Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Komorowski braucht die Linksliberalen

Eine Stichwahl am Sonntag muss entscheiden, wer Polens neuer Präsident wird

Von Holger Politt *

Amtsinhaber Komorowski ist am Sonntag bei der polnischen Präsidentschaftsstichwahl gegen seinen nationalkonservativen Herausforderer Duda auf Stimmen aus dem linksliberalen Feld angewiesen.

Allzu siegessicher ist Präsident Bronislaw Komorowski in den Wahlkampf gezogen. Umfragen ließen ihn lange vorher hoffen, die Hürde im großen Stil und fast nebenbei nehmen zu können. Doch um im Amt zu bleiben, muss er sich nun zu einem Spagat bequemen, in dem der überzeugte Konservative wenig geübt ist. Das Zünglein an der Waage könnte am Sonntag in der Stichwahl das linksliberale bzw. linksorientierte Wählerspektrum sein - soweit es in deutlicher Mehrheit zur Wahl geht, weil es sich dann für Komorowski entscheiden muss.

Herausforderer Andrzej Duda hat seinen Zuschnitt schnell gefunden, er ist mit jeder Faser der Kandidat seiner Partei - der nationalkonservativen PiS. Um am Sonntag die Nase vorne zu haben, reizt er nun die soziale Karte und zieht den gerade noch gefälligen konservativen Patriotismus ungeniert hinüber auf fragwürdigen nationalistischen Grund.

Mit den großen Gewerkschaften ist er sich einig in der Ablehnung der Rentenreform, mit der vor wenigen Jahren das gesetzliche Renteneinstiegsalter auf einheitliche 67 Jahre angehoben wurde. Überhaupt verspricht er viel Staat, überall dort, wo Wirtschaftsbereiche ohne staatliche Beihilfen in tiefen Krisen stecken - so im Schiffbau oder im Steinkohlebergbau. Um dem tadellosen Bild eines aufrechten Patrioten, das Komorowski in weiten Teilen der Öffentlichkeit nun einmal hat, wenigstens ein paar Kratzer zuzufügen, greift Duda auch in die Schmutzkiste. Ihm tue Komorowski ohnehin einfach zu wenig, um Polens guten Ruf im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zu verteidigen. Im Gegenteil, bei mehreren Gelegenheiten - so im Umgang mit dem Massaker an jüdischen Einwohnern der Kleinstadt Jedwabne im Nordosten des Landes am 10. Juli 1941 - untergrabe er ihn auch.

Übersteigertes Pathos half Komorowski in der ersten Runde wenig; er wurde unsanft zurückgeworfen auf den Wert, den die wirtschaftsliberale Regierungspartei PO derzeit in Umfragen aufweist. Komorowski, einst Exponent des konservativen PO-Flügels, braucht nun Unterstützung von linksliberaler Seite, deren Wählerschar im ersten Wahlgang mehrheitlich fernblieb. Umso überraschender war es, als er gleich nach dieser Runde ankündigte, bald ein Referendum über eine Verfassungsänderung anzuberaumen.

Komorowski zielt auf einen Sejm, der nur noch aus Wahlkreissiegern zusammengesetzt sein soll. Nach heftiger öffentlicher Gegenwehr rudert er jedoch zurück und meint jetzt, es gehe ihm eher um Verhältnisse wie in der Bundesrepublik Deutschland, in der bei den Parlamentswahlen das Direktmandat eine gravierende, wiewohl nicht entscheidende Rolle spiele. In der Tat gibt es im Sejm keine Direktmandate. Allerdings haben die Wähler die Möglichkeit, Kandidaten auf den jeweiligen Wahllisten unabhängig von der durch die Parteien vorgegebenen Rangfolge anzukreuzen.

Komorowskis Vorschlag zu einer, wie er meint, moderaten Verfassungsänderung griff Herausforderer Duda auf und fordert glattweg eine völlig neue Verfassung, da die gültige von 1997 aus Zeiten stamme, bevor Polen NATO- und EU-Mitglied geworden sei. Doch damit treibt der PiS-Kandidat dem Amtsinhaber eher die dringend benötigten zusätzlichen Stimmen zu. So unterstützen etwa fünf ehemalige Außenminister in einem gemeinsamen Aufruf den Amtsinhaber. »Die Außenpolitik Polens muss berechenbar und glaubwürdig sein«, betonten u.a. Radoslaw Sikorski, Wlodzimierz Cimoszewicz und Adam Daniel Rotfeld am Donnerstag. Komorowski stehe für internationale Glaubwürdigkeit. Und das ist kein Einzelfall, sondern zeigt eine Tendenz an, die am Sonntag wahlentscheidend werden könnte.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 22. Mai 2015


Zurück zur Polen-Seite

Zur Polen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage