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Eine bewegende Zeit

DIE NELKENREVOLUTION IN PORTUGAL

Von Wolfgang Weiß *

Allein der Buchtitel weckt, fast 37 Jahre danach, lebhafte Erinnerungen an jene denkwürdige »Revolution der Nelken«, die das älteste faschistische Regime in Europa hinweggefegt hatte. Klaus Steiniger, der als erster DDR-Korrespondent (für das ND) unmittelbar nach dem 25. April 1974 die Ereignisse am Tejo hautnah miterlebte, kann sich mit Fug und Recht als »Chronist der Nelkenrevolution« bezeichnen.

Es handelt sich bei dieser Ausgabe um einen überarbeiteten und erweiterten Text des authentischen, bereits zu DDR-Zeiten erschienenen Berichtes »Portugal – Traum und Tag«. Man ist neugierig, wie Steiniger aus heutiger Sicht die nun schon historischen Vorgänge bewertet. Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer hier »Wendemanöver« à la Schabowski und so vieler anderer erwartet, wird gründlich enttäuscht. Natürlich muss der Autor zugeben, dass viele der Träume, die mit der Nelkenrevolution auch deutsche Linke im Westen verbanden, zerstoben sind. Steiniger nennt auch die dafür Verantwortlichen: »NATO und CIA im Bunde mit der damals als Speerspitze der Konterrevolution agierenden Sozialistischen Internationale unter Willy Brandt sowie dem westdeutschen Parteienfächer von SPD über FDP bis CDU/CSU haben die Revolution der Nelken zu Fall gebracht und erdrosselt.«

Dass es ganz so einfach, und wie hier holzschnittartig dargestellt, nun doch nicht war, wird dem Leser bei der genaueren Lektüre des über 400 Seiten starken Bandes klar. Insbesondere die im Anhang veröffentlichten Briefe und Anmerkungen des ehemaligen portugiesischen Premiers Vasco Gonçalves geben ein differenzierteres Bild der Ereignisse und sind so, wie auch im Vorwort betont, ein »wahres Goldkorn« in dem Buch. Der General der Reserve Gonçalves, Chef von vier Provisorischen Regierungen Portugals in den Jahren 1974/75, gilt als einer der herausragenden militärisch-politischen Führer der Nelkenrevolution, der insbesondere die Verstaatlichungen und die Agrarreform in Gang gesetzt und vorangetrieben hatte. Noch heute, wo diese Errungenschaften weitgehendst wieder rückgängig gemacht worden sind, ist der Militär des April in bürgerlichen Kreisen Portugals ein rotes Tuch, ein »verkappter Kommunist«, »heimliches ZK-Mitglied er PKP« usw.

Trotz der Niederlagen und empfindlichen Rückschläge, die im vorliegenden Band detailreich geschildert werden, hat die »Revolution der Nelken«, die als Aufstand progressiver Militärs begann, zu einer Reihe bemerkenswerter Ergebnisse geführt. Dazu gehört die Beendigung der portugiesischen Kolonialkriege ebenso wie die Verabschiedung einer demokratischen Verfassung, die auch heute noch zu den progressivsten in Europa zählt.

Ohne den ausführlichen Anhang mit der chronologischen Aufzählung der Ereignisse, dem ausführlichen Personenverzeichnis und der Erläuterung der im Text verwendeten Abkürzungen wäre der vorliegende Text über weite Strecken für den heutigen Leser wohl nur schwer verständlich. Berühmte Persönlichkeiten, wie der 2005 verstorbene portugiesische KP-Führer Alvaro Cunhal, werden vom Autor warmherzig porträtiert und ausführlich zitiert. Auf der anderen Seite rechnet Steiniger mit den Gegnern der Nelkenrevolution kompromisslos ab, wobei der langjährige sozialdemokratische Premier und spätere Staatspräsident Mário Soares besonders harsche Kritik erfährt: »Portugals Spalter der Volksbewegung Nr.1«. Starke Worte, wie »rechtssozialistische Spalter und reaktionäre Diversanten«, »systematische Zersetzungsarbeit der Rechtssozialisten« oder »Giftweizen der Konterrevolution« prägen über weite Strecken das Buch.

Dagegen liest man auch heute noch mit Vergnügen, wie Klaus Steiniger als trickreicher Reporter à la Wallraff in reaktionären Kreisen Einlass fand. Seine beeindruckenden Landschaftsschilderungen weisen ihn als ein Meister der Feder aus, der sein Licht nicht unter den Scheffel stellt. Viele Fotos des Autors legen zusätzlich Zeugnis von jener Zeit ab.

Dieses Buch lässt eine bewegte und bewegende Zeit mit- und nacherleben. »Die Portugiesische Revolution«, resümiert Klaus Steiniger, »ist – gleichsam wie die DDR – für alle Zeiten in die Geschichtsbücher der Menschheit eingetragen«.

Klaus Steiniger: Portugal im April. Chronist der Nelkenrevolution. Mit Anmerkungen von Vasco Gonçalves. Wiljo Heinen: Berlin 2011, 463 S., br., 14 €; ISBN 978-3-939828-62-4

* Aus: Neues Deutschland, 16. März 2011


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