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Absturz in Rumänien

Restriktive Etatpolitik, verschuldete Konsumenten und wachsende Erwerbslosigkeit: Die Krise hat das ehemals boomende Balkanland fest im Griff

Von Tomasz Konicz *

Noch vor zwei Jahren wurde Rumänien als der neoliberale Musterknabe Osteuropas und als der Tigerstaat des Balkans bejubelt. Niedrigste Unternehmenssteuern gepaart mit Hungerlöhnen und einer umfassenden Privatisierungskampagne ließen die ausländischen Investitionen in dem Land von knapp zwei Milliarden 2003 auf nahezu zwölf Milliarden US-Dollar 2006 ansteigen. Heute sieht das anders aus. Nachdem die Direktinvestitionen im ersten Halbjahr 2009 um 42,9 Prozent auf umgerechnet nur noch vier Milliarden Dollar einbrachen, taugt das Land allenfalls als Projektionsfläche chauvinistischer Ressentiments »christdemokratischer« deutscher Ministerpräsidenten.

Der ökonomische Wandel in Richtung Absturz in dem knapp 22 Millionen Einwohner zählenden Balkanstaat erreicht inzwischen Dimensionen, die denen des Baltikums nahekommen, das kurz vor dem sozialökonomischen Kollaps steht. [Siehe hierzu: "Zeitbombe Baltikum".] Die Wirtschaftszeitung Ziarul Financiar warnte jüngst, daß Rumänien nun »vor dem härtesten Herbst seit zehn Jahren« stehe. Die einbrechende Nachfrage, eine restriktive Kreditvergabe seitens der Banken, die hohen Kreditzinsen und der Fall der Währung Leu bildeten die wichtigsten Faktoren, die dazu beitragen könnten, daß Rumänien »sogar noch weiter in die Rezession abgleiten« könne.

Tatsächlich bildete der durch großzügige Kreditvergabe finanzierte private Konsum ein wichtiges Standbein der dortigen Ökonomie, der noch im zweiten Quartal ein Wachstum von 9,3 Prozent erreichen konnte. Ähnlich dem Baltikum bildete sich in Rumänien einer Defizitkonjunktur aus, die durch private Verschuldung der Konsumenten befeuert wurde. Die Neuverschuldung der Privathaushalte stieg 2007 und 2008 quartalsweise zwischen 45 bis 65 Prozent (jeweils gegenüber dem Vorjahreszeitraum) an. Kein Wunder, daß durch diese Kreditorgie die Wirtschaft angekurbelt wurde. Das Land sieht sich nun allerdings einem Berg von etwa 75 Milliarden Euro Auslandsschulden gegenüber. Ein Großteil dieses von westlichen Banken verliehenen Geldes floß auch noch in den Konsum westlicher Waren. Kurz vor Ende dieses Konsumrauschs Ende 2008 betrug das rumänische Handelsdefizit stolze 14,8 Milliarden Euro. Überdies wurde auch ein großer Teil der Konsumentenkredite und Hypotheken in westlichen Währungen aufgenommen, so daß nun die Abwertung des heimischen Leus die Bedienung dieser Kredite verteuert.

Im zweiten Quartal dieses Jahres sank der private Konsum um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die gesamte rumänische Volkswirtschaft geht praktisch in den freien Fall über. Von Januar bis März schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, im zweiten Quartal waren es bereits 8,8 Prozent. Die Rezession scheint sogar weiter an Dynamik zu gewinnen, da für das dritte Quartal ein Einbruch von neun Prozent prognostiziert wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat bereits im Juli seine Wirtschaftsprognose für Rumänien korrigiert und geht von einem BIP-Rückgang von 8,5 Prozent 2009 aus. Selbst die Ratingagentur Moodys prognostizierte, daß Rumänien erst 2010 aus der Rezession herauskommen werde.

Noch vor wenigen Jahren herrschte im Land ein ernsthafter Arbeitskräftemangel. Die Regierung startete gar eine Anwerbungskampagne in Ita­lien und Spanien, wo Hunderttausende Arbeitsmigranten leben, um diese zu einer Rückkehr in ihr Heimatland zu bewegen. Bei einer durchschnittlichen monatlichen Nettovergütung von umgerechnet 350 Euro in Rumänien blieben diese Bemühungen größtenteils erfolglos. Mitte August versuchte der Finanzminister nun, die Öffentlichkeit zu überzeugen, daß die Arbeitslosigkeit - die im Juli amtlich bei 6,3 Prozent lag - in diesem Jahr auf jeden Fall im »einstelligen« Bereich verbleiben werde. Angesichts der üblichen Manipulation der Statistik kann aber davon ausgegangen werden, daß sich die tatsächliche Erwerbslosenquote schon längst im zweistelligen Bereich befindet. Der Anstieg ist vor allem dem Einbruch in der verarbeitenden Industrie und dem Bausektor geschuldet. Die Umsätze der Industrie sanken in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um 17,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Viele der westlichen Unternehmen, die arbeitsintensive Fertigungsschritte nach Rumänien auslagerten, setzten auch hier zuerst den Rotstift an.

Von umfassenden Konjunkturpaketen, wie sie sich viele westliche Industriestaaten gönnen, können die Rumänen nur träumen - das Land befindet sich längst im Würgegriff des IWF. Im März dieses Jahres mußte Bukarest einen Notkredit des Währungsfonds in Anspruch nehmen, um einen drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Die sich auf 20 Milliarden Euro belaufenden Darlehenszusagen konnten den Staatsbankrott zunächst abwenden und die Talfahrt der Währung stoppen. Doch hatte die »Hilfe« des IWF einen hohen Preis. Bukarest wurde zu einer restriktiven Haushaltspolitik verpflichtet, die mit massiven staatlichen Ausgabenkürzungen einhergeht. Mitte August wurde publik, daß die Regierung 14000 öffentlich Bedienstete im Zuge der Sparmaßnahmen entlassen will. Zudem sollen im öffentlichen Sektor weitere Einkommenskürzungen durchgesetzt werden, die sich auf 225 Millionen Euro summieren sollen. Am 2. September erklärte die sozial­liberale rumänische Koalition, das entsprechende Gesetzesvorhaben an ein Mißtrauensvotum koppeln zu wollen, um so »langwierige parlamentarische Debatten« zu vermeiden.

Rumäniens Staatsdiener scheinen diese Kürzungsorgie nicht widerspruchslos hinnehmen zu wollen. Bereits Ende August sind Hunderte Polizisten in Bukarest auf die Straße gegangen, um gegen die geplanten Lohnsenkungen zu demonstrieren. Die Gewerkschaftsvereinigung »Cartel ALFA« kündigte landesweite Proteste und Streiks an, sollte die Regierung ohne weiteren Dialog mit den Betroffenen ihre Pläne umsetzen wollen. Man »werde alle möglichen Aktionen in Betracht ziehen«, welche geeignet sind, die Regierung zum Rücktritt zwingen, drohten die Gewerkschafter am 7. September.

* Aus: junge Welt, 9. September 2009


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