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Mißtrauen gegen Regierung

Portugal: Linke trägt Protest gegen Troika und Kürzungen ins Parlament

Von Peter Steiniger *

Haltet den Dieb!, heißt ihre Devise. Portugals Sozialisten (PS) möchten nicht mit der Kürzungspolitik ihrer Nachfolger auf der Regierungsbank in Verbindung gebracht werden. »Der Herr Premierminister mag auf der Seite der Troika bleiben, wir bleiben auf der Seite der Portugiesen«, so Parteichef António José Seguro am Donnerstag im portugiesischen Parlament.

Behandelt wurden zwei Anträge von Kommunisten und Grünen der Demokratischen Einheitskoalition (CDU) sowie vom Linksblock (BE), der seit 2011 am Ruder befindlichen Mitte-rechts-Regierung von Pedro Passos Coelho das Mandat zu entziehen. Sie machen diese für die katastrophale Wirtschaftslage mit einer Rekordarbeitslosigkeit von offiziell 15,9 Prozent und eine massive Senkung des Lebensniveaus der Bevölkerung bei der Umsetzung des Memorandums zum Übereinkommen mit der Troika, das die Auflagen der Geldgeber von EU und Weltbank für Portugal festschreibt, verantwortlich. Die Lohnkürzungen, Steuer- und Preiserhöhungen haben zu Massenprotesten geführt. Das Memorandum war von den Sozialisten selbst mit ausgehandelt worden. Bereits am Dienstag hatte das Führungsgremium der Sozialisten einstimmig den Beschluß gefaßt, sich beim Mißtrauensvotum zu enthalten. Ihr Abgeordneter Francisco Assis begründete dies mit dem »gleichgroßen Abstand zur neoliberalen Agenda der Regierung wie zu einer neomarxistischen, völlig von der Realität losgelösten extremen Linken«.

Am Mittwoch hatte Finanzminister Vitor Gaspar neue Maßnahmen angekündigt, um das Haushaltsdefizit des Landes zu senken und seine Kreditwürdigkeit bei den internationalen Finanzmärkten wiederherzustellen. »Diese Regierung besitzt keinerlei Glaubwürdigkeit mehr, weder intern noch extern.« Ihre Demission sei die einzige Möglichkeit für eine wirtschaftliche und soziale Erholung Portugals, begründete BE-Koordinator Francisco Louçã den parlamentarischen Vorstoß. Der Parteichef der Kommunisten (PCP), Jerónimo de Sousa, sieht darin ein »institutionelles Echo« auf den Protest der Bevölkerung auf der Straße. Die 14 kommunistischen Deputierten und die zwei Vertreter der Grünen Partei, die gemeinsam eine Fraktion bilden, tragen neben dem eigenen auch den Antrag der achtköpfigen BE-Abgeordnetengruppe in der 230 Sitze zählenden Versammlung der Republik mit. Erstmals auf nationaler Ebene wollen die beiden Linkskräfte über ideologische Differenzen hinweg ihre Kräfte in- und außerhalb des Parlaments im Widerstand gegen die Troika-hörige Politik bündeln.

De Sousa erinnerte an die Mitverantwortung der Sozialisten für das Troika-Memorandum, einen »Pakt der Aggression«. Die PCP fordert eine Neuverhandlung. Ziel müsse sein, produktive Investitionen, Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum und die Bedürfnisse des Landes zu fördern. Die bisherigen Sparprogramme und der Rückgang der Binnenkaufkraft haben die Rezession verschärft.

Während das Parlament debattierte, legten die Gewerkschaften aus Protest gegen die angekündigten Steuererhöhungen den öffentlichen Nahverkehr landesweit lahm. Die meisten Busse, U-Bahnen und Züge standen still. Für den 14. November hat der größte Gewerkschaftsdachverband, CGTP-Intersindical, zum allgemeinen Ausstand aufgerufen. Spaniens Comisiones Obreras signalisieren, daß es der Tag eines iberischen Generalstreiks werden könnte.

* Aus: junge Welt, Freitag, 05. Oktober 2012


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