Einmal Verlierer, immer Verlierer?
Bukarester Sommerimpressionen zwischen Selbstmitleid und Selbstbehauptung
Von Michael Müller, Bukarest *
Die Rumänen sind ein stolzes wie nationalbewusstes Völkchen. Die
vermeintliche Auszeichnung, auf »der lateinischen Insel im slawischen
Meer« leben zu dürfen, hat, Jahrhunderte lang durch alle Systeme
hindurch gehätschelt, tiefe Spuren hinterlassen. Aber irgendwie
entwickeln Rumänen dennoch ganz gern die geradezu masochistische
Larmoyanz des immerwährenden Verlierers. Und das scheint keine
Koketterie zu sein, sondern tiefe Überzeugung.
Manche ihrer Balkannachbarn sehen darin nicht etwa nur eine leichte
Psychose, sondern achselzuckend bis abfällig rumänische Realität. Bei
den Bulgaren auf der südlichen Donauseite beispielsweise ist das seit
langem auch sprichwörtlich: Wlasite se dawjet na kraja Dunawa. Was so
viel heißt wie: Die Walachen ertrinken bereits am Donauufer – übertragen
gebraucht in einem Fall, bei dem schon alles schief geht, bevor es
überhaupt begonnen hat.
Nur wenig gelindert worden ist dieses Verlierertrauma von der eigentlich
Hoffnung gebenden Entwicklung Rumäniens nach dem Ende des »großen
Sprunges« im letzten Ceausescu-Jahrzehnt, der zwar im Vergleich zum
chinesischen Vorbild ein winziger, für das Volk indes ein nicht weniger
katastrophaler gewesen ist. Und leider bekommt es auch immer wieder
Nahrung. Selbst im Popzeitalter. Als Michael Jackson Ende der 90er Jahre
durch Rumänien tourte, feierten ihn in Bukarest fast 100 000 Fans. Und
wie wurden sie von ihrem Idol begrüßt? – »Hallo, I'm here and I love
Budapest!« Armes Bukarest.
Der Puls rast
Dabei ist Bukarest, das in Ceausescu-Endzeit bei Tristesse in Geschäften
und Restaurants, auf Straßen und Plätzen neben Albanien sicher den
Europarekord hielt, inzwischen eine schier rastlose, wachsende, aber
auch belastend-gewöhnungsbedürftige Stadt geworden. Selbst im Sommer
pulsiert zwischen dem Platz des Sieges, dem Römischen Platz und dem
Universitätsplatz entlang der großen Boulevards, viel mehr aber noch in
den kleinen Nebenstraßen, das pralle Leben. Steigende Einkommen und
ebenso wachsender Konsum scheinen nicht nur auf dem Statistikpapier zu
stehen. »Wenn mein Einkommen jährlich um 25 Prozent wächst, kann ich
sogar ein Leben auf Pump riskieren«, kennzeichnet Andres Grof,
österreichischer Handelskommissär, die Situation aus seiner Sicht.
Österreich ist Rumäniens maßgeblichster Wirtschaftspartner. Und aus
Österreichischer Sicht mag Grofs Einschätzung auch zutreffen. Von
»Billa«, dem größten österreichischen Lebensmittelhändler, heißt es,
dass sein Durchschnittsumsatz pro Kunde in Rumänien bereits höher sei
als daheim. Der Konzern gibt laut der englischsprachigen Bukarester
Zeitung »Nine o'clock« an, die derzeitige Zahl seiner Supermärkte in den
kommenden drei Jahren zu verzehnfachen, von 20 auf 200.
Espresso und Schuhe
Nicht so euphorisch, aber dennoch unverbissen optimistisch sehen das
Alexandra Cristea und Adrian Popescu, die sich in der Mittagspause in
einem kleinen Cafe in der Ion-Chica-Straße nahe der Uni treffen. »Der
Espresso für fünf Lei (ein Euro etwa 3,50 Lei – d. A.) und der
Taxikilometer für 1,60 klingt für westeuropäische Ohren sicher
märchenhaft. Aber Schuhe und Jeans sind hier so teuer wie dort. Ich habe
im Monat bloß rund 700 Lei flüssig«, sagt Alexandra, die gleich in der
Nähe im Laden eines Telefonanbieters arbeitet.
Ihr Freund, Student der Betriebswirtschaft, nickt, meint aber, dass man
zusammen schon auskäme. Er mache gerade ein Praktikum bei Baumax (auch
ein österreichisches Unternehmen – d. A.), und hofft, dass »der Boom bei
uns anhält. Die Bauwirtschaft hat nach dem EU-Beitritt einen
ordentlichen Schub bekommen«, sagt er. Auf die Frage, ob die beiden ihr
Glück so wie bislang zwei Millionen ihrer – vor allem junger –
Landsleute nicht doch lieber im Ausland versuchen wollten, wehren sie
ab. Adrian rasselt Wirtschaftswachstumszahlen herunter, verweist auf die
zu erwartende Rekordernte in diesem Jahr, auf das mögliche Abflauen der
Inflation.
