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Präsidentenwahl in Polen: Rechtskonservativer Duda vorn

Prognosen: Liberaler Amtsinhaber Komorowski muss mit nur 32,2 Prozent wohl in die Stichwahl / PiS-Kandidat holt überraschend 34,8 Prozent *

Überraschung bei der Präsidentschaftswahl in Polen: Nach der ersten Runde lag der rechtskonservative Oppositionskandidat Andrzej Duda laut Nachwahlbefragungen vorn. Wie der staatliche Fernsehsender TVP nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend um 21.00 Uhr berichtete, kam Duda auf 34,8 Prozent der Stimmen. Dagegen erhielt der eigentlich favorisierte Amtsinhaber Bronislaw Komorowski nur 32,2 Prozent. Damit müssten die beiden Politiker am 24. Mai in die Stichwahl.

Komorowski, der für die seit acht Jahren regierende liberale Bürgerplattform (PO) ins Rennen ging, sprach am Abend von einer »ernsten Warnung« an das Regierungslager. Er werde am Montag Vorschläge für die »Enttäuschten« präsentieren, die »schnellere Veränderungen erwarten, eine schnellere Modernisierung des Landes«, kündigte Komorowski an.

Duda, der Kandidat der rechtskonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wurde von jubelnden Anhängern in seinem Wahlkampfhauptquartier empfangen. »Wir werden siegen«, rief die Menge. Duda bekräftigte, er wolle Polen in vielen Bereichen wie Gesundheit, Wirtschaft und Bildung »erneuern«. Hierfür brauche es aber zunächst eine »Veränderung in der Präsidentschaft«.

Komorowski hatte als der klare Favorit der Wahl gegolten. Allerdings waren seine Zustimmungswerte zuletzt auf unter 40 Prozent gesunken - vor einigen Monaten hatten sie noch bei mehr als 50 Prozent gelegen. Es war zudem damit gerechnet worden, dass der 62-jährige Historiker die erforderliche absolute Mehrheit nicht im ersten Wahlgang erreichen würde.

Im Wahlkampf hatte Komorowski, der frühere Verteidigungsminister und Parlamentspräsident, der 2010 nach dem Tod des damaligen Präsidenten Lech Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz die Wahl gegen dessen Zwillingsbruder Jaroslaw gewonnen hatte, vor allem die Ukraine-Krise und die aus Sicht vieler Polen wachsende Bedrohung durch Russland thematisiert. Seine zehn Gegenkandidaten hatten dagegen soziale Themen stärker in den Mittelpunkt gestellt.

Duda hatte den Wählern Steuersenkungen und ein niedrigeres Rentenalter versprochen - auch wenn die Sozialpolitik nicht zum Kompetenzbereich des polnischen Präsidenten gehört, der neben repräsentativen Aufgaben nur in der Außen- und Verteidigungspolitik ein Mitspracherecht hat und ein Veto gegen Gesetzesvorhaben einlegen kann.

Mit scharfer Kritik an künstlicher Befruchtung und der EU-Konvention zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt sicherte sich Duda zudem die Unterstützung konservativer Katholiken. Auch die Gewerkschaft Solidarnosc stellte sich hinter den 42-jährigen Juristen.

Dritter wurde den Wählerbefragungen zufolge am Sonntag der 51-jährige Rockstar Pawel Kukiz, für den rund 20,3 Prozent der Wähler stimmten. Die Wahlbeteiligung fiel mit 49,4 Prozent noch geringer als bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vor fünf Jahren, die bei 55 Prozent gelegen hatte.

Der Politologe Eryk Mistewicz sagte, beim ersten Wahlgang seien vor allem diejenigen mobilisiert worden, denen die Liberalisierung Polens in den vergangenen 25 Jahren zu schnell gegangen sei und die sich ein sozialeres Land wünschten. Bis zur Entscheidung in zwei Wochen sei nun mit einem »explosiven Wahlkampf« zu rechnen.

