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Wie souverän ist Portugal?

Von Dominic Heilig, Lissabon *


Der Politikwissenschaftler Dominic Heilig arbeitet und schreibt seit Jahren zur portugiesischen Linken.

Angela Merkels Christlich-Demokratische Union (CDU) kann nicht nur Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern verlieren. Auch in Portugal gilt die Kanzlerin derzeit als unpopulärste Politikerin Europas und würde mit Sicherheit jede Prozenthürde – egal wie niedrig diese auch sein sollte – reißen. Sie ist – selbst in den konservativen Medien des Landes – das Gesicht des Sozialabbaus in Portugal. Der ist Folge der Kreditverhandlungen zwischen Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Union (EU) und der neuen rechtskonservativen Regierung in Lissabon. Am Tejo sind sie inzwischen nur noch die Troika.

Vereinbart haben die Verantwortlichen in Portugal und Brüssel etwa die Schließung von über 300 Schulen und die Entlassung von Tausenden Lehrerinnen und Lehrern. Auch die Gehälter im Öffentlichen Dienst sollen weiter gekürzt, Renten eingefroren, die Mehrwertsteuer auf Erdgas und Elektrizität erhöht, Bereiche der Öffentlichen Daseinsvorsorge privatisiert, der Justizapparat radikal »verschlankt«, der Mindestlohn abgesenkt und wichtige Infrastrukturprojekte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Diese Liste ließe sich beliebig lang fortführen.

Die portugiesische Linke hat vor dem Hintergrund dieser Spardiktate gemeinsam mit den Gewerkschaften für den 1. Oktober zu einem neuerlichen Generalstreik aufgerufen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politische Linke im Land untereinander wenig kooperationsfähig ist und sich die beiden Linksparteien, Bloco de Esquerda (BE) und Kommunistische Partei (PCP), auch deshalb in der Defensive befinden.

Der Linksblock stürzte bei den vorgezogenen Neuwahlen im Juni von rund neun auf fünf Prozent der Stimmen ab. Die PCP verharrt – wie seit über einem Jahrzehnt – bei acht Prozent und sucht nun nach einem neuen Mobilisierungsschub. Dazu zählt zweifelsohne das Pressefest der Parteizeitung »Avante!«, die »Festa do Avante«.

Am vergangenen Wochenende (3./4. Sept.) lockte die Partei so bereits zum 35. Mal Hunderttausende nach Lissabon. Offen und offensiv wurde dort über die zukünftige politische Strategie gegen den Sozialabbau und die Troika debattiert. Die Kommunisten setzen dabei vor allem auf die Losung »Rückgewinnung der Souveränität Portugals«. Und in der Tat hat das Land seit den Revolutionstagen im April 1974 mit seinem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft (EG) und den aktuellen Kreditverhandlungen das Heft des Handelns aus der Hand gegeben.

Die sozialistische Republik Portugal war 1974 real nach wenigen Monaten Geschichte, entsprechende Verfassungsartikel spätestens 1989 vollständig getilgt. Portugal war seit der Nelkenrevolution vielfach Versuchsfeld für Wirtschaftsideologien und -interessen gewesen. Daran hat sich, wie die Troika dieser Tage beweist, bis heute nichts geändert. Denn man kann nicht gerade behaupten, für die nun vorgenommenen Wirtschafts-, Sozial- und Finanzdiktate aus den europäischen Metropolen gäbe es ein erprobtes, erfolgsversprechendes System.

Die portugiesischen Kommunisten streiten gerade auch vor diesem historischen Hintergrund für eine Stärkung der Souveränität ihres Landes. Und damit stehen sie nicht allein. Auch in Südamerika und Afrika werden wie in Europa solche Losungen von links vermehrt propagiert.

Die Gratwanderung zwischen der »Parole Souveränität« und plumpem Nationalismus ist, wie die Geschichte bewiesen hat, allerdings schwierig. Und auch in Portugal ist jetzt zumindest die Intensität der Forderungen der Kommunistischen Partei in der Breite der radikalen Linken nicht unumstritten.

* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2011


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