Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Menschen in Portugal sind wachsam

Der Linkspolitiker Pedro Filipe Soares über die schmerzhaften Folgen der Kürzungspolitik vor der Wahl im Herbst *


Pedro Filipe Soares, Jahrgang 1979, ist Fraktionsvorsitzender der Linkspartei Bloco de Esquerda (BE) im portugiesischen Parlament. Die Partei ist derzeit mit acht Abgeordneten vertreten. Über die anstehende Wahl im Oktober, die fortwährende soziale und wirtschaftliche Krise in Portugal sowie innerhalb der Linken in dem Land sprach mit dem Mathematiker Soares für »nd« Hans-Gerd Öfinger.

nd: Nach aktuellen Medienberichten plant die konservative portugiesische Regierung zusammen mit der Spitze der sozialdemokratischen PS eine Art Vorzensur, wonach alle Medien des Landes 15 Tage vor der Parlamentswahl im Oktober ihre Berichterstattung mit einer neuen Kommission abstimmen sollen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Strafen. Was halten Sie davon?

Soares: Dieser Vorstoß zeigt, dass Nervosität und Angst vor Enthüllungen und kritischer Berichterstattung zunehmen. Aber unter dem Druck massiver Proteste hat Ministerpräsident Pedro Passos Coelho den Gesetzentwurf jetzt vorerst »auf Eis gelegt«. Auch 41 Jahre nach der Nelkenrevolution von 1974, die das Ende der Diktatur brachte, sind die Menschen in Portugal wachsam.

Exporthit Podemos? Portugal fehlt Massenbasis für eine große Linkspartei

Mit einer einheitlichen Strategie und Bündelung der Kräfte tut sich die zerfranste portugiesische Linke nach wie vor schwer. Einen Hoffnungsschimmer bildete der rasche Aufstieg der neuen spanischen Partei Massenpartei »Podemos« (Wir können) seit Anfang 2014. Er hat auch im iberischen Nachbarland politische Aktivisten fasziniert und potenzielle Nachahmer auf den Plan gerufen. So verließ im vergangenen Jahr eine Gruppe um die ehemalige Parlamentsabgeordnete Joana Amaral Dias und den Journalisten Nuno Almeida die Linkspartei Bloco de Esquerda (BE) und rief die Partei Juntos Podemos (Gemeinsam können wir) ins Leben. Kritiker sahen diesen Schritt schon damals mit Skepsis, zumal Portugal im Gegensatz zu Spanien seit 2012 keine fortlaufende breite Protestwelle erlebt hatte, die möglicherweise eine Massenbasis für eine neue bedeutende politische Bewegung gebildet hätte. Zur Gründungsversammlung von Juntos Podemos Ende 2014 hatten die Anhänger der kleinen, in einer lateinamerikanischen Version des Trotzkismus verwurzelten Organisation Movimento de Alternativa Socialista (MAS) so stark mobilisiert, dass sie eine Mehrheit im Saal stellten und die neue Organisation übernahmen. MAS-Strategen hoffen nun, dass das neue Etikett Juntos Podemos der bisher an der Wahlfront erfolglosen Organisation einen Stimmenzuwachs beschert.
Joana Amaral Dias und Nuno Almeida sahen in der Majorisierung durch die MAS eine »feindliche Übernahme« und gründeten im März 2015 mit etwa 100 Anhängern die neue Partei Agir (Handeln). Weil die Zeit bis zur Parlamentswahl drängt, gingen die auf Mandate hoffenden Gründer auf der Suche nach Verbündeten für eine Listenverbindung mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Korruptionsbekämpfung auf andere Miniparteien zu – darunter auch Abtreibungsgegner, Monarchisten und Ultraliberale. Letztlich erklärte sich nur die auf der Insel Madeira existierende linkssozialdemokratische PTP zur neuen Listenverbindung mit dem Titel AGIR-PTP bereit.
Hans-Gerd Öfinger



Ihre Partei ist auch in Sachen Troika-Auflagen und Austeritätspolitik sehr aufmerksam gewesen. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?

Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 14 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei über 35 Prozent. Eine Frühjahrsbelebung gibt es nicht. Ohne die Auswanderung mehrerer Hunderttausend oft hoch qualifizierter Menschen wäre die Zahl viel höher. Viele Langzeitarbeitslose haben die Arbeitssuche aufgegeben und tauchen nicht mehr in der Statistik auf. Jedes vierte Kind wächst in Armut auf, soziale Leistungen wurden auf breiter Front gekürzt.

