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Kulis zeigen Flagge

Solidarisch gegen den Sparkurs: In sechs großen Häfen Portugals sind die Arbeiter in den Streik getreten

Von Peter Steiniger *

Viele gewerbliche Seefahrer müssen derzeit die portugiesischen Gestade umschiffen: Ein einwöchiger Streik, an dem sich Hunderte Hafenarbeiter beteiligen, paralysiert voraussichtlich noch bis zum kommenden Sonnabend vormittag die wichtigsten Umschlagplätze für Portugals Seehandel. Einschließlich des bedeutendsten Ankerplatzes für Container- und Frachtschiffe in der Hauptstadt Lissabon sind vom Ausstand die Häfen in Viana do Castelo, Aveiro, Figueira da Foz und Setúbal sowie Caniçal auf der Atlantikinsel Madeira betroffen.

Der Streik, zu dem die Konföderation von Hafenarbeitergewerkschaften (Fesmapor) aufgerufen hat, richtet sich gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitte-rechts-Regierung von Ministerpräsident Passos Coelho sowie speziell gegen die beabsichtigte Schließung der Hafenbetreiberfirma (ETP) im nordportugiesischen Aveiro. Gefordert werden eine Rücknahme der Insolvenz und der Erhalt der Arbeitsplätze für 62 Beschäftigte, welche vor dem Aus stehen. Das sind mehr als die Hälfte der bei dem Unternehmen Angestellten. Fesmapor, welche fünf Einzelgewerkschaften unter ihrem Dach vereint, sieht in den Vorgängen in Aveiro einen Präzedenzfall für die gesamte Branche.

Der Protest richte sich gegen eine ökonomische Unsicherheit, welche die nationale Hafenwirtschaft erfaßt und zu einer Welle von Betriebsschließungen geführt hat. Viele Arbeiter erhielten keinen Lohn mehr ausgezahlt oder müßten Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen erleiden. Den Unternehmern wird von den Gewerkschaften vorgeworfen, »unter Ausnutzung der aktuellen Wirtschaftskrise alle früheren Vereinbarungen mit den Gewerkschaften annullieren zu wollen« und die Prekarisierung von Arbeit bewußt voranzutreiben. Die Hafenarbeiter kämpfen vor allem dagegen an, daß Kurzverträge zu einer generellen Praxis ausgeweitet werden, welche sie in der Praxis zu Tagelöhnern herabsinken läßt, die sich ständig zur Verfügung zu halten haben.

Nach zwei Streiktagen kamen die Gewerkschaften zu der Einschätzung, daß die Beteiligung am Ausstand »total« sei. Wie der Präsident der Konföderation, Alexandre Delgado, erklärte, sind nur bestimmte eilige und verderbliche Waren vom Stopp der Hafenkräne durch den Arbeitskampf ausgenommen. Dort, wo möglich, hat sich die Branche jedoch rechtzeitig auf den Ausstand eingestellt. Der Streik war bereits am 22. Dezember des Vorjahres angekündigt worden. Dennoch könnte der Ausstand in einigen Bereichen mit engen Lieferketten, wie der Automobil­industrie, zu Materialengpässen führen.

Nicht berührt sind nach Auskunft der portugiesischen Vereinigung der Seehafenspediteure lediglich die Öl-Häfen in Leixões und Sines, über welche Portugals Brennstoffimporte abgewickelt werden. Nach Schätzungen werden durch den Streik etwa 80 bis 100 Handelsschiffe daran gehindert, in den Häfen des iberischen Landes festzumachen, um be- oder entladen zu werden. In der Folge werden diese meist in die nächstgelegenen spanischen Seehäfen umgelenkt und laufen nun Vigo, Algeciras, Barcelona oder Valencia an. Für Seespediteure und Hafenbetreiber ist dies mit beträchtlichen Mehrkosten oder Einnahmeverlusten verbunden. Die betroffenen Güter gelangen nun auf dem Landweg, meist per LKW, mit erheblicher Verspätung nach Portugal. Nach Schätzung der Vereinigung der Schiffahrtsagenturen (Agepor), dürften die durch den Streik den Unternehmern entstehenden Einbußen in Euro »eine zweistellige Millionenhöhe« erreichen und würden die Volkswirtschaft insgesamt treffen. Dies könne sich in den Endverbraucherpreisen einiger Importprodukte niederschlagen. In der Perspektive würden sich, warnt AGEPOR, die Seeimporteure wohl nach neuen Routen umsehen müssen und eine Logistik entwickeln, um »portugiesische Häfen zu vermeiden«. Weniger dramatisch wird die Lage auf spanischer Seite eingeschätzt. Die dortigen Hafenbehörden sprechen von einem »normalen« Prozedere. Bei Streiks in spanischen Häfen würden genauso Schiffe nach Portugal ausweichen.

