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Tusk schmiert ab

Rabiate Kahlschlagspolitik läßt in Polen die Unzufriedenheit mit der rechtsliberalen Regierung explodieren

Von Tomasz Konicz, Poznan *

Polens Meinungsforschungsinstitute melden einen raschen Popularitätsschwund der vor wenigen Monaten wiedergewählten rechtsliberalen Regierungspartei »Bürgerplattform« (PO). Einer Anfang Februar durchgeführten Wahlumfrage zufolge sank die Unterstützung für die PO binnen eines Monats um rund neun Zähler auf nur noch 28 Prozent. Dies ist der niedrigste Umfragewert für die »Bürgerplattform« seit deren erstem Wahlsieg 2007.

Die Regierungspartei liegt damit nur noch knapp vor der nationalistischen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) des ehemaligen Regierungschefs Jaroslaw Kaczynski, die mit 26 Prozent Wählerzuspruch rechnen kann. Die linksliberale Spaßpartei »Bewegung des Palikot« (Ruch Palitkota) kommt auf zehn Prozent, die Sozialdemokraten (SLD) auf acht Zähler. Selbst wenn der Koalitionspartner der PO, die Bauernpartei PSL, erneut die Fünfprozenthürde nehmen sollte, stünde die derzeitige Regierung bei vorgezogenen Wahlen ohne Mehrheit dar.

Dieser rasant zunehmende Gegenwind für die Regierung von Donald Tusk, der nur noch 23 Prozent der Befragten eine »gute Arbeit« bescheinigen, ist auf ein Bündel von knallharten Sparmaßnahmen und Strukturreformen zurückzuführen, die der Ministerpräsident kurz nach seinem Sieg im November 2011 ankündigte (siehe jW vom 24.11.2011). Der im Wahlkampf kaum thematisierte Sozialkahlschlag sieht neben Streichungen beim Kindergeld vor allem eine massive Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre vor, die bei ihrer Umsetzung viele Polen buchstäblich bis in den Tod arbeiten ließe – wenn sie denn überhaupt Arbeit hätten. Denn die Arbeitslosenquote ist zwischen Oder und Bug im Januar gegenüber dem Vormonat um 0,7 Zähler auf inzwischen 13,3 Prozent angestiegen.

Angesichts der rasch ansteigenden Erwerbslosenquote konnte die Begründung Tusks für die Rente ab 67 viele Polen nicht überzeugen. Der Premier warnte Mitte Februar vor einer »demographischen Katastrophe«, die ab 2040 zu einem »drastischen Arbeitskräftemangel« führen werde und dem bereits jetzt entgegenzusteuern sei. Sollte das Renteneintrittsalter nicht von 60 Jahren bei Frauen und 65 Jahren bei Männern auf 67 Jahre erhöht werden, drohten mittelfristig massive Steuer- und Abgabenerhöhungen, drohte Tusk. Die rechte Opposition bietet hingegen eine andere Erklärung: Oftmals wird dieser Sozialkahlschlag mit dem von Deutschland in der Euro-Zone durchgesetzten EU-Fiskalpakt in Verbindung gebracht, der Kürzungspolitik europaweit institutionalisiert und dem sich Warschau »freiwillig« angeschlossen habe.

Deshalb bleibt die Zustimmung zu dieser »Rentenreform« bei Umfragen mit etwa 20 Prozent denkbar schlecht, während insbesondere die rechtskonservativen und nationalistischen Kräfte in der Opposition nun ihre Chance wittern. Die eng mit der rechtskonservativen PiS verbündete Gewerkschaft Solidarnosc startete unlängst eine erfolgreiche Unterschriftenaktion gegen die Rentenreform, an der sich mehr als eine Million Menschen beteiligten. Solidarnosc-Chef Piotr Duda kündigte vor wenigen Tagen einen »heißen Frühling« mit massiven Protesten an, sollte die Regierung ihre Reformpläne nicht zurücknehmen.

Für weiteren Unmut in der Bevölkerung sorgt die »Gesundheitsreform« der Regierung, die Krankenhäuser in privatrechtliche Gesellschaften (GmbHs), in Unternehmen, umwandeln will. Zudem müssen derzeit viele hochverschuldete polnische Städte und Kommunen die letzten öffentlichen Betriebe veräußern, was massiven Unmut innerhalb der betroffenen Belegschaften schürt, die Angst vor Massenentlassungen und Lohnkahlschlag haben.

Schließlich hat auch die breite Protestwelle gegen das Internet-Zensurgesetz ACTA zu dem Umfragetief der Regierung Tusk beigetragen. Die jahrelang in apolitischer Apathie versunkene polnische Jugend ging bei den Massenprotesten in Dutzenden polnischen Städten zu Hunderttausenden auf die Straße und eröffnete so die Perspektive einer breiten Opposition, die sich von dem dumpfen Nationalismus der PiS und Solidarnosc abgrenzt.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2012


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