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Schlappe für Portugals Sparkabinett

Konservative Regierungspartei PSD verliert bei Kommunalwahlen alle großen Städte

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Selbst das konservative »Rádio Renascença« sprach nach den portugiesischen Kommunalwahlen am Sonntag von einer »historischen Niederlage« für die in Lissabon regierenden Rechtsparteien.

Es war der erste Stimmungstest nach den Parlamentswahlen 2011, als die Konservativen an die Regierung kamen. Besonders heftig brach die gar nicht sozialdemokratische PSD von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho ein, die den Sparauflagen der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) ohne Abstriche folgt.

Statt der knapp 39 Prozent bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren fuhr Coelhos PSD diesmal nur knapp 19 Prozent der Stimmen ein. Nach den Kommunalwahlen 2009 regierte sie 139 Gemeinden, diesmal gewann sie mit ihren Verbündeten nur noch 90. Zu den großen Städten, die sich der PSD-Herrschaft entzogen, gehört auch deren bisherige Hochburg Porto. »Porto hat gezeigt, dass eine andere Form der Politik möglich ist«, sagte der euphorische Wahlsieger Rui Moreira, ein unabhängiger Kandidat. »Wenn die Parteien nicht verstanden haben, was hier passiert ist, haben sie nichts verstanden«, sagte er auch mit Blick auf die Sozialistische Partei (PS). Die Sozialisten sind zwar mit landesweit 36 Prozent stärkste Partei, verloren aber m Vergleich zu 2009 etwa 1,5 Prozentpunkte. Sie verteidigten die Hauptstadt Lissabon klar und gewannen insgesamt 130 Gemeinden. Bezeichnend ist jedoch, dass wie in Porto in 80 Gemeinden unabhängige Kandidaten zu Bürgermeistern gewählt wurden.

Viele Wähler haben sich offensichtlich daran erinnert, dass die PS die Kürzungspolitik lange mitgetragen hatte und an den Verhandlungen mit der Troika beteiligt war. Das Misstrauen gegenüber den großen Parteien zeigte sich auch daran, dass die Wahlbeteiligung mit einer Abstinenz von mehr als 47 Prozent noch geringer war als 2009. Überdies wählten fast sieben Prozent aller Wähler ungültig.

Das Bündnis von Kommunisten und Grünen (CDU) kam landesweit auf gut 11 Prozent der Stimmen und wurde drittstärkste Kraft. Die Kommunisten verteidigten ihre Hochburg Setúbal und große Städte in der Umgebung der Hauptstadt und nahmen der PS Städte wie Évora, Beja, Grândola, Alcácer do Sal, Alandroal, Cuba, Vila Viçosa, Monforte, Silves und Loures ab. Der Linksblock (BE) verlor dagegen Stimmen und sein einziges Bürgermeisteramt in Salvaterra de Magos.

Coelhos Regierung bekam die Quittung dafür, dass sich die Lage im Lande deutlich verschlechtert hat. Am Montag erst wurde bekannt, dass das Haushaltsdefizit im ersten Halbjahr 2013 bei 7,1 Prozent lag. Die Kürzungs- und Sparpläne der Troika sollten es aber auf 5,5 Prozent in diesem und auf 4 Prozent im kommenden Jahr senken. Dass Portugals Verfassungsgericht die Reformen in der vergangenen Woche zum vierten Mal als verfassungswidrig wertete und Teile der Arbeitsmarktreform für ungültig erklärte, war keine Werbung für die Regierungsparteien. Die Tageszeitung »Público« berichtete überdies am Sonntag, dass das Land im nächsten Jahr weitere 50 Milliarden Euro brauche, um eine Staatspleite abzuwenden.

Ministerpräsident Pedro Passos Coelho räumte eine der »schlimmsten Niederlagen« seiner Partei ein. Ungeachtet dessen will er auf dem Reformweg voranschreiten. Nach Jahren der Rezession, angesichts einer Rekordarbeitslosigkeit und der Verarmung selbst von Teilen der Mittelschicht erklärt er, der eingeschlagene Weg sei alternativlos. Nur so könne Portugal auf den Wachstumspfad zurückkehren und »mehr soziale Gerechtigkeit und Wohlstand« schaffen.

Für Jerónimo de Sousa, Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCP), ist dagegen klar, dass die Regierung isoliert ist und »keine Legitimation« mehr hat. Sie regiere »gegen die Gesetze und die Verfassung«. Die Wahlen hätten gezeigt, »dass ihre Tage gezählt sind«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. Oktober 2013


Regierungspartei verliert an Boden

Portugal: Sozialisten lösen Konservative als stärkste Kraft in den Kommunen ab

Von Peter Steiniger **


Die landesweiten Kommunalwahlen am Sonntag in Portugal haben für die liberalkonservative PSD (Partido Social-Democrata) von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho ein desaströses Ergebnis gebracht. Sie blieb mit 26,5 Prozent klar hinter den oppositionellen Sozialisten (PS) zurück, die künftig fast die Hälfte aller Kommunen führen. Die PS konnte Rathäuser hinzugewinnen, obwohl sie mit 36,3 Prozent etwas schwächer abschnitt als beim letzten Urnengang zu den Gemeindevertretungen 2009. Bei den Parlamentswahlen 2011 waren die Sozialisten auf 28 Prozent abgestürzt; nun sehen sie sich wieder im Aufwind. In der Hauptstadt Lissabon erzielte die PS die absolute Mehrheit der Mandate.

Weitere Gewinner waren parteiunabhängige Listen und die Kommunisten (PCP) mit ihrem Wahlbündnis CDU. Der Linksblock (BE) hingegen blieb mit nur 2,4 Prozent kommunalpolitisch schwach. Die PSD stellt künftig nur noch in fünf von 24 Großstädten mit mehr als 100000 Einwohnern den Bürgermeister. Räumen müssen ihre Sessel die PSD-Stadtoberhäupter in den Distrikthauptstädten Vila Real, Coimbra, Portalegre und Faro. In der nordportugiesischen Metropole Porto ließ der unabhängige Kandidat Rui Moreira die Bewerber von PS und PSD hinter sich. Unterstützt wurde der Unternehmer vom kleineren PSD-Koalitionspartner, der rechtskonservativen CDS. Die Partei von Vizepremier Paulo Portas steigerte ihren Stimmenanteil landesweit auf 5,5 Prozent. Vorhandene Risse im Regierungslager dürften nicht kleiner werden. Zusammengenommen konnten die beiden Koalitionsparteien nur weniger als ein Drittel der Stimmen auf sich vereinen.

Zurückzuführen ist das Abschneiden der PSD in erster Linie auf ihre strikte Sparpolitik mit harten Einschnitten in die Sozialsysteme. Der Austeritätskurs folgt den Auflagen der Troika, der Geldgeber IWF, EU und Europäische Zentralbank. Er belastet die Wirtschaft und treibt die Arbeitslosenzahlen nach oben. Medienberichte kurz vor der Wahl, nach denen das Land bald eine zweite große Finanzspritze benötige, kamen für die Regierung Passos Coelho mehr als ungelegen und wurden umgehend dementiert.

Auf der Insel Madeira fuhr die PSD ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1976 ein. Sie muß dort sieben von elf Rathaussesseln räumen. Der Präsident der Regionalregierung und PSD-Chef der autonomen Region, Alberto João Jardim, sieht darin eine Abstrafung »auf Grund der nationalen Politik«. Zugleich gäbe es »starke Strömungen« innerhalb der madeirensischen Organisation, welche die PSD »von innen« zu zerstören suchten. Die Opposition kann nun auf ein absehbares Ende des hier seit Jahrzehnten herrschenden, von Klientelismus geprägten »Systems Jardim« hoffen.

Einen bemerkenswerten Erfolg können die Kommunisten verbuchen. Ihre Wahlkoalition CDU mit der kleinen ökologischen Partei und unabhängigen Linken legte gegenüber 2009 von 9,9 auf elf Prozent zu. Hochburgen wie Setúbal wurden gehalten, andere von der PS zurückgewonnen. Rot regiert werden die Bezirkshauptstädte Beja und Évora, die Großkommune Loures, Alcacer do Sal und Silves. Ein symbolträchtiger Erfolg gelang mit der Rückkehr auf den Bürgermeistersitz des alentejanischen Grândola, einem Symbol der Nelkenrevolution von 1974. Die PCP wertet ihr Abschneiden als »bedeutenden Sieg«, der »Perspektiven für eine alternative Politik« öffne.