Die Regierung reagiert auf den Streik mit einer Mischung aus Ignoranz und vaterländischer Rhetorik. Sie stimmt dabei mit ein in das Mantra der Unternehmer, nach dem der Export als einziger noch laufender Wirtschaftsmotor des Landes nicht blockiert werden dürfe und Streiks in dieser schweren Lage unverantwortlich seien. Mit Nachdruck lehnte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums Arbeitsplatzgarantien für die betroffenen Arbeiter des Hafenbetreibers in Aveiro ab. Ein Durchbruch in den Verhandlungen mit den Vertretern der Hafenarbeiter blieb bisher aus.

Die Vereinigung der Transportunternehmer (CPC) fordert die Regierung »mit größter Dringlichkeit zu den erforderlichen gesetzgeberischen Schritten« auf, um das Arbeitsrecht im Bereich der Häfen auf »mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der internationalen Konkurrenz« zu trimmen. Beim Kabinett von Passos Coelho finden solche Rufe offene Ohren. Nachdem Portugal Hilfen in Höhe von 78 Milliarden Euro gewährt wurden, um einen Staatsbankrott unter dem Druck der Finanzmärkte vorerst abzuwenden, wird in Lissabon nach den Weisungen der Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) regiert. Der verordnete Sparkurs zur Eindämmung des Haushaltsdefizits mit drastischen Steueranhebungen, Kürzungen bei Löhnen und Transferleistungen, Deregulierung und Arbeitszeitverlängerung trifft vor allem Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose – und verschärft die Rezession. Die Arbeitslosigkeit ist auf mehr als 13 Prozent emporgeschnellt.

Immer mehr Portugiesen suchen aufgrund der Misere ihr Heil in der Emigration. Für dieses Jahr wird mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um mehr als drei Prozent gerechnet. Da der Binnenmarkt infolge der Austeritätspolitik immer weiter einbricht, setzt die Regierung vor allem auf den Exportsektor. Der Hafenstreik schlägt in die Handelsbilanz des laufenden Quartals. Rund 64 Prozent seines Außenhandels wickelt Portugal über den Seeweg ab. Boomende Exkolonien wie Brasilien und Angola sollen nun das ehemalige Mutterland ins ökonomische Schlepptau nehmen.

* Aus: junge Welt, 12. Januar 2012

Sozialer ­Rückschritt

Löhne runter, Arbeitszeiten und Preise rauf: Die portugiesische Bevölkerung erwartet im Jahr 2012 eine breite Palette an sozialen Einschnitten und materiellen Entbehrungen. Die verfügbaren Haushaltseinkommen der Familien werden weiter spürbar gesenkt. Bescheidene Steigerungen bei den bescheidenen Mindestrenten (195 bis 254 Euro) können die Inflation nicht ausgleichen. Der gesetzliche Mindestlohn (497 Euro brutto) stagniert. Bereits gestrichen wurden den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes das Weihnachts- und das Urlaubsgeld. Reduziert werden die Anspruchszeiten auf Arbeitslosenunterstützung. Die härtesten Einschnitte (zwischen 25 und 75 Prozent) haben Erwerbslose in der Altersgruppe 45–50 Jahre zu erwarten.

Zulagen für Überstunden werden in zwei Schritten um 25 und 37 Prozent gekürzt. Dies trifft besonders hart Geringverdiener, welche auf die Zuschläge angewiesen sind. Der Kündigungsschutz wird gelockert, gleichzeitig wird die Höhe von gesetzlich garantierten Abfindungen für Entlassene beschnitten.

Ein ganzes Bündel an Steuererhöhungen treibt die Lebenshaltungskosten und die Mieten 2012 weiter nach oben. Die Kosten für Strom und Gas steigen im Durchschnitt um vier Prozent, erhöht werden die KfZ-Steuer, Straßennutzungs- und Telefongebühren. Vergünstigte Mehrwertsteuersätze für Kultur- und Sportereignisse fallen weg, diese steigen nun von sechs auf 13 bzw. von sechs auf 23 Prozent. Erhöht wird ebenfalls die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des Grundbedarfs wie Mineralwasser, Kartoffeln, Speiseöl, Margarine u.a. Teurer werden auch Kaffee, Alkohol und Tabak.

Drastische Einsparungen stehen im Gesundheitswesen auf der Agenda, die bei Untersuchungen und Operationen zu Wartelisten führen können. Nicht verschont bleibt der Bildungsbereich. Hier möchte die Regierung nach neuesten Plänen 2012 600 Millionen Euro einsparen. (Pst)




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