Zugegeben, eine zufällige Momentaufnahme. Aber sie klingt erfreulicher
Weise, und dies gerade von zwei jungen Leuten, so, als wenn nach den
Verliererzeiten irgendwo neue Hoffnung keimt. Mit westeuropäischen Augen
gesehen, scheint diese Hoffnung indes sehr fragil. Aufschwung in
Bukarest seit 1991 bedeutet beispielsweise auch die höchste
McDonald's-Dichte Europas und einen Sprung der Pkw-Zahlen von 160 000
auf rund 1,2 Millionen. Nun rechnet Bürgermeister Sorin Oprescu zwar
vor, dass eine stringente Parkraumbewirtschaftung allein der rund 400
000 Firmen- und Geschäftswagen jährlich umgerechnet 48 Millionen Euro
einbrächte – doch für diese Parkraumbewirtschaftung gibt es noch nicht
einmal die nötige Fläche, geschweige denn Stellplätze mit Parkuhren.
In einem Teufelskreis scheint auch die Rekonstruktion und Erneuerung von
öffentlichen wie von Wohngebäuden zu stecken. Letztere wurden nach 1991
fast gänzlich privatisiert, womit der Staat aber auch die
Unterhaltungsverpflichtung los war. Glücklicherweise, ist man fast
versucht zu sagen. Denn Oprescu als neuen Bukarester Bürgermeister
dürfte bereits das Problem der rund 30 000 herrenlosen Hunde in der
Stadt bis über seine Amtszeit hinaus begleiten. So wie schon alle seine
Vorgänger, mutmaßte kürzlich die Tageszeitung »Ultima Ora«.
Da hat die rumänische Landesregierung ganz andere Sorgen. Einmal die,
überhaupt in den Sesseln zu überdauern; aber die nächsten
Parlamentswahlen im Spätherbst 2008 sind in Sichtweite. Und dann vor
allem die, von der EU als Strafe für ungenügende Korruptionsbekämpfung
Mittel gestrichen zu bekommen. Vor gut zwei Wochen war der Kelch gerade
mal an ihr vorbei gegangen.
Das Korruptionsproblem, über das einerseits viele Rumänen im Alltag
klagen, um sich andererseits traditionell auch selbst immer wieder damit
zu arrangieren, ist offenbar hoffnungslos verwurzelt. Auf die
administrative Schwäche im Kampf dagegen wies Daniel Morar,
Chefermittler der Nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA), jüngst in der
Zeitung »Gardianul« hin. Was seine Behörde leiste, würde nicht in
zwingende politische Entscheidungen umgesetzt. Warum? – »Politiker
kommen und gehen eben und lassen die Staatsanwälte alleine.« Außerdem
koste Antikorruptionskampf auch etwas.
Dass es an Geld andernorts durchaus nicht fehlt, konnte man gerade dem
»Rumanian Online Courier« entnehmen. Das Verteidigungsministerium werde
die alten MiG 21 Lancer durch 48 neue Maschinen eines NATO-Typs
ersetzen: Stückpreis bis zu 110 Millionen US-Dollar. Und das erwägt ein
Ministerium, das in einer Stadt sitzt, in der alle Stromkabel immer noch
nicht unterirdisch verlaufen, sondern gebündelt oben von Lichtmast zu
Lichtmast. Aber was will ein Bürgermeister groß dagegen machen, zumal er
von einer Parteienkoalition gestützt wird, zu der auch die
national-populistische Neue Generation eines Gigi Becali gehört.
Ceausescu übertrumpft
Dieser Makedo-Rumäne, einst Schafhirte, ist zwar inzwischen nur noch
Milliardär Nr. 2 des Landes. Er steht ob seiner Vita aber exemplarisch
für die gesamte erste Reihe des Hassardeurkapitalismus, der den
Katastrophensozialismus ablöste. Allerdings hatte die Ceausescu-Riege
von solchen Villen, wie der von Becali an der Ecke Alexandrustraße /
Aviatorilor Boulevard nur träumen können.
Die da völlig machtlose DNA macht indes auf Aktionismus. Etwa mit einem
Plakat, sinnigerweise auch direkt über den Köpfen von Grenz- und
Zollbeamten auf dem Bukarester Flughafen. Eine gespannte Mausefalle ist
da zu sehen, mit einer Rolle Geldscheine als Köder und einer Hand, die
zugreifen will. Darüber die Mahnung: Nu aproba coruptia! (Versuchs erst
gar nicht mit Korruption!). Leider bekommen Leute, die es eigentlich
anginge, solch ein Plakat noch nicht mal zu sehen, weil sie an Zöllnern
wie Grenzern vorbei geschleust werden. Man ist fast schon wieder
geneigt, den Rumänen zuzugestehen, dass am Ende wieder sie die Verlierer
sind.
* Aus: Neues Deutschland, 9. August 2008
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