Die Bürgerplattform hat nun die ganze Macht
Bronislaw Komorowski wurde am Sonntag zum neuen Staatspräsidenten Polens gewählt / Regierungslager steht vor schwierigen Reformen
Von Julian Bartosz, Wroclaw *
In den nächsten fünf Jahren heißt Polens Staatspräsident Bronislaw
Komorowski. Der 58-jährige Kandidat der regierenden Bürgerplattform (PO)
gewann am Sonntag die Stichwahl gegen Jaroslaw Kaczynski, dem Chef der
Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Am Montagfrüh (5. Juli) stand es nach einer dramatischen Wahlnacht und der Auszählung fast aller 26 000 Wahllokale im Lande dann endgültig fest: Mit 52,6 Prozent der Stimmen wird der liberal-konservative
Parlamentschef Bronislaw Komorowski neuer Präsident Polens. Sein
national-konservativer Herausforderer Jaroslaw Kaczynski,
Zwillingsbruder des abgestürzten Vorgängers Lech Kaczynski, erreichte
47,4 Prozent. Nur gegen Mitternacht hatte der PiS-Kandidat ein Mal kurz
vorn gelegen, am Ende bestätigte sich aber bei einer Wahlbeteiligung von
55 Prozent Komorowskis Fünf-Prozent-Vorsprung aus dem ersten Urnengang
vor zwei Wochen. Absolut lag der Unterschied zwischen den Kandidaten der
beiden konservativen Parteien bei 840 000 Stimmen. Komorowski siegte in
neun der 16 Woiwodschaften. Regional gesehen stimmten der Westen und der
Norden des Landes, infrastrukturell und wirtschaftlich deutlich deutlich
höher entwickelt, für den Vertreter der Bürgerplattform, im Osten und
Südosten, an der sogenannten »Ostwand« Polens, lag der Anwärter der PiS
vorn.
Wie die ersten Analysen zeigen, dürften rund 80 Prozent der Wählerschaft
des linken Kandidaten Grzegorz Napieralski, der im ersten Wahlgang auf
fast 14 Prozent kam, ihre Stimme dieses Mals an Komorowski gegeben
haben. Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski lobte diese Tatsache als
Zeichen des Verantwortungsgefühls der SLD-Basis. Es sei gut, dass der
PO-Mann gesiegt habe, betonte Kwasniewski, weil er berechenbar sei und
über Erfahrungen in der Staatsführung verfüge. Tatsächlich war der
Historiker Komorowski Ressortchef im Verteidigungsministerium und sitzt
seit drei Jahren als Sejmmarschall dem Parlament in Warschau vor. Seit
dem Flugzeugunglück am 10. April bei Smolensk fungierte er auch als
Staatsoberhaupt.
Am Wahlabend betonte der Sieger, in Polen habe die Demokratie gewonnen,
erinnerte mehrmals an den Spruch »Keine Solidarnosc ohne Freiheit, keine
Freiheit ohne Solidarnosc« und machte sein eigenes und das Wahlmotto
seines Gegners zu einem Slogan: »Eintracht baut auf - Polen ist das
Allerwichtigste«. Er gab mit Blick auf die Ergebnisse der Stichwahl zu,
dass das Land gleichsam halbiert sei und meinte damit wohl auch die
Aufspaltung der aus dem »Solidarnosc«-Lager hervorgegangenen Parteien.
Was er vergessen hat, war der Hinweis darauf, dass 45 Prozent der 30,6
Millionen Stimmberechtigten, mithin also fast 15 Millionen Menschen, an
dem demokratischen Wahlakt erst gar nicht teilgenommen haben.
