Zaire), Mobutu Sese Seku, bis 1990 in einer bipolaren Welt zuverlässiger Partner des Westens bei der Verschleuderung der nationalen Bodenschätze, erwies sich zunehmend als unsicherer Kantonist, zumal ihm seine ehemaligen Freunde im Kampf gegen den Weltsozialismus zu verstehen gaben, daß sie ihn nun nicht mehr brauchten.
Die verschiedenen neokolonialistischen Kräfte mischten die Karten neu, Verteilungskämpfe um die »Schatzkammer Zentralafrikas« folgten. Uganda war bereits US-gesteuert, doch das zweite wichtige Nachbarland Ruanda und deren damalige Hutu-Administration, die von Frankreich gestützt wurde, zeigte sich unkooperativ. Die Tutsi-Exilanten in Uganda wurden hochgerüstet. 1990 intervenierten die RPR-Truppen von Uganda aus in Ruanda.
Besuch im Knast
Zwei Kongo-Kriege später sind die Einflußspären zwischen den wichtigsten neokolonialen Lagern immer noch nicht exakt abgesteckt. Derzeit scheint es, als würden insbesondere London und Paris auf Kinshasa und den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens im Kongo setzen und es gegebenenfalls auch durch militärische Intervention absichern. Insbesondere Washington, aber auch Berlin, setzen weiter auf den Status quo im Ostkongo insbesondere durch Verstärkung der Blauhelmtruppe MONUC. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte noch am Mittwoch deren Aufstockung um weitere 3000 Soldaten auf 20000.
Diese fungierten dann – wie bereits in den vergangenen bald zehn Jahren weitgehend erfolglos – lediglich als Puffer zwischen den bewaffneten Kräften. Ruanda könnte sich über ihre Tutsi-Rebellenarmee unter ihrem General Laurent Nkunda, einem engen Kampfgefährten Kagames, schadlos halten. Nkunda würde weiter, wie auch jetzt, mit der »Hutu-Gefahr« argumentieren. Die ethnische Begründung des Kriegs im Ostkongo kommt insbesondere Ruanda gelegen, weil sie das Problem verschleiert.
Auch bei der seit August geführten Militäroffensive unter Nkunda handelt es sich um den Versuch Ruandas, seinen Zugriff auf die ungeheuer wertvollen Bodenschätze der Region zu sichern, wenn möglich dauerhaft. Der Tutsi-Rebellenchef nimmt dabei die Rolle eines Statthalters von Ruandas Präsidenten ein. Dieser wiederum konnte sich bei seinem Geschäft als Oberhändler für Coltan, Kobalt, Gold und Diamanten auf der »Drehscheibe Ruanda« auf die Rückendeckung seiner Abnehmer im Norden der Erdkugel verlassen. Insbesondere die USA, wo Kagame militärisch ausgebildet wurde, aber auch die ehemalige Kolonialmacht von »Deutsch-Ostafrika« hofieren den Präsidenten. Bisher.
Am Dienstag (11. Nov.) besuchte Kagame seine Vertraute Kabuye im Frankfurter Knast. Der Präsident weilte gerade in der Finanzmetropole am Main: Die Börse hatte ihn eingeladen – unter anderem zu einem Vortrag vor Geschäftsleuten. Nun steht die Auslieferung seiner Protokollchefin und RPR-Mitkämpferin von Deutschland nach Frankreich unmittelbar bevor. Oder doch nicht? Kagame pocht auf die »diplomatische Immunität« Kabuyes. Sie sei in offizieller Mission nach Deutschland gereist, so der Präsident.
* Aus: junge Welt, 14. November 2008
Wagemutig
Rose Kabuye / Die 47-Jährige ehemalige ruandische Guerillakämpferin sitzt in Auslieferungshaft
Von Martin Ling **
An Mut fehlt es Rose Kabuye nicht: Sie sei bereit, in Frankreich auszusagen. Seit Sonntag sitzt die rechte Hand von Ruandas starkem Mann, Paul Kagame, in Frankfurt am Main in Auslieferungshaft. Der Termin für die Überstellung hänge nun allein von den französischen Behörden ab, sagte Staatsanwältin Hildegard Becker-Tousaint.
Der Vorwurf des französischen Ermittlungsrichters Jean-Louis Bruguière hat es in sich: Verwicklung in den Abschuss der Maschine des damaligen ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana am 6. April 1994. Wer das Flugzeug vom Himmel geholt hat, ist umstritten. Sicher ist hingegen, dass dieser Vorfall unmittelbar das Signal zum Losschlagen der Hutu-Extremisten gab. In den folgenden 100 Tagen wurden rund 800 000 Tutsi und moderate Hutu ermordet. Ein Völkermord, der bis heute im Gebiet der Großen Seen seine Nachwehen zeigt und gerade die benachbarte Demokratische Republik Kongo wieder in Kriegswirren stürzt. Dort beruft sich der Tutsi-General Laurent Nkunda bei seinen Aktivitäten auf den Schutz vor nach dem ruandischen Bürgerkrieg in Kongo gestrandeten Hutu-Extremisten.
In besagtem Bürgerkrieg, der im Juli mit einem Sieg der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) endete, kämpfte Rose Kabuye als eine der wenigen Frauen mit dem Gewehr in der Hand. Ein Schrapnell in ihrem Fuß blieb ihr als manifeste Erinnerung.
Nach dem Bürgerkrieg war sie als Bürgermeisterin maßgeblich am Wiederaufbau der Hauptstadt Kigali beteiligt, integrierte Vertriebene und setzte sich für die Versöhnung von Tutsi und Hutu sowie für Frauenrechte ein. In Ruanda sitzen inzwischen mehr Frauen als Männer im Parlament.
Rein rechtlich geht bei ihrer Auslieferung alles mit rechten Dingen zu: Frankreich ermittelt, weil beim Abschuss französische Piloten ums Leben kamen, Deutschland muss bei einem europäischen Haftbefehl zwingend ausliefern. Ein bitterer Beigeschmack bleibt: Frankreichs mehr oder weniger offene Unterstützung der Hutu-Elite während des Bürgerkriegs gilt außerhalb von Frankreich als gesichert. Ein rechtstaatlicher Prozess, der Licht ins Dunkel des Absturzes bringt, wäre zu begrüßen. Kabuye scheint dem nicht entgegenzustehen.
** Aus: Neues Deutschland, 14. November 2008
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