Die Wahl des polnischen Staatsoberhaupts galt auch als Stimmungstest für die Parlamentswahl im Herbst, bei der die PiS von Jaroslaw Kaczynski die PO herausfordert. Umfragen zufolge liegt die PO dabei nur knapp in Führung.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. Mai 2015


Präsidenten-Pogo in Polen

Nationalistischer Punkrocker holt bei Wahl des Staatsoberhaupts 20 Prozent der Stimmen. Amtsinhaber Komorowski auf Platz zwei hinter Oppositionskandidat Duda

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka **


Das Ergebnis der ersten Runde der polnischen Präsidentschaftswahl am Sonntag hat alle Beteiligten überrascht. Der in den Umfragen favorisierte Amtsinhaber Bronis?aw Komorowski landete mit 33,5 Prozent nur auf Platz zwei knapp hinter dem Kandidaten der rechtskonservativen Oppositionspartei PiS, Andrzej Duda. Dieser bekam 34,5 Prozent und lag damit nach den ersten Hochrechnungen vorn. Das amtliche Endergebnis sollte erst am Montag abend bekanntgegeben werden. Klar ist jedoch, dass es am 24. Mai eine Stichwahl zwischen Duda und Komorowski geben wird.

Größte Überraschung des Wahlabends an Weichsel und Warthe war das gute Abschneiden des ehemaligen Punkrockers Pawe? Kukiz. Der Kandidat, der mit einer Mischung aus Anti-Parteien-Ressentiment, wirtschaftlichem Liberalismus und nationalistischer Rhetorik angetreten war, erhielt aus dem Stand 20,5 Prozent der Stimmen. Erste statistische Auswertungen zeigen, dass er offenbar in erster Linie für den dramatischen Absturz Komorowskis verantwortlich ist. Kukiz erzielte seine besten Ergebnisse in gleich mehreren Wählergruppen, die bisher als »sichere Bank« für Komorowski und die regierende »Bürgerplattform« (PO) gegolten hatten: bei den jüngeren und bei den formal gebildeten Wählern sowie bei den Bewohnern der Großstädte. Unter den Wählern bis 29 Jahre stimmten sensationelle 41 Prozent für Kukiz, bei den Wählern mit Hochschulbildung lag er mit 23,4 Prozent über dem nationalen Durchschnitt. Man kann dieses Ergebnis als schallende Ohrfeige der genannten Milieus für die Wirtschaftspolitik der PO deuten. Sie beruht auf einer Niedriglohnstrategie, um Polen als Investitionsstandort attraktiv zu halten. Das hat gerade für Hochschulabsolventen dramatische Folgen in Gestalt unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Ähnlich wie in Italien und Spanien wächst auch in Polen eine Generation gut ausgebildeter junger Leute heran, die vor der Wahl stehen, entweder zu emigrieren oder auf unbestimmte Zeit bei ihren Eltern zu wohnen.

Duda ist dagegen nach den Auswertungen der Sozialwissenschaftler der Kandidat des dörflich-kleinstädtischen Polens, der über 50jährigen und der formal wenig Gebildeten. Bei den Wählern mit Hauptschulabschluss oder mittlerer Reife errang er schon in der ersten Runde absolute Mehrheiten. Seine Strategie, sich als Kandidat mit sozialer Sensibilität zu präsentieren, ist damit aufgegangen. Auch in seinem ersten Statement nach der Wahl erklärte Duda, er wolle für ein Polen eintreten, das für die breite Mehrheit seiner Bürger lebenswert sei. Regional bestätigte sich die bekannte Aufteilung Polens in einen eher liberal stimmenden Westen und Norden und den konservativen Süden und Osten.

Rechnet man die Ergebnisse von Kukiz und Duda bei den Jungwählern zusammen, so ergibt sich eine gut 60prozentige Mehrheit für Kandidaten der expliziten Rechten. Komorowskis Parole, er vertrete das »rationale Polen« im Unterschied zum »radikalen«, ist somit an der Realität vorbeigegangen. Allgemein als blamabel empfunden wurde das Ergebnis der von der postsozialistischen SLD aufgestellten Kandidatin Magdalena Ogórek. Sie kam auf 2,4 Prozent und tröstete sich mit der Aussage, Polen sei »noch nicht reif für eine Frau als Präsidentin«. In der SLD dürften sich jetzt die Rücktrittsforderungen an die Adresse von Parteichef Leszek Miller mehren, der Ogórek innerparteilich durchgesetzt hatte. Den Anfang machte Expräsident Aleksander Kwa?niewski, der die Partei mit diesem Ergebnis »am Nullpunkt« sah.

Als erste Reaktion auf die Wahl kündigte Komorowski an, er werde ein Referendum über die Einführung des Mehrheitswahlrechts und die Einstellung der Parteienfinanzierung aus dem Staatshaushalt ansetzen. Mit beidem nimmt er Forderungen von Kukiz auf und zielt darauf ab, dessen Wähler nicht nur für die Stichwahl zu gewinnen, sondern Kukiz auch im Vorfeld der im Herbst anstehenden Parlamentswahlen möglichst zu neutralisieren.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 12. Mai 2015


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