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An der kurzen Leine

Portugals Regierung garantiert EU, IWF und EZB weitere Verschärfung des "Sparkurses". Madeiras versteckte Schulden vergrößern Loch im Staatsetat

Von Peter Steiniger *

Schlechte Nachrichten von der »Blumeninsel« Madeira: Die Regionalregierung des portugiesischen Eilands im Atlantik mit knapp einer Viertelmillion Einwohnern hat drei Jahre lang Ausgaben vor den Lissaboner Behörden versteckt. Nach Analysen des Nationalen Instituts für Statistik (INE) und der Staatsbank Banco de Portugal resultiert daraus ein Aufschlag auf Portugals Schuldenberg in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Ein Rückschlag für die Austeritätspolitik der seit Juni im Amt befindlichen neuen Rechtsregierung von Pedro Passos Coelho. Diese hat sich der Umsetzung des noch gemeinsam mit den sozialistischen Vorgängern und der sogenannten Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) vereinbarten »Spar- und Reformprogrammes« zum Abbau seines Defizits verschrieben. Unter dem Druck der Finanzmärkte stehend, hatte sich eine Kreditaufnahme dort für Lissabons Kassenwarte bedrohlich verteuert.

»Gute Fortschritte«?

Obwohl Portugal in diesem Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro hinter den vorgegebenen Kürzungszielen zurückblieb, bescheinigte der IWF dem Land »gute Fortschritte« bei seinen Reformanstrengungen. Experten der Troika sehen der portugiesischen Administration dabei auf die Finger und ziehen die Fäden. Im September wurde Lissabon ein neuer Scheck über knapp vier Milliarden Euro ausgestellt, insgesamt sind 78 Milliarden aus dem Hilfsfonds für die Euro-Zone versprochen. Das madeirische Loch hat ausgerechnet ein PSD-Parteifreund von Passos Coelho gegraben. Der seit 1978 regierende Lokalpatriarch mit rechtspopulistischen Zügen an der Spitze der Inselverwaltung, Alberto João Jardim, gilt als Meister des Klientelismus. Nachdem er die Existenz versteckter Schulden zunächst rundweg abstritt, spricht er nun von einer »legitimen Verteidigung Madeiras«. Eine Offenlegung dieser Ausgaben hätte finanzielle Sanktionen zur Folge gehabt und eine Fortführung wichtiger Bauvorhaben und Investitionen gefährdet. Es wäre nicht ratsam gewesen, gegenüber »einer nicht vertrauenswürdigen sozialistischen Regierung«, so Jardim, »das ganze Spiel aufzudecken«. Der Casus Madeira kann sich im Defizit Portugals mit 0,5 Prozent niederschlagen. Dabei soll dieses von 9,1 Prozent im vorigen Jahr auf 5,9 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2011 sinken.

Mit einer Reihe harter sozialer Einschnitte, einer Investitionsbremse und weiteren Steuererhöhungen und der Privatisierung von Staatsunternehmen soll der mit der Troika vereinbarte Sparplan mit präzisen zeitlichen Vorgaben möglichst noch überboten werden. Ins Visier geraten insbesondere ermäßigte Mehrwertsteuersätze für Waren und Dienstleistungen des Grundbedarfs. Für Strom und Gas steigt dieser bereits ab Oktober von sechs auf den Höchstsatz von 23 Prozent. Die 700000 ärmsten Haushalte können eine Beihilfe beantragen, welche die damit verbundene Teuerung abmindert. Von einer Steuererhöhung besonders bedroht sehen sich die Weinproduzenten und -händler. Viele könnten dann vor dem wirtschaftlichen Aus stehen. Derzeit liegt der Satz für Wein bei 13 Prozent. Portugiesische Rebensäfte sehen sich auch auf den externen Märkten einem zunehmenden Konkurrenzdruck ausgesetzt. 200000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der Branche ab. Die erst kürzlich um etwa 15 Prozent angehobenen Nahverkehrstarife sollen im kommenden Januar, im Rahmen einer »üblichen neuen Aktualisierung der Tarife«, so Wirtschaftsminister Álvaro dos Santos Pereira, erneut steigen. Normal- und Besserverdiener büßen bereits vorher durch einen Steueraufschlag die Hälfte ihres Weihnachtsgeldes ein. Kräftig sinken soll hingegen der sogenannte Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen. Die Regierung garantiert der Troika weitere Kürzungen bei Stellen und Einkommen im öffentlichen Dienst. Diese fordert von Portugals Regierung außerdem vehement die Aufhebung gesetzlich geschützter Mieten für Wohnungen und Gewerbe aus lange bestehenden Verträgen. Als Land mit beschränkter Souveränität soll Portugal nach den Vorstellungen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy seine Verfassung umschreiben und darin eine »Schuldenbremse« verankern. Die liberal-konservative Regierung benötigt dafür allerdings die Unterstützung der oppositionellen Sozialistischen Partei. Die PS sucht nach ihrer Wahlpleite im Juni mit António José Seguro als neuem Vorsitzenden nach Profil. Ein innenpolitischer Streit ist in Gang gekommen.

Durchschlagende Wirkung

Die Kürzungen schlagen auf die Konjunktur, den Arbeitsmarkt mit einer Erwerbslosenquote von mehr als zwölf Prozent und schließlich den privaten Konsum durch. Ein Minus im Juni von 3,4 Prozent zum Vorjahresmonat bedeutete die größte Einbuße bei der Kauflust seit drei Jahrzehnten. Den Wendepunkt weg vom wirtschaftlichen Abwärtstrend sollen laut der neuen Regierung die geplanten Privatisierungen bringen. Den Anfang sollen noch in diesem Jahr öffentliche Unternehmen im Energiesektor machen, danach stehen unter anderen die Fluggesellschaft TAP, der Flughafenbetreiber ANA und der erste Kanal des Staatsfernsehens RTP auf der Bieterliste. Bis Ende 2012 soll alles raus, mindestens sieben Milliarden Euro sollen erlöst werden, verspricht Passos Coelho. Investoren aus Europa, Brasilien, China und arabischen Ländern stünden auf dem Sprung. Als Handelsreisender kam Mitte September bereits Brasiliens Expräsident Lula da Silva nach Lissabon, wo er bei Staatspräsident Cavaco Silva und Premier Passos Coelho wegen eines möglichen brasilianischen Einstiegs bei der TAP und der Werft von Viana do Castelo, ENVC, vorfühlte. Der Sparkurs sei notwendig, ließ Lula die Portugiesen wissen.

Gegen dessen unsoziale Folgen mobilisiert der größte Gewerkschaftsbund CGTP für den 1. Oktober unter dem Motto »Gegen die Verarmung und die Ungerechtigkeit« zu einem neuen großen Protesttag – unterstützt von Kommunisten und Linksblock. Die »Generation in der Klemme« (geração à rasca) – die portugiesische Variante der Empörten, will zwei Wochen darauf wieder auf die Straßen.

* Aus: junge Welt, 20. September 2011


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