Jaroslaw Kaczynski, der Verlierer, gratulierte am Wahlabend zuerst
seinem Widersacher und betonte dann - Józef Pilsudski zitierend -, dass »besiegt zu werden und nicht unterliegen« jetzt das Gebot der Stunde sei. Die PiS müsse weiterhin voll mobilisiert bleiben, im Herbst stünden schließlich Kommunalwahlen und im nächsten Jahr dann Parlamentswahlen an. Noch vor vier Monaten, erinnerte Kaczynski, »wurden wir mit 25 Prozent in der Wählergunst bewertet, jetzt haben wird beinahe das Doppelte. Wir werden weiter machen und siegen.«
Die am Sonntag siegreiche Bürgerplattform hat nun mit der Regierung und
den ihr untergeordneten Institutionen sowie dem Amt des
Staatspräsidenten die politische Allmacht zwischen Oder und Bug. 100
Prozent Macht bedeute aber auch 100 Prozent Verantwortung, so Aleksander
Kwasniewski. Komorowski wird Ministerpräsident Tusk in der Gesetzgebung
nicht widersprechen, es wird Harmonie herrschen. Ein Veto des
Staatsoberhauptes muss die Regierung nicht befürchten. Bedenkt man, was
der PO-Kandidat im Wahlkampf im Namen seiner Partei alles versprochen
hat, stehen auf dem Weg der angekündigten »Reformierung« Polens nun so
manche Hürden. Ob der Koalitionspartner PSL-Bauernpartei von Waldemar
Pawlak das alles mitmacht, ist nicht sicher.
Der Chef der PO-Parlamentsfraktion Grzegorz Schetyna kündigte schon am
Montag an, die Regierung werde bald einen Plan für die kommenden
eineinhalb Jahre vorlegen. Er nannte Reformen des Gesundheitswesens und
des Rentensystems sowie die Konsolidierung der Finanzen als Hauptziele.
Ein besonders heikler Punkt ist dabei die angesagte Reform der
Sozialversicherung der Landwirte. Es scheint durchaus möglich, dass die
»Bauern« - wie schon geschehen - eher früher als später noch vor der
Parlamentswahl abspringen, sollte es eng und politisch nützlich sein.
Für 500 Tage ruhigen Regierens jedenfalls gibt es auch nach diesem
Wahlsonntag keine Garantie.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2010
Ohne Mitleid
Komorowski gewinnt polnische Präsidentschaftswahlen. Beste Bedingungen
für neoliberale "Reformen"
Von Stefan Inführ **
Der Mitleidseffekt war doch nicht groß genug. Jaroslaw Kaczynski,
Kandidat der nationalkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit),
unterlag bei den Stichwahlen zur polnischen Präsidentschaft mit rund 47
Prozent der Stimmen seinem Konkurrenten Bronislaw Komorowski von der
rechtsliberalen »Bürgerplattform«. Somit kann Kaczynski nicht die
Nachfolge seines am 10. April bei einem Flugzeugabsturz nahe Smolensk
verunglückten Zwillingsbruders Lech, dem vierten Präsidenten seit 1989,
antreten. Statt dessen übernimmt mit Komorowski jener Mann das
Präsidentenamt, der es bereits interimistisch seit dem Tod Lech
Kaszynskis ausgeübt hatte.
Die Stichwahl brachte keine grundlegenden Veränderungen zum Ergebnis des
ersten Wahldurchgangs vom 20. Juni. Ebenso wie zwei Wochen zuvor
erzielte Kaczynski im eher ärmeren Osten des Landes die Mehrheit,
während Komorowski im Westen triumphierte. Die Wähler des damals
drittstärksten Kandidaten, Grzegorz Napieralski von der
sozialdemokratischen SLD, sind ersten Analysen zufolge zu gut drei
Vierteln ins Lager Komorowskis gewechselt. Mit etwa 55 Prozent lag die
Wahlbeteiligung nur minimal über jener vom 20. Juni und bewegte sich
damit im für Polen üblichen, vergleichsweise eher niedrigen Bereich.
Während der vegangenen Wochen hatten sich die Nationalkonservativen
vergeblich um die Stimmen der sozialdemokratischen Wähler bemüht. So
hatte sich der bisher vor allem als flammender Antikommunist auffallende
Kaczynski sogar zum Versprechen genötigt gesehen, Mitglieder der SLD
künftig nicht mehr als »Postkommunisten« zu bezeichnen. Diese Diktion
hatte bisher auch ein großer Teil der bundesdeutschen Zeitungslandschaft
übernommen.
