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Wahlsieger Sócrates mit Verlusten

Portugal: Gewinne für Linksparteien *

Die regierende Sozialistische Partei (PS) von Ministerpräsident José Sócrates hat die Parlamentswahlen in Portugal am Sonntag klar gewonnen, die 2005 erstmals errungene absolute Mehrheit der Abgeordneten aber verfehlt. Nach Auszählung von über 98 Prozent aller Stimmen kam die sozialdemokratisch ausgerichtete PS bei einer Wahlbeteiligung von nur etwa 60 Prozent auf 36,56 Prozent und verlor rund 8,5 Punkte. Der 52-jährige Sócrates feierte die Ergebnisse trotzdem als Sieg.

Wie die nationale Wahlbehörde CNE weiter mitteilte, erhielt die bürgerlich-konservativ orientierte Sozialdemokratische Partei (PSD) von Spitzenkandidatin Manuela Ferreira Leite 29,09 Prozent (2005: 28,77 Prozent). Mit 10,46 Prozent (7,24) konnte sich das rechtsgerichtete Soziale und Demokratische Zentrum CDS als dritte Kraft etablieren. Knapp dahinter folgte der Linksblock, der große Gewinne erzielte und sich im Vergleich zu 2005 von 6,35 auf 9,85 Prozent verbesserte. Das Bündnis aus Grünen und Kommunisten erreichte 7,88 Prozent (7,54).

Nun wird Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva (PSD) die Sozialisten in den nächsten Tagen mit der Regierungsbildung beauftragen. Diese wird sich nach Meinung von Beobachtern äußerst schwierig gestalten, da beide Hauptparteien eine große Koalition ausschließen und die kleinere Parteien bislang eine Zusammenarbeit mit der PS verweigerten.

* Aus: Neues Deutschland, 29. September 2009


Auf Partnersuche

In Portugal verlieren Sozialisten ihre absolute Mehrheit im Parlament. Kleine Parteien mit Zugewinnen

Von Peter Steiniger **


Trotz deutlicher Verluste konnte sich bei den portugiesischen Parlamentswahlen am Sonntag die regierende Sozialistische Partei (Partido Socialista, PS) als stärkste Kraft behaupten. Die sozialdemokratisch orientierte PS erreichte 36,6 Prozent und stellt künftig 96 (bisher 120) der insgesamt 226 Abgeordneten in der Versammlung der Republik. Deutlicher als zuletzt erwartet, distanzierte die Partei von Ministerpräsident José Sócrates die rechtsliberalen Sozialdemokraten (Partido Social Democrata, PSD), die mit einem Stimmenanteil von 29,1 Prozent faktisch stagnierten. Eine bittere Niederlage für Herausforderin Manuela Ferreira Leite, die »Eiserne Lady« der PSD. Ihre Fraktion bleibt mit 78 (bisher 72) Abgeordneten die zweitstärkste.

Im rechten Lager konnte ihr die erzkonservative Volkspartei, CDS-PP, überraschend den Rang ablaufen. Mit 10,5 Prozent und 21 Deputierten rückt diese nun auf den dritten Platz im Parteiengefüge auf. Die CDS-PP unter dem Vorsitz von Exverteidigungsministers Paulo Portas erzielte ihr bestes Resultat seit einem Vierteljahrhundert. Sie konnte von der Frustration in der Bevölkerung angesichts anhaltender wirtschaftlicher Misere und dem Vertrauensschwund in die etablierte Politik profitieren.

So wenige wie nie zuvor seit Portugals Rückkehr zur Demokratie 1974 folgten überhaupt dem Ruf zu den Wahlurnen. Nur 60,6 Prozent der 9,4 Millionen Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung. Fast fünf Prozent der abgegebenen Wahlzettel blieben weiß oder waren ungültig.

