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Stinkender Protest

In Portugal werden Banken als Krisenverursacher zugemüllt

Von Ralf Streck *

Das Land hat den Jahreswechsel mit neuen Streiks gegen die Kürzungs- und Privatisierungspolitik der Regierung begonnen.

Zum Start ins neue Jahr häuft sich in den Straßen Madrids der Abfall. Neben Streiks von Ärzten, im Flugverkehr, im Transportwesen und im öffentlichen Nahverkehr entwickelt sich der Streik der Müllabfuhr und Stadtreinigung in der Hauptstadt zu einem stinkenden Übel. Schon seit dem 23. Dezember wurde in Lissabon kaum noch Müll abgefahren, weil sich etwa 85 Prozent der Beschäftigten an dem Streik beteiligten. Am Sonntag sollte damit Schluss sein – vorerst.

Nach Ansicht des Bürgermeisters Antonio Costa wird es noch fast zwei Wochen dauern, bis sich die Lage wieder normalisiert. Doch Costa kann nicht ausschließen, dass sich bald neue Müllberge auftürmen, denn die Gewerkschaften können ihre Mitglieder erneut zum Streik rufen. Sie wollen, wie bei anderen Ausständen und Überstundenverweigerung nicht nur gegen immer neue Sparprogramme, gegen Lohn- und Rentenkürzungen und die Anhebung des Rentenalters auf 66 Jahre protestieren. Verhindert werden soll auch die geplante Privatisierung der Stadtreinigung.

Die Gewerkschaften haben deutlich die Lage in der spanischen Hauptstadt vor Augen. In Madrid wurde schon privatisiert. Im zweiten Schritt wollten die Firmen im vergangenen November mehr als 1000 Stellen streichen (knapp 20 Prozent). Zudem sollten die Beschäftigten länger arbeiten, Lohnkürzungen von bis zu 43 Prozent hinnehmen und durchschnittlich für nur noch 700 Euro monatlich arbeiten. Mit einem Streik verwandelten sie die Stadt zwei Wochen lang in eine Müllhalde, bis die Pläne fast vollständig vom Tisch waren.

Das Gesundheitsamt der portugiesischen Hauptstadt hat inzwischen die Bevölkerung aufgerufen, den Müll nicht mehr auf die Straße zu werfen, um mögliche Gesundheitsgefahren zu vermeiden. Doch kaum jemand hält sich daran und ohnehin steht die Mehrzahl der Bevölkerung hinter den Streikenden. Solidarisch kommen einige der Aufforderung sogar in einer ganz besonderen Form nach. Statt stinkende Säcke auf dem Balkon zu stapeln, wurde eine neue Protestform geschaffen. Der Müll wird dort abgelegt, wo viele im Land die Verantwortlichen für die schwere Krise ausmachen, die das Land seit 2008 durchleidet.

Deshalb stapeln sich die Abfallberge nun vor allem vor Banken. Per Facebook wurde dazu aufgerufen, die »Banken zuzumüllen«, die zum Teil mit Milliardenbeträgen aus Europa gerettet werden mussten. »Olixonosbancos« gehört zur Empörten-Bewegung (Indignados) und macht seit Jahren mit vielfältigen kreativen Aktionen auf sich aufmerksam. Sie kann bei Demonstrationen mit 1,5 Millionen Menschen bis zu 15 Prozent der gesamten Bevölkerung mobilisieren. In ihren Aktionen kommt oft eine besondere Art des portugiesischen Protests zum Tragen. Als die Regierung zum Jahresbeginn 2013 gesetzlich vorschrieb, die eigene Steuernummer auch beim Bezahlen im Café, im Buchladen oder beim Bäcker anzugeben, wurden eilig die Steuernummern von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho und seiner Minister veröffentlicht. Die Konservativen trinken seither täglich im ganzen Land Wein, kaufen Zeitungen oder Zigaretten. Ein enormer Mehraufwand für Unternehmen und die ständige Überwachung wird darüber ausgehebelt.

Die Empörten rufen bisweilen auch zu »Kundgebungen für die Sparauflagen« auf. Die internationale Presse fällt gerne auf derlei Initiativen herein. Denn die Empörten kämpfen damit real gegen die Sparauflagen der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds. Bei solchen Aktionen ist dann auf ironischen Spruchbändern zu lesen: »Wir dürfen künftig länger arbeiten. Danke, Troika!«

* Aus: neues deutschland, Montag, 6. Januar 2014


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