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Polens Premier vor Amtsperiode Nummer 2

Kaum Zweifel an der Wiederwahl von Donald Tusk

Von Holger Politt, Warschau *

Darauf war bisher immer Verlass: Wenn in der Republik Polen ein neues Parlament gewählt wurde, kam es stets zu einem Wechsel am Regierungsruder. Donald Tusk dürfte am Abend des 9. Oktober der erste Regierungschef sein, auf den eine zweite Amtszeit zukommen wird.

Alle Umfragen bescheinigen der von Tusk geführten Bürgerplattform (PO) mittlerweile einen beruhigenden Vorsprung vor den Nationalkonservativen, der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), um Jaroslaw Kaczynski. Die einzig spannende Frage scheint, ob es für die PO nicht sogar zur absoluten Mehrheit an Parlamentssitzen reichen könnte.

Doch auch ohne diese sähe Tusk sich in einer komfortablen Position. Denn mit der Bauernpartei (PSL) und dem Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) stehen gleich zwei potenzielle Anwärter für die Regierungsbänke zur Verfügung. Erste Wahl wäre freilich die PSL, der jetzige Koalitionspartner, doch auch mit den Linksdemokraten fänden sich schnell die nötigen Überschneidungen.

Vor zehn Jahren wurde die PO gegründet, die sich anfangs schneidig wirtschaftsliberal gab, einen schlanken, sozialer Verpflichtungen weitgehend entledigten Staat forderte, weil das Land wirtschaftlich aufholen müsse. Alles andere müsse der Aufholjagd untergeordnet werden, die Tüchtigen fänden ohnehin ihren Platz.

Mittlerweile haben sich diese Vorstellungen zwar im Detail geändert, doch im Kern sind sie die gleichen geblieben. Er mache eigentlich gar keine richtige Politik, sagt Tusk gerne von sich, er verantworte mit seiner Regierung vielmehr die günstigen Bedingungen, damit das Land an Haupt und Gliedern sich modernisieren könne. Gerne verweist er auch auf den ihm zugeschriebenen Erfolg, dass Polen nämlich von 2008 zu 2009 als einziges EU-Land auf Wachstumsraten verweisen konnte. Und Tusk hat politischen Erfolg damit, holte er doch in den zurückliegenden Monaten beinahe spektakulär zu nennende Neuzugänge an Bord. Von den Linksdemokraten beispielsweise einen als Hoffnungsträger gehandelten Abgeordneten besten Alters, der durch Tusk als Belohnung schnell noch zum Minister für die Ausgeschlossenen und Benachteiligten ernannt wurde. Jetzt wird Minister Bartosz Arlukowicz in Szczecin gegen den SLD-Chef Grzegorz Napieralski ins Rennen gehen.

Rechtzeitig zur Zehnjahresfeier der Partei vor dem Sommer lief auch Joanna Kluzik-Rostowska über, die im Jahr zuvor noch Jaroslaw Kaczynskis Wahlkampf um das Präsidentenamt geleitet hatte. Zwar hatte sie sich mit Gleichgesinnten bereits im Dezember 2010 von der Kaczynski-Partei getrennt, doch die Übernahme der erfahrenen Sozialpolitikerin durch Tusk gilt allgemein als Bravourstück.

Überhaupt scheint sich die PO immer mehr als Volkspartei verstehen zu wollen. Da wird schon mal ein zürnendes Wort gegen zu weit gehende Absichten der katholischen Schwarzkittel fallengelassen, da wird ein anderes Mal gar leichter Zweifel am blinden Glauben an den omnipotenten Markt geäußert.

