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Portugal soll Gürtel noch enger schnallen

Die konservative Regierung bittet vor allem den Mittelstand zur Kasse

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Mit drakonischen Einsparungen will die portugiesische Regierung 2012 das Haushaltsdefizit senken. Ministerpräsident Pedro Passos Coelho stellte am Donnerstagabend in einer Fernsehansprache den vom Kabinett verabschiedeten Etat vor.

Einbußen bei Einkommen wie Renten und längere Arbeitszeiten sieht der portugiesische Haushalt für das kommende Jahr vor. Die konservative Regierung setzt die Schere dabei vor allem beim Mittelstand an, der 2012 Verluste von bis zu 20 Prozent hinnehmen dürfte, wie die Wirtschaftszeitung »Jornal de Negocios« vorrechnet. Bei Rentnern und Staatsbediensteten, die über 1000 Euro im Monat erhalten, werden Sonderzahlungen für den Urlaub und für Weihnachten wegfallen. Im Privatsektor solle die Arbeitszeit um eine halbe Stunde pro Tag angehoben werden, außerdem seien »Anpassungen« bei der Urlaubszeit geplant.

Doch auch die schlechter Verdienenden werden erneut zur Kasse gebeten. Wer mehr als den Mindestlohn, aber weniger als 1000 Euro verdient, muss ebenfalls mit Einschnitten bei den Sonderzahlungen rechnen. Arme sind besonders davon betroffen, dass der verringerte Steuersatz auf viele Güter abgeschafft wird. Für diese soll künftig die auf 23 Prozent angehobene normale Mehrwertsteuer gelten. Auch bei den Ausgaben für Bildung und Gesundheit soll weiter gekürzt werden.

»Das Land durchlebt eine Zeit des nationalen Notstands«, erklärte Coelho nach Verabschiedung der Sparpläne durch das Kabinett in der Nacht auf Freitag. »Wir müssen viel mehr tun als ursprünglich geplant war.« Er hätte bei seiner Wahl nicht gedacht, einmal derart strenge Maßnahmen ankündigen zu müssen. Coelho war im Juni bei vorgezogenen Neuwahlen an die Macht gekommen. Seine konservative Partei hatte zuvor den Sozialdemokraten die Zustimmung für weniger rigorose Sparpläne verweigert, worüber deren Regierung stürzte. Nun muss noch das Parlament im November den Haushaltsentwurf verabschieden. Eine Zustimmung gilt aufgrund der satten Regierungsmehrheit als sicher.

Seit der Wahl versucht Coelho die Vorgaben der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EUB) und EU-Kommission zu erfüllen. Er will die Portugiesen damit beruhigen, dass diese Maßnahmen nur so lange gelten würden, solange das Land Hilfen des Euro-Rettungsschirms benötigt. Doch das kann lange dauern, weil die Regierung die Konjunktur abwürgt. Längst wurde Portugal in die Rezession zurück gespart. Experten prognostizieren, dass die Wirtschaft durch die Sparmaßnahmen 2011 um 1,8 Prozent und 2012 um zwei Prozent schrumpfen werde.

Da so die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit von 12,3 Prozent weiter steigen und Steuereinnahmen wegbrechen werden, ist es fraglich, ob das Land die Brüsseler Vorgaben erfüllen kann, das Haushaltsdefizit 2011 auf 5,9 und 2012 auf 4,6 Prozent zu senken. Im Vorjahr wurde das Ziel von 7,3 Prozent verfehlt. Wie Griechenland droht nun auch Portugal der Absturz in eine tiefe Rezession. Auch in Lissabon scheint ein Schuldenschnitt unumgänglich, wenn das Land mittelfristig wieder auf die Beine kommen soll.

* Aus neues deutschland, 15.10.2011


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