Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Portugal wird verramscht

Privatisierungen und Abwälzung von Kosten auf die Allgemeinheit. Fahrpreise steigen drastisch

Von Peter Steiniger *

Europas Hilfe kommt die Portugiesen teuer zu stehen: Die unter der Vormundschaft von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), der sogenannten Troika, stehende neue liberal-konservative Regierung unter Premierminister Pedro Passos Coelho schreitet zum Ausverkauf. Ganz oben auf ihrer Agenda steht die Veräußerung der wichtigsten verbliebenen Staatsunternehmen. Eine tiefgreifende Rezession mit einer Rekordarbeitslosigkeit von offiziell über zwölf Prozent und rabiate Sparmaßnahmen hatten der sozialistischen Vorgängerregierung von José Sócrates Anfang Juni eine Niederlage gegen die konservativen Sozialdemokraten (PSD) bei vorgezogenen Parlamentswahlen beschert.

Das unter dem Druck der Finanzmärkte stehende Land hat sich gegenüber der EU verpflichtet, sein Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent (2010) bis 2013 auf die Maastrichter Obergrenze für Euro-Staaten von drei Prozent zurückzuführen. Finanzielle Zusagen der Troika in Höhe von 78 Milliarden Euro wurden an Bedingungen gekoppelt. Schuldenabbau durch eine weitere Senkung des Lebensniveaus ist auch die Devise der neuen Regierung: Beschnitten werden sollen die Rechte der Beschäftigten mit einer »Flexibilisierung« der Arbeitsgesetzgebung, das Weihnachtsgeld der Staatsdiener und die Arbeitslosenunterstützung.

Weil Geld in die Kassen müsse, wird zum August beim Personentransport kräftig an der Preisschraube gedreht. Im Durchschnitt kosten Fahrkarten und Sozialpässe in den Verkehrssystemen der Ballungsräume von Lissabon und Porto dann 15 Prozent mehr. Einige Tarife steigen gleich um ein Viertel. Ab September stellt die Regierung die Einführung einer Fahrpreisvergünstigung für Einkommensschwache in Aussicht. Die Gewerkschaft für Transport und Verkehr (FECTRANS) sieht in den Anhebungen weit oberhalb der Inflationsrate einen »Überfall auf die Portemonnaies der Portugiesen«, wie ihr Vorsitzender Vítor Pereira erklärte. In dieselbe Kerbe schlagen oppositioneller Linksblock (BE) und Kommunisten. Bruno Dias, Abgeordneter der PCP in der Assembleia da República, spricht von einem »sozialen Verbrechen« und fordert die Bevölkerung zum organisierten Kampf gegen die diejenigen auf, die »mit einer kriminellen Politik unser Land zugrunde richten«.

In ihrem Protest wirft FECTRANS den Regierenden vor, die Aufschläge am Ticketschalter »mit einer verlogenen und hinterhältigen Rechtfertigung« zur Täuschung der Reisenden zu begründen. Die wahre Absicht sei, nicht öffentlichen Betreibern Vorteile zu verschaffen. Als Hauptziel der Preisanhebungen macht die Gewerkschaft »die Schaffung attraktiver Bedingungen für eine künftige Privatisierung« aller Verkehrsunternehmen aus.

* Aus: junge Welt, 23. Juli 2011


Zurück zur Portugal-Seite

Zurück zur Homepage