Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rumänien ist kein Land für Kranke

Nur drei von 431 staatlichen Krankenhäusern entsprechen dem europäischen Standard

Von Denis Grigorescu, Bukarest *

Das rumänische Gesundheitssystem wird von der Regierung vernachlässigt. Lediglich 3,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) werden für die Gesundheitsversorgung aufgewendet. Wer es sich leisten kann, flieht deshalb zur Behandlung nach Ungarn. Auch das medizinische Personal verlässt Rumänien.

Rumänien ist schön, von seinen Landschaften bis hin zur freundlichen Lebensart. Wer allerdings auf Dauer hier leben möchte, sollte eines mitbringen: Gesundheit. Denn Rumänien ist kein Land für kranke Menschen. Krankwerden ist in Rumänien gefährlich. Vor allem für jene Rumänen - die Mehrheit im Lande - die mit weniger als 200 Euro im Monat auskommen müssen. Denn Kranksein ist teuer, die Kliniken schlecht und die Behandlung mangelhaft. Den Ausflug zur Behandlung etwa nach Ungarn können sich nur wenige leisten.

Die meisten der 431 staatlichen Krankenhäuser in Rumänien könnten als Szenarien für Gruselfilme dienen. Gerade einmal drei der Kliniken entsprechen dem Standard in der Europäischen Union, der Rumänien angehört. Das gibt selbst Gesundheitsminister Ion Bazac zu. Die drei Ausnahmekrankenhäuser sind die Floreasca-Klinik in Bukarest, das Onkologische Institut in Cluj und das Herz-Institut in Targu Mures.

Seit drei Jahren ist Rumänien Mitglied der Europäischen Union. Die Lage im Gesundheitssystem und besonders in den Krankenhäusern ist aber weiter katastrophal. Gegenwärtig werden gerade einmal 3,6 Prozent des BIP zur Finanzierung des Gesundheitswesens ausgegeben. Damit liegt Rumänien in der EU auf dem letzten Platz.

In vielen Krankenhäusern werden hochbetagte Patienten abgewiesen, weil sie angeblich zu alt für eine Behandlung sind. Für die Krankenschwester ist ein Trinkgeld von zwei Euro üblich. Im Klartext ist das eine Bestechung, ohne die man nicht behandelt wird. Immer wieder hat das Fernsehen in Rumänien über die Missstände berichtet. Mehr als 100 000 Menschen haben sich in solchen Sendungen beklagt. Geändert aber hat sich nichts, die Bevölkerung hat eher den Eindruck, dass der Regierung die Lage im Gesundheitswesen vollkommen egal ist.

Konkrete Fälle scheinen das zu belegen. Vor wenigen Wochen erlitt ein achtzigjähriger Mann aus Campulung, einer Stadt etwa 160 Kilometer vom Bukarest entfernt, einen Gehirnschlag. Seine Angehörigen brachten ihn zunächst ins Bezirkskrankenhaus von Pitesti, doch die Ärzte dort wollten ihm nicht sofort helfen. Sie riefen zunächst in Bukarest an, um sich die Behandlung des alten Mannes genehmigen zu lassen. Hätte es sich um einen jüngeren Patienten gehandelt, wäre er sofort behandelt worden, da ist sich die Bevölkerung der Gegend sicher.

Gegen solche Vorkommnisse häufen sich die Beschwerden. Aber selbst wenn sie anerkannt werden, sind die Sanktionen für Ärzte oder Pflegepersonal sehr gering. Sie bestehen meist nur in kleinen Gehaltsminderungen. Entlassen wurde aufgrund solcher Beschwerden in den vergangenen fünf Jahren niemand.

In rumänischen Krankenhäusern sterben Menschen nicht nur an Krankheiten sondern auch an den Folgen des desolaten Ausrüstungsmangels. Es fehlt an Handschuhen für die Ärzte und an Desinfektionsmitteln. Zudem ist die persönliche Hygiene des Personals oft mangelhaft. Fast 10 000 Fälle von Infektionen während Krankenhausaufenthalten wurden 2008 gemeldet. Immerhin eine Verbesserung gegenüber den Jahren 2003 bis 2005, als jährlich rund 50 000 Fälle gemeldet wurden.

Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde der rumänische Streifen »Der Tod des Herrn Lazarescu« ausgezeichnet, in dem ein Patient im Krankenwagen eine ganze Nacht lang von Klinik zur Klinik gefahren wird. Das ist im heutigen Rumänien keine Fiktion, sondern die Wirklichkeit. Rumänen mit Geld gehen deshalb in Privatkliniken, die, anders als die staatlichen Einrichtungen, durchaus auf dem europäischen Niveau sind. Oder sie reisen ins Nachbarland Ungarn, um sich dort behandeln zu lassen. Vor allem werdende Mütter machen diese Reise, obwohl sie teuer ist. Insgesamt fahren jährlich rund 10 000 Rumänen in das Nachbarland zur Behandlung. Eine Geburt ist dort beispielsweise mit 500 Euro auch noch billiger als in Rumänien. Die Kliniken sind gut ausgestattet und niemand verlangt ein »Trinkgeld«. Die Zahl der Rumänen, die sich 2008 in einem anderen Land haben behandeln lassen, beläuft sich auf etwa 50 000.

Die private Gesundheitsversorgung wird in Rumänien derweil zu einem guten Geschäft. Inzwischen gibt es 66 private medizinische Unternehmen mit einem Umsatz von 430 Millionen Euro im Jahr 2009. Sie bezahlen ihr Personal gut, was in staatlichen Einrichtungen nicht der Fall ist. Deshalb gehen immer mehr Ärzte und Krankenschwestern ins Ausland. Über 6000 rumänische Ärzte sind in den vergangenen drei Jahren nach Westeuropa übergesiedelt. Im Land gibt es 23 000 Doktoren, aber ihre Zahl sinkt jährlich um 2500.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Februar 2010


Zurück zur Rumänien-Seite

Zurück zur Homepage