Die Legislativas haben auch die Karten im linken Spektrum neu gemischt. Der plurale Linksblock (Bloco de Esquerda, BE), der erst seit zehn Jahren besteht, profitierte besonders vom Schwund bei der PS und zieht nun mit 9,85 Prozent und 16 Abgeordneten am kommunistisch-grünen Wahlbündnis CDU (Coligação Democrática Unitária) vorbei. Die CDU muß sich mit der kleinsten Fraktion im neuen Lissaboner Parlament zufriedengeben. Sie konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2005 mit 7,9 Prozent nur leicht verbessern und mit nun 15 Deputierten einen Platz hinzugewinnen.

Als Vertreter der stärksten Partei wird José Sócrates von Portugals Staatspräsidenten, dem Liberalen Aníbal Cavaco Silva, erneut mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Mit einem blauen Auge davongekommen, sprach Sócrates von einem »außerordentlichen Wahlsieg« für die PS. Zu seinen ersten ausländischen Gratulanten zählte Venezuelas Präsident Hugo Chávez. »Das ist der Weg, der Sozialismus!« Beide Länder haben zuletzt ihre wirtschaftlichen Beziehungen intensiviert.

Zunächst muß Sócrates den Weg zu einer stabilen neuen Regierungsmehrheit finden. Eine linke Majorität im Parlament läßt sich nicht ohne den Beitrag der Kommunisten bilden. Eine denkbare Koalition mit dem Linksblock allein reicht numerisch nicht. KP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa sieht im Ende der PS-Dominanz und in der Niederlage der PSD die entscheidenden Weichenstellungen. Die PCP werde die Sozialisten in der Assembleia da República nicht unterstützen, wenn diese, wie erklärt, ihren bisherigen Kurs fortsetzten. »Dann sind wir Opposition.«

Ein möglicher Ausweg wäre eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten. Auf diese Weise könnte Sócrates seine EU-hörige Politik weitgehend beibehalten. Der alte und künftige Premier möchte vor den Sondierungen mit den anderen Parteien »keine Art von Übereinkunft oder Koalition« explizit ausschließen.

** Aus: junge Welt, 29. September 2009


In der Sackgasse Von Olaf Standke ***

So ein Ergebnis hätte die SPD am Sonntag gern gehabt: Mit gut 35 Prozent darf Portugals sozialdemokratischer Ministerpräsident weiterregieren. Doch büßte die PS über ein Fünftel ihrer Stimmen ein. Und für José Sócrates wird es immer einsamer in Europa. Kaum eine Handvoll Regierungschefs in der EU kommt noch aus seinem Lager. Dabei hatten Gerhard Schröder und Tony Blair vor zehn Jahren das sozialdemokratische Zeitalter für den Kontinent ausgerufen. Vielerorts sahen sie ihre Genossen an den Schalthebeln der Macht, und damit das so bleibe und sich weiter ausbreite, entwarfen sie mit ihrem gemeinsamen Manifest einen Fahrplan ins gelobte politische Land. Die Politik der »Neuen Mitte Europas«, das sollte die neue Hoffnung sein.

Ließ man sich nicht von vagen und verbrämenden Adjektiven wie »modern« und »innovativ« blenden, zeigte sich schnell, dass da ein neoliberales Programmpapier vorlag. Seine tagespolitische Entsprechung in Deutschland hieß dann Agenda zwanzig-zehn und knüpfte an die im Jahr 2000 beschlossene Lissabon-Strategie an, mit der die EU bis 2010 zum »wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt« gemacht werden sollte. Von ihr spricht in Brüssel niemand mehr. Auch hierzulande mutierte der federführend von den Sozialdemokraten zum Gesetz erhobene »Umbau des Sozialstaates« zum Abbau, die »Reform« der Sicherungssysteme und des Arbeitsmarktes kostete soziale Sicherheit und Wählerstimmen. Der von Blair und Schröder beschriebene »Dritte Weg« hat nicht nur die SPD in eine Sackgasse geführt. Auch New Labour sieht inzwischen sehr alt aus, wie die desaströsen Umfragewerte und der gerade begonnene Parteitag in Brighton zeigen.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2009 (Kommentar)


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