Das klingt bedrohlich. Die konservative Regierung betont allerdings, dass es vor der Parlamentswahl keine weiteren Kürzungen im Sozialbereich geben soll.

Das ist Kosmetik, da das Schlimmste schon passiert ist und die schmerzhaften Kürzungen der letzten Jahre erst jetzt voll zu spüren sind. Der Angriff auf öffentliche Unternehmen geht unvermindert weiter, denn die Regierung möchte noch vor der Wahl auf breiter Front vor allem im Verkehrs- und Energiebereich privatisieren. Vom drohenden Ausverkauf betroffen sind die Güterbahn CP Carga, die nationale Fluggesellschaft TAP, öffentliche Verkehrsbetriebe in Porto und der Energieversorger EDP. Dabei ist Portugal mit Strompreisen gemessen an der Massenkaufkraft bereits trauriger Spitzenreiter in Europa. Kürzlich flog Premierminister Pedro Passos Coelho nach Japan, um Investoren für seine Privatisierungsprojekte zu finden. Mit dieser Politik stehen die letzten sozialen Errungenschaften aus der Nelkenrevolution auf dem Spiel.

In einer landesweiten Plakatkampagne mit den Abbildern von Regierungsschef Coelho und Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnen Sie die amtierende Koalition in Lissabon als »eine Regierung, die deutscher als die Deutsche ist«. Was genau meinen Sie damit?

Die harte Linie Berlins gegenüber Griechenland und das Beharren auf Austeritätspolitik werden leider auch von der portugiesischen Bourgeoisie und ihrer Regierung voll mitgetragen. Statt Solidarität mit der neuen griechischen SYRIZA-Regierung zu zeigen, setzen die Regierungen in Lissabon und Madrid voll auf die Interessen der europäischen und einheimischen Eliten. Unsere Plakate erregten Aufsehen und setzten eine Diskussion in Gang. Der Hoteliersverband aus der südportugiesischen Ferienregion Algarve beklagte ein Unbehagen deutscher Touristen über das Plakat und eine angebliche »Fremdenfeindlichkeit«. Dabei ging es uns ganz sicher nicht um antideutsche Propaganda.

Bei der Parlamentswahl im Herbst ist anders als in Griechenland oder vielleicht auch Spanien jedoch auch kein Sieg einer politischen Formation links von der Sozialdemokratie absehbar.

Die Innenpolitik ist von einer polarisierenden Kampagne geprägt, in der die PSD und die PS als die wesentlichen Gegenpole dargestellt werden. Anders als die griechische PASOK geht die PS nicht als Regierungspartei, sondern als größte Oppositionspartei in den Wahlkampf, auch wenn sie noch 2010 in der Regierung die Austeritätspolitik eingeleitet hat, unter der das Land leidet. Eine Entmystifizierung der PS hat also noch nicht stattgefunden, dafür ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Tatsache ist, dass erst die verschärfte Austeritätspolitik die Haushaltsdefizite Portugals massiv in die Höhe getrieben hat. Und das bildet den Vorwand, um Sozialleistungen und Arbeitnehmerrechte abzubauen.

Stellt sich für den Bloco die Frage einer Koalition mit der PS, um die Konservativen abzulösen?

SP-Spitzenkandidat Costa hat kürzlich Präsident François Hollande in Frankreich besucht und orientiert sich an dessen Politik. In einer Koalitionsregierung mit der PS wäre der Bloco Gefangener der Austeritätspolitik. Das ist nicht unser Weg.

Der Bloco hat in den letzten Jahren einen Teil seiner Wähler verloren. Portugals Linke präsentiert sich gespalten. Warum gibt es scheinbar unüberwindbare Differenzen mit der kommunistischen PCP und zum jüngsten Projekt Juntos Podemos?

Die PCP propagiert ähnlich wie die griechische KKE einen arroganten Alleinvertretungsanspruch, der eine engere, über punktuelle Fragen hinausgehende Kooperation oder Koalition unmöglich macht. Sie möchte raus aus der EU und dem Euro. Das ist für uns keine fortschrittliche Perspektive, auch wenn wir keine Illusionen gegenüber dem kapitalistischen Charakter der EU hegen. Für eine Neuformation à la Podemos besteht in Portugal kein wirklicher Nährboden. Anders als in Spanien hat es seit 2012 keine Bündelung von Massenprotesten gegeben.

* Aus: neues deutschland, Montag, 18. Mai 2015


Zurück zur Portugal-Seite

Zur Portugal-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage