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Tusk trat die Flucht nach vorn an

Polens Regierung überstand Vertrauensabstimmung nach Abhöraffäre

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Mit einer Flucht nach vorn gelang es Polens Premier Donald Tusk, seine Regierung über Wasser zu halten. Sie ist durch illegal aufgezeichnete private Ministergespräche in eine schwere Krise geraten.

Donald Tusk überraschte den Sejm am Mittwoch mit dem Antrag, über das Vertrauen für sein Kabinett abstimmen zu lassen. Er müsse wissen, ob er noch über die Mehrheit verfüge, bevor er in Brüssel Polens Interessen bei der Verteilung wichtiger Ämter in der EU vertrete. Am späten Abend erhielt die Koalition seiner Bürgerplattform (PO) und der Bauernpartei PSL 237 Stimmen. Im 460-sitzigen Sejm wären nur 231 nötig gewesen.

Erwartet hatte die Öffentlichkeit eine Information des Regierungschefs über den Abhörskandal, der Poel seit Tagen erschüttert. Das Magazin »Wprost« hatte Abschriften heimlich angefertigter Mitschnitte von privaten Gesprächen mehrerer Regierungsmitglieder veröffentlicht (»nd« berichtete). Tusk aber versuchte, die Aufmerksamkeit des Hauses auf nebensächliche Themen zu lenken. Lange ließ er sich über die vulgären Worte der »Helden« der abgehörten Gespräche aus. Dafür entschuldige er sich im Namen einiger prominenter Leute aus seiner Umgebung. Zur Sache, nämlich zum Inhalt der illegal – wie er mehrmals betonte – abgehörten Plaudereien seiner Minister sagte er eigentlich gar nichts. Allerdings ließ er durchblicken, er wisse, wer die Nutznießer der Veröffentlichung sein könnten. Ausdrücklich nannte er sie jedoch nicht. Das Drehbuch der Affäre sei jedenfalls gegen den Staat Polen gerichtet, aber seine Regierung werde sich nicht erpressen lassen.

Anderntags waren die großen Tageszeitungen wie »Gazeta Wyborcza« und »Rzeczpospolita« also auf der Spur östlicher Drahtzieher. Einer der vier vorübergehend von der Staatsanwaltschaft Festgenommenen ist ein im Kohlegeschäft mit Russland engagierter polnischer Millionär mit Kontakten zu der vermuteten »Kellnerverschwörung«. (Die bewussten Gespräche wurden in Restaurants mitgeschnitten). Ganz falsche Spur, meinte dazu die Redaktion von »Wprost«, die ihre Quellen unter Berufung auf das Presserecht nicht preisgibt.

Nach Tusks »Information« verschwanden die Abgeordneten der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Führung Jaroslaw Kaczynskis in der Lobby. Zur Debatte hinterließen sie nur einen Professor, der Tusk, die Regierung und »die ganze politische Klasse« mit noch nie protokollierter Schärfe angriff. Auch andere Redner kritisierten die Regierung erbarmungslos. Leszek Miller vom Bund der Demokratischen Linken (SLD), nannte die »Information«, die keine Informationen enthalten habe, beschämend.

Es gebe an der Rede nichts zu kommentieren, meinte am Donnerstag Leszek Balcerowicz, ein Mann aus demselben »ideologischen Stall« wie Tusk. Und Joachim Brudzinski, Sprecher von PiS, kündigte an, seine Partei werde im Sejm ein konstruktives Misstrauensvotum beantragen. Davor müsse eine echte Debatte stattfinden, um die »Tusk-Clique« und deren Machenschaften restlos zu entlarven.

Nach der Geschäftsordnung kann ein solcher Antrag erst nach sieben Tagen auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt werden. Im Falle des Gelingens könnte Professor Robert Glinski eine »technische Regierung« anführen. Über die erforderlichen 231 Stimmen aber verfügt PiS nicht.

Koalitionspartner PSL will, wie Sprecher Jan Bury erklärte, eine substanzielle Aussage über den weiteren Verbleib der vorerst geretteten Regierungsmannschaft auf die Zeit nach den Sommerferien vertagen. Und so wird es wohl kommen.

* Aus: neues deutschland, Freitag 27. Juni 2014


Sikorskis wahre Worte

Detlef D. Pries zum »Lauschangriff« auf polnische Regierungsmitglieder **

Ob »Normalbürger« im Staatsauftrag belauscht oder, wie im polnischen Fall, private Plaudereien der Staatsvertreter von Kellnern in noch unbekanntem Auftrag mitgeschnitten werden – beides sollte sich nicht gehören. Als »Verbrechen« prangern Regierende allerdings gar zu oft nur Letzteres an. Da die Niederschriften der bewussten Gespräche nun aber mal in der Welt sind, darf man sich auch mit den »Helden« und ihren Aussagen befassen. Zum Beispiel mit Radosław Sikorski, seines Zeichens Polens derzeitiger Außenminister. Der ist seit Langem als Polterer bekannt. Noch als Ressortchef für Verteidigung sah er den deutsch-russischen Vertrag über den Bau der Ostsee-Pipeline »in der Molotow-Ribbentrop-Tradition«. In aller Öffentlichkeit. In dem belauschten Gespräch aber beklagte er – in zugegeben vulgären Worten – die Unterwürfigkeit Polens gegenüber den USA, durch die sich Warschau eine tatsächlich doch nur trügerische Sicherheit zu erkaufen suche. Bemerkenswert für einen Mann, der einst als »eingebetteter« Journalist die US-Army in Afghanistan begleitete und als glühender »Atlantiker« galt. Vor allem aber ist berechtigt und wahr, was Sikorski sagt. Ob man sich durch wahre Worte für den Posten des EU-Außenbeauftragten qualifiziert, von dem Sikorski träumt, muss indes bis zum Beweis des Gegenteils bezweifelt werden.

** Aus: neues deutschland, Freitag 27. Juni 2014 (Kommentar)


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