Etwa 9,5 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgefordert. Nicht alle konnten, viele wollten dem Ruf an die Urnen nicht folgen. Mit 52,6 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung einen neuen Tiefstand. Die magere Beteiligung ist zum einen Ausdruck der Abwendung vieler Portugiesen von der etablierten Politik. Fast sieben Prozent ungültige Stimmabgaben oder Wahlzettel ohne Votum unterstreichen dies zusätzlich. Eine weitere Rolle spielt die Auswanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Allein im vergangenen Jahr kehrten 120000 Portugiesen ihrem Land den Rücken. Die tatsächliche Wahlenthaltung liegt unterhalb der offiziellen Zahl, da in den Wahlregistern hunderttausende Wegzügler oder längst Verstorbene, sogenannte »Geisterwähler«, weiter geführt werden.

Ministerpräsident Pedro Passos Coelho räumte die schwere Niederlage seiner Partei ein. Zugleich schloß er Konsequenzen für sein Amt aus und kündigte die Fortsetzung seines politischen Kurses an. Rückendeckung erhält er dabei auch weiterhin von Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva, der dem Lager der PSD angehört.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 1. Oktober 2013


Merkels Pudel

Portugal wählt Troika ab ***

Nach den Kommunalwahlen vom Sonntag sprechen Portugals Medien von einem politischen Erdbeben. Es kam allerdings nicht unerwartet, daß die Partei von Ministerpräsident Passos Coelho eine herbe Niederlage einstecken mußte. Die langmütigen Portugiesen haben mehrheitlich die Nase voll von all den Opfern, die den kleinen Leuten abverlangt werden, um die Staatsfinanzen zu sanieren, damit das Land eines schönen, fernen Tages bei den Finanzhaien wieder Gnade findet. Die liberal-konservative PSD und ihr Premier streben in ihren Augen mehr nach Lob aus Brüssel und Berlin, als daß sie sich über die Sorgen ihrer Landsleute den Kopf zerbrechen. Des einen Freud, des anderen Leid: Anders als ihre deutsche Schwesterpartei CDU kann sich die PSD nicht als Retterin in der Krise darstellen, von einer charismatischen Führungsperson mit authentischem Mienenspiel und schützender Raute à la Merkel ganz zu schweigen. Dem kleineren, weiter rechts stehenden Koalitionspartner CDS immerhin gelang rechtzeitig vor der Wahl eine Absetzbewegung. Sie bleibt zwar auf dem bereits lecken Regierungsschiff, konnte aber mit sozialer Rhetorik erfolgreich Wählerstimmen fischen und für ihren Spitzenmann Paulo Portas das Amt des Vizepremiers erpokern. Doch unter dem Strich bleibt: Portugals Regierung findet in der Bevölkerung immer weniger Rückhalt für ihre Troika-hörige Politik, ihre Wählerschaft schwindet rasant und damit ihre Legitimität. Nach Portugals Verfassung wäre es an Staatspräsident Cavaco Silva, das politisch gescheiterte Kabinett auf die Straße zu setzen und den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen frei zu machen. Doch damit ist bei der momentanen Fallhöhe der Lissaboner Mitte-rechts-Koalition nicht zu rechnen.

Wie sehen nun die Umwälzungen durch das große Beben aus? Das Pendel zwischen den beiden großen Parteien ist wieder einmal zurückgeschwenkt: Die oppositionellen Sozialisten profitieren vom Niedergang der PSD und finden fast zu alter Stärke zurück. Auch wenn ihr die Macht geradezu in den Schoß fiele: Die PS hat es nicht allzu eilig, auch national wieder ans Ruder zu gelangen. Sie selbst hatte das Abkommen mit der Troika, das berüchtigte Memorandum zu den Notkrediten in Höhe von 78 Milliarden Euro, ja mit ausgehandelt. Und wie weh Sozis das Scheiden tut, läßt sich am deutschen Beispiel Agenda 2010 sehen. Merkels Sieg in Berlin läßt das politische und ökonomische Diktat am Tejo noch mächtiger wirken.

Die kommunalen Erfolge der Kommunisten haben immerhin mehr Rot auf Portugals Karte gezeichnet. Mehr als nur ein Schimmer Hoffnung gegen Wahlenthaltung und Resignation. Doch trotz Misere und Massenprotesten gilt: Portugal ist nicht das vorrevolutionäre Armenhaus von 1973. Bis zu einer echten politischen Alternative und einer neuen machtpolitischen Option – die von der PCP propagierte »linke, patriotische Regierung« – ist es ein weiter Weg. Das Erdbeben von Lissabon steht noch aus.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 1. Oktober 2013


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