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Kampf um Runde zwei

Präsidentschaftswahlen in Portugal: Umfragen sehen konservativen Amtsinhaber Cavaco Silva vorn. Wirtschaft und Sozialabbau bestimmende Themen

Von Peter Steiniger *

Für Sonntag (23. Jan.) sind etwa neun Millionen Portugiesen zur Wahl ihres Staatspräsidenten aufgerufen. Wen wollen sie künftig im Lissaboner Palácio Nacional de Belém – den Poeten oder den Mann für die Moneten? Nach Umfragen darf sich der Wirtschaftswissenschaftler Anibal Cavaco Silva gute Chancen auf eine zweite Amtsperiode ausrechnen. Für den Kandidaten des bürgerlich-konservativen Lagers wird eine absolute Mehrheit bereits im ersten und für diesen Fall auch letzten Wahlgang prognostiziert. Vor fünf Jahren war mit Cavaco zum ersten Mal seit der Nelkenrevolution 1974 ein Rechtspolitiker in das höchste Staatsamt gelangt. Mit 50,6 Prozent war es eine knappe Angelegenheit.

Von den anderen fünf Bewerbern hat nur der Lyriker und Altsozialist Manuel Alegre (74) realistische Chancen, ihm dieses Amt in einer möglichen Stichwahl streitig zu machen. Hinter seiner Kandidatur steht die regierende Sozialistische Partei (PS), unterstützt wird er auch vom pluralen Linksblock (BE). Bereits 2006 trat Alegre gegen den Willen seiner Parteiführung als Unabhängiger an und verwies den früheren Präsidenten Mario Soares als offiziellen PS-Kandidaten mit einem Fünftel der Stimmen auf den dritten Platz. Sollte am Sonntag keine Entscheidung fallen, würde Alegre in der zweiten Runde das ganze linke Spektrum repräsentieren. Im ersten Durchgang zeigen die Kommunisten noch mit einem eigenen Bewerber, dem Parlamentsabgeordneten Francisco Lopez, Gesicht. Dieser warnt vor einer Wiederwahl Cavaco Silvas, welche den »Kurs auf den nationalen Selbstmord« fortsetzen würde.

Alegre, bekannt als Mahner für eine sozial verantwortliche Politik und wegen seines Engagements gegen den Machtfilz und die weit verbreitete Resignation, hat sich durch sein Arrangement mit den PS-Granden allerdings eine hohe Hypothek aufgeladen. Denn die Minderheitsregierung von Premier José Sócrates verliert beständig an Rückhalt in der Bevölkerung. Ein Sparpaket folgt dem nächsten, seit im Frühjahr die Kreditwürdigkeit des Landes an den internationalen Finanzbörsen herabgestuft worden war. Die Politik der PS, die fast nahtlos an die neoliberale Agenda von Cavaco Silva als Ministerpräsident 1985–95 anschloß, ließ die strukturellen Probleme des Landes ungelöst. Portugals Wirtschaft stagnierte, das Bildungssystem blieb zurück. Im Gefolge der globalen Finanzkrise schnellte die Arbeitslosigkeit nun auf elf Prozent empor.

Die Angst vor einem Offenbarungseid à la Griechenland lastet auf den Regierenden am Tejo. Gegenüber der EU-Kommission verpflichtete sich Portugal, seine Leistungsbilanz zügig wieder in das Korsett des Euro-Stabilitätspakts einzupassen. Das Etatminus, 2009 bei 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angelangt, soll schon in diesem Jahr auf 4,6 Prozent sinken. Zur Kasse gebeten werden hierfür vor allem die Beschäftigten, Rentner und Arbeitslosen. Gehälter im öffentlichen Dienst wurden gekürzt, Investitionen zurückgefahren, Einkommens- und Mehrwertsteuer angehoben – ein Teufelskreis, da eine sinkende Konsumnachfrage das Land noch tiefer in die Rezession treiben könnte. Für Mehrheiten im Parlament sorgt bislang eine informelle große Koalition mit der bürgerlichen Oppositionspartei PSD. Staatspräsident Anibal Cavaco Silva dirigiert diesen Konsens. Das geschah trotz gewaltiger Massenproteste wie dem von kommunistisch beeinflußter CGTP und der kleineren sozialistischen Gewerkschaftszentrale UGT gemeinsam organisierten Generalstreik am 24. November 2010.

Noch flieht die PS-Regierung vor dem Schatten des europäischen »Rettungsschirmes« als Eingeständnis einer weiteren Preisgabe wirtschaftspolitischer Souveränität. Auf die Gelegenheit, die Wackelregierung Sócrates vor dem Ende der Mandatsperiode 2013 zu kippen, lauert der Führer der rechten Opposition, Pedro Passos Coelho. Dem Präsidentenamt kommt hierbei eine wichtige Rolle zu. Der Staatschef kann über sein Vetorecht Gesetzesvorlagen zu Fall bringen, das Kabinett entlassen und Neuwahlen ansetzen.

* Aus: junge Welt, 21. Januar 2011


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