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Rumäniens Regierung tritt zurück

Absturz in Umfragen nach Protesten gegen Sparpolitik

Nach landesweiten Protesten gegen die Sparpolitik der Regierung sind der rumänische Ministerpräsident Emil Boc und sein Kabinett am Montag zurückgetreten.

Regierungschef Boc begründete seinen Rücktritt mit der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung. »Ich habe beschlossen, mein Mandat niederzulegen, um die politische und soziale Situation im Land zu entspannen«, sagte er gestern nach einer Kabinettssitzung. »Ich klammere mich nicht an die Macht.« Es gehe jetzt darum, dass Rumänien die dank der bisherigen Politik gewonnene Stabilität nicht verliere. Seine bürgerliche Partei PDL hatte Boc allerdings zum Rücktritt gedrängt, nachdem sie in Umfragen immer weiter abgesackt war - allein zwischen Dezember und Februar von 21 auf 15 Prozent. Bis zur Wahl einer neuen Regierung durch das Parlament ernannte Staatspräsident Traian Basescu Justizminister Catalin Predoiu zum kommissarischen Regierungschef.

Beobachter rechen damit, dass ähnlich wie in Griechenland und Italien ein Technokrat die Führung der Regierung übernehmen könnte. Das Vorschlagsrecht hat der Staatschef. Dazu wollte Basescu noch am Montag Beratungen mit allen Parlamentsfraktionen aufnehmen. Im November stehen in Rumänien reguläre Parlamentswahlen an. Bukarest war von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) zu einem harten Sparkurs gezwungen worden. Der hatte im Januar zu landesweiten Massenprotesten geführt. Boc erklärte zwar, er verstehe die Sorgen der Menschen, doch die Sparpolitik müsse fortgesetzt werden.

* Aus: neues deutschland, 7. Februar 2012


Rumäniens Regierung stürzt über Proteste

Ministerpräsident Boc abgetreten. Opposition fordert Neuwahlen **

Unter dem Druck wochenlanger Proteste gegen die von seiner Regierung geplanten Kürzungen sind der rumänische Ministerpräsident Emil Boc und sein Kabinett am Montag zurückgetreten. Er wolle mit diesem Schritt die Stabilität des Landes bewahren und »die soziale Lage entspannen«, sagte der Politiker der Liberal-Demokratischen Partei (PDL). Zum Übergangschef der Regierung wurde der parteilose Justizminister Catalin Prediou ernannt.

»Ich weiß, daß ich schwierige Entscheidungen getroffen habe, aber die Früchte sind schon zu sehen«, behauptete Boc. Das Wichtigste sei die wirtschaftliche Stabilität des Landes. »In Zeiten der Krise steht die Regierung nicht in einem Beliebtheitswettbewerb, sondern rettet das Land.«

Im Januar waren über Wochen Zehntausende Menschen aus Protest gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Der damalige Außenminister Teodor Baconschi wetterte in seinem Internetblog, die Zukunft Rumäniens werde nicht von den »gewaltsamen und unbedarften Elendsvierteln« entschieden. Wegen dieser »Entgleisungen« wurde er daraufhin von Boc entlassen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU ihrerseits hatten zuletzt ihre Zufriedenheit über den strikten Sparkurs der Regierung geäußert.

Das Parlament in Bukarest hat nun 60 Tage Zeit, ein neues Kabinett zu bestimmen. Sollte es scheitern, wird es aufgelöst, und es kommt zu Neuwahlen. Allerdings verfügen die regierende Koalition und ihre Partner im Parlament über genügend Stimmen, um eine neue Regierung durchzusetzen. Politiker der Oppositionsparteien forderten hingegen, die bislang für November geplante Parlamentswahl vorzuziehen. »Das ist ein Sieg für alle, die auf den Straßen demonstriert haben«, sagte Crin Antonescu, Vorsitzender der oppositionellen Liberalen Partei. »Die korrupteste, inkompetenteste und verlogenste Regierung« sei fort.

** Aus: junge Welt, 7. Februar 2012


Basescus Bauernopfer

Von Detlef D. Pries ***

Das erste Bauernopfer war vergebens. Zwei Wochen nach der Entlassung von Außenminister Teodor Baconschi trat Rumäniens Regierungschef Emil Boc am Montag samt seinem Kabinett zurück. Baconschi hatte seine Landsleute, die seit dem 12. Januar trotz klirrender Kälte zu Tausenden auf die Straße gegangen waren, als »vom Fernsehen verblödetes Volk« beschimpft. So weit hatte Boc nicht gehen wollen: Er entschuldigte sich für seinen Kollegen und äußerte Verständnis für die »einfachen« Rumänen. Die sind angesichts zweistelliger Arbeitslosenrate, um ein Viertel gekürzter Gehälter, auf miserablem Stand eingefrorener Renten und einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 24 Prozent tatsächlich an der Grenze ihrer Leidensfähigkeit angelangt. Das Land hat in zehn Jahren durch Geburtenrückgang und massenhafte Auswanderung mehr als zehn Prozent seiner Bevölkerung verloren, weil - wie die Zeitung »Adevărul« schrieb - »Rumänien derzeit kein lebenswerter Ort ist«. Für Boc, seine Partei PDL und den eigentlichen Regierungschef, Staatspräsident Traian Băsescu, bleibt die vom Internationalen Währungsfonds und der EU verordnete Sparpolitik jedoch »alternativlos«. Das Angebot zum Dialog mit der Zivilgesellschaft war demnach so ernst nicht gemeint. Von Machtverlust bedroht, haben Băsescu und die PDL nun auch Boc geopfert. Dass sich dadurch »die politische und soziale Situation im Lande entspannt«, wie der Geopferte hofft, bleibt arg zu bezweifeln.

*** Aus: neues deutschland, 7. Februar 2012 (Kommentar)


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