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Solidarität darf keine Einbahnstraße sein

Der Aktivist Luis Bernardo über die Proteste gegen die Kürzungspolitik in Portugal und Europa *


Luis Bernardo, 28, war im September einer der Aufrufer zur Demonstration gegen die Kürzungspolitik in Portugal, an der mehr als eine Million Menschen teilnahmen. Er ist Mitglied im Vorstand von Attac Portugal, Gründungsmitglied der portugiesischen Initiative für einen Schuldenaudit und Mitglied bei Portugal Uncut. Für »nd« sprach Stephan Lindner mit dem Politikwissenschaftler.


nd: Mit dem 14. November steht in der nächsten Woche ein internationaler Streik- und Protesttag bevor. Portugal, Spanien und Griechenland werden sich maßgeblich beteiligen. Was erwarten Sie von Linken und sozialen Bewegungen in Deutschland?

Bernardo: Ich erwarte vor allem, Brücken der Solidarität zu bauen. Wir brauchen eine viel breitere Zusammenarbeit als bisher. Nur so kann unser Kampf wirklich international werden und notwendiges Vertrauen entstehen. Das ist zugleich der einzige Weg, mit dem wir gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit, sowohl in Portugal als auch in Deutschland ankämpfen können. Solidarität darf dabei keine Einbahnstraße sein. Auch wir möchten aus Portugal den Kampf der sozialen Bewegungen in Deutschland unterstützen.

Sie gehören zu den Mitorganisatoren der letzten großen Proteste in Portugal im September. Es waren die größten Demonstrationen in Portugal seit der Nelkenrevolution 1974. Wie ist es dazu gekommen?

Wir waren insgesamt 29 Personen, die zu dieser Demonstration aufgerufen hatten. Wir wollten, dass die Menschen gegen die Troika und gegen die Austeritätspolitik auf die Straße gehen. Eine Woche vor der Demonstration kündigte die Regierung noch härtere Sparmaßnahmen an. Das brachte für viele das Fass endgültig zum Überlaufen.

Sie hatten zu der Demonstration nur mit Ihren Namen aufgerufen, obwohl Sie fast alle auch in Organisationen mitarbeiten. Warum?

Wir wollten zeigen, dass es an der Zeit ist, dass sich auch Bürger ohne Anbindung an eine Organisation oder Partei engagieren müssen. Und wir wollten verhindern, dass unser Aufruf als Teil des üblichen politischen Spiels gesehen wird, bei dem einzelne Organisationen ihre Mitglieder zu irgendetwas aufrufen. Alle sollten sich angesprochen fühlen. Deshalb wollten wir unser Gesicht zeigen und haben nur als Personen aufgerufen.

Wie mobilisiert man zu solch einer großen Demonstration? Welche Ressourcen braucht das?

Unser größtes Kapital waren Solidarität und Freundschaft. Und natürlich das Internet mit den sozialen Netzwerken, die einem dort zur Verfügung stehen. Wir hatten unsere Botschaft vor allem über Facebook, Twitter und E-Mails verbreitet. Die meisten von uns sind auch seit langem politisierte Menschen und konnten auf ihre persönlichen Kontakte und Netzwerke zugreifen. Wir hatten keinerlei direkte Unterstützung durch irgendeine Organisation, weder finanziell noch logistisch.

Wie wollen Sie nach dem großen Erfolg weiter zusammenarbeiten?

Wir hatten kurz darüber diskutiert, ob wir eine neue Bewegung gründen wollen, uns dann aber dagegen entschieden. Wir bleiben eine Gruppe von Individuen, die aber wachsen soll.

Glauben Sie, dass der Schlüssel zur Lösung der Probleme Portugals vor allem im Land selbst liegt oder spielen die äußeren Faktoren wie die Politik der EU und von Ländern wie Deutschland die entscheidende Rolle?

Wir empfinden die Situation in Portugal wie einen Staatsstreich gegen unsere Verfassung. Es ist, als wäre sie einfach außer Kraft gesetzt und unsere bisherige politische Ordnung nicht mehr gültig. Das drückte sich auch in den Demonstrationen aus. Viele Menschen brachten ein Exemplar der Verfassung mit, das sie hochhielten und dabei riefen: »Ich will meine Verfassung zurück!« Im Moment haben die Rechte der Gläubiger Vorrang vor den Menschenrechten. Diese Reihenfolge muss sich wieder ändern. Deshalb wollen wir auch, dass die Troika aus EU-Kommission, Weltwährungsfonds und Europäischer Zentralbank nicht mehr nach Portugal kommt und es Neuwahlen gibt. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass dies ein internationaler Kampf ist und auch hier Solidarität notwendig ist, und zwar nicht nur mit den Menschen in den Staaten mit ähnlichen Problemen, sondern auch mit Menschen in Deutschland oder Frankreich, wo auch Armut herrscht.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 07. November 2012


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