Wahlsieger Komorowski gilt als Liebling der Unternehmer sowie deutlich
EU-freundlicher als Kaczynski. So bezeichnete ihn die Financial Times
Deutschland als »Wunschkandidaten der Unternehmen und Finanzmärkte«.
Schon vor der Stichwahl hatte die Polen-Beauftragte der deutschen
Bundesregierung, Cornelia Pieper, ihre Vorstellung eines genehmen
Resultats deutlich gemacht: »Entweder entscheidet sich Polen für den Weg
zurück ins politische Abseits oder es bleibt Reformmotor und geht den
Weg in die Euro-Zone weiter«. Für diese unmißverständliche
Präferenzäußerung für Komorowski wurde Pieper im In- und Ausland heftig
kritisiert.
Die Erwartungen der Experten gehen dahin, daß die Regierung unter
Komorowskis Parteifreund Donald Tusk ihren wirtschaftsliberalen Kurs
deutlich leichter umsetzen kann als während der Präsidentschaft von Lech
Kacszynski. Dieser hatte gegen einzelne Kürzungsmaßnahmen sein Veto
eingelegt. Der Eintritt Polens in die Euro-Zone scheint nun im Laufe der
nächsten Jahre wahrscheinlich.
Als Sproß eines alten polnischen Adelsgeschlecht ist Komorowski entfernt
mit Prinzessin Mathilde von Belgien verwandt. Zu seiner Zeit als
Abgeordneter hatte er unter anderem gegen ein Schulmilchprogramm, eine
Erhöhung des Budgets für Waisenheime sowie eine Aufstockung der
Lehrergehälter gestimmt. Erwartungsgemäß erfreut fielen die ersten
Reaktionen auf den Wahlausgang aus. Außenminister Guido Westerwelle
sprach noch vor Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses von einem
»starken proeuropäischen Signal«. Die Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza
nannte das Wahlergebnis ein »Bekenntnis zu europäischen Werten« sowie
zur Marktwirtschaft.
Noch am Sonntag abend (4. Juli) kündigte Komorowski Einschnitte bei öffentlichen Ausgaben an. Durch die Besetzung der Posten von Präsident und Premier kann die rechtsliberale »Bürgerplattform« nun zumindest bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2011 ihre Vorstellungen von »Reformen«
relativ problemlos durchsetzen.
** Aus: junge Welt, 6. Juli 2010
Ohne Buhmann
Von Olaf Standke ***
Eine Warschauer Zeitung brachte es gestern auf den Punkt: »Ihr habt
jetzt alle Macht. Zeigt, was ihr anzubieten habt.« Ihr, das ist die
liberal-konservative Bürgerplattform (PO), die neben dem Regierungschef
mit Bronislaw Komorowski nun auch das Staatsoberhaupt stellt. In den
zwei Jahrzehnten nach der polnischen Wende gab es bisher kaum eine
solche Machtfülle für eine Partei. Die Frage ist nur, was sie daraus macht.
Ob Brüssel, Berlin oder Moskau, jenseits der Grenzen atmet man auf,
hofft man doch nach dem zutiefst national-konservativen, euroskeptischen
und russlandfeindlichen Vorgänger auf bessere Zusammenarbeit. Aber auch
im Lande hat es Lech Kaczynski der von PO-Chef Donald Tusk geführten
Regierungskoalition nicht leicht gemacht und 18 Mal Gesetze mit seinem
Veto blockiert. Nur war er damit zugleich der beste Buhmann für eine
Regierung, die sich bislang nicht mit Ruhm bekleckert hat. Die
Staatsverschuldung wächst immer bedrohlicher, das Gesundheits- und das
Rentensystem müssen dringend saniert werden. Wer aber verhindert, dass
die wiederholt angekündigten »Reformen« zur sozialen Rosskur werden? Und
wie ernst meint es der letztlich nur dank linker Stimmen gewählte
Antikommunist Komorowski, wenn er verspricht, die Spaltung im Lande zu
überwinden? Die Antworten darauf werden die 500 Tage bis zu den nächsten
Parlamentswahlen in Polen prägen. Der Wahlkampf hat schon begonnen.
*** Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2010 (Kommentar)
Pest vor Cholera
Komorowski Polens neuer Präsident
Von Werner Pirker ****
Mit Bronislaw Komorowski hat am Sonntag der Wunschkandidat der
Unternehmen und Finanzmärkte die polnischen Präsidentenwahlen gewonnen.
Der von der neoliberalen Bürgerplattform nominierte ehemalige
Solidarnosc-Aktivist hat die Mehrheit der Wählerschaft hinter sich
gebracht, obwohl er »Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben«, das
heißt ein unsoziales Belastungspaket, angekündigt und eine »Reform des
Sozialsystems«, das heißt Sozialabbau, in Aussicht gestellt hat. Wie in
Tschechien und der Slowakei hat sich nun auch in Polen die neoliberale
Rechte durchgesetzt - anders als in den beiden ehemaligen
tschechoslowakischen Teilrepubliken aber nicht gegen die Linke, sondern
gegen die katholisch-fundamentalistische Rechte.
Heiß umkämpft bei den Stichwahlen in Polen waren die 14 Prozent, die der
Kandidat des »Bundes der Demokratischen Linken« Grzegorz Napieralski im
ersten Wahlgang erhalten hatte. Weder der liberale Komorowski noch der
Kandidat der erzkonservativen »Partei für Recht und Gerechtigkeit«,
Jaroslaw Kaczynski, waren sich für diese aus dem postkommunistischen
Lager zu holenden Stimmen zu schade. Es wäre eines wirklich linken
Kandidaten durchaus angemessen gewesen, hätte er diese Wahl als eine
zwischen Pest und Cholera bezeichnet und seinen Wählern empfohlen,
ungültig zu wählen. Napieralski aber rief sie demokratisch korrekt dazu
auf, zur Wahl zu gehen, ganz gleich, für wen sie ihre Stimme abgeben. Da
beide Kandidaten aus dem antikommunistischen Untergrund kommen, wird das
von politischen Analysten als ein Akt der Versöhnung zwischen
Postkommunisten und Antikommunisten angesehen. Was angesichts der
Tatsache, daß die Postkommunisten ohnedies längst zu Antikommunisten
geworden sind, kein großes Kunststück mehr darstellte.
Dennoch war es amüsant, die Kandidaten beim Werben um linke Stimmen zu
beobachten. Komorowski betonte die Wichtigkeit einer starken Linken,
wobei er freilich an eine der neoliberalen Hegemonie unterworfene Linke
gedacht haben dürfte. Kaczynski wiederum versuchte, sich linken Wählern
als das soziale Gewissen des Landes zu empfehlen. Er erinnerte sogar
daran, daß viele Kommunisten Mitglieder der Solidarnosc gewesen seien.
Das aber waren Ideal- und keine Apparat-Kommunisten, aus denen in der
Folge die neoliberalen Postkommunisten hervorgegangen sind. Während also
Komorowski eher um das Milieu postkommunistischer Liberaler bemüht war,
wilderte Kaczynski an der linken Basis. Indem er deren soziale
Befindlichkeiten anzusprechen versuchte, hat er, der sich auch dezidiert
gegen Ausgabenkürzungen aussprach, den sozial linkeren Wahlkampf geführt.
Komorowskis Sieg hat nicht nur die Unternehmen und Finanzmärkte erfreut.
Auch den EU-Granden war es eine helle Freude, feststellen zu können, daß
Polens Wähler mit Jaroslaw Kaczynski einen - aus Brüsseler Sicht -
»europafeindlichen Querulanten« aus dem Weg geräumt haben.
**** Aus: junge Welt, 6. Juli 2010 (Kommentar)
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