Den Großteil ihrer Stimmen wird die PO den prosperierenden Großstädten und vornehmlich dem jüngeren Wählerspektrum zu verdanken haben. Ganz so wie vor vier Jahren. Zwar klettert mittlerweile die Jugendarbeitslosigkeit wieder nach oben, doch ändert das einstweilen wenig an der weit verbreiteten Überzeugung, die PO sei der politische Garant für ein stabiles und anhaltend hohes Wirtschaftswachstum. Ein solches hat schon existenzielle Bedeutung insbesondere für die jüngeren Menschen, die meistens auf Jahre hinaus verschuldet sind, nur um sich ein eigenes Dach über den Kopf leisten zu können.

Ein Unterschied zwischen der nationalkonservativen PiS und der linksdemokratischen SLD besteht nun darin, dass die Linksdemokraten im Grunde mit demselben Wählerspektrum wie die Tusk-Partei rechnen müssen. Ein tragfähiges Rezept für dieses Aufeinandertreffen haben sie nicht gefunden, vieles wirkt so, als wäre es allzu schnell zusammengeschustert. Damit ist im Augenblick aber gegen die Regierungspartei in deren eigenem Revier kaum etwas auszurichten. Da die Kaczynski-Partei noch immer dort ihre Stärken hat, wo großstädtische Prosperität und jugendlicher Modernisierungskult nicht unbedingt zu Hause sind, dürfte sie sich mit ihren national und konservativ ausgerichteten Konzepten wiederum als einzige starke landesweite Alternative zur PO durchsetzen. Gut möglich, dass sich am Wahlabend jene bestätigt sehen, die dem Land in naher Zukunft ohnehin ein in Liberale und Konservative aufgeteiltes Zweiparteiensystem prophezeien.

* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2011


Harte Bandagen

Von Julian Bartosz, Wroclaw **

Kurz vor dem Urnengang am 9. Oktober wird der Wahlkampf zwischen der regierenden Bürgerplattform von Donald Tusk und der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit unter Führung von Jaroslaw Kaczynski, immer schärfer. Der Abstand zwischen ihnen wird geringer. Je nach Meinungsforschungsinstitut trennten sie zu Beginn vergangener Woche nur noch zwei oder sechs Prozent.

Nach der deklarierter (Un-)Lust der Wählerschaft, an dem »demokratischen Akt« teilzunehmen – weniger als die Hälfte der Berechtigten will an der Wahl teilnehmen – mobilisieren die Hauptakteure des »demokratischen Rechtsstaates« die Passiven auf ihre Art. Die »Bürgerplattformisten«, von den Mainstreammedien unterstützt, halten in noblen Lokalen feurige Reden unter dem Motto »gemeinsam machen wir es besser«, versprechen wieder das Blaue vom Himmel: Steuererleichterungen, Kindertagestätten, Stipendien und, wie sie es nennen, geordnete Zustände im Staat. Ihre verbitterten Gegner gehen tagtäglich unter das Volk, schlagen in Kleinstädten Zelte auf, wo sie mit den Leuten reden, besuchen in Pfarreisälen die guten Christen und reden ihnen ein, dass nur die Kaczynski-Partei gewillt und imstande sei, die sich verbreitende Armut zu mildern und gar zu bekämpfen. »Ihr habt es verdient, besser zu leben«. Im Unterschied zur Staatsparole der PO schreiben sie »die Nation« auf ihre Fahne.

Es fanden sich auch Gelder, mit neuen Presseorganen an die Propagandafront zu gehen. »Nasz Dziennik« erscheint in neuer Aufmachung, »Gazeta Polska« (bisher Wochenblatt) gibt es seit vergangenem Samstag täglich. Die erst kürzlich auf dem Medienmarkt präsente Wochenschrift »Uwazam Rze« als Organ der Rechtsaußen in der polnischen katho-nationalen Publizistik konnte ihre Auflage steigern. Das journalistische Trommelfeuer der Rechten ist brutal wie nie. Allesamt gehen sie ins Private und scheuen kaum vor Angriffen unter die Gürtellinie.

Sehr delikat dagegen verhält sich der politisch-ideologische Wegweiser und Begleiter der Rechten: die Hierarchie der römisch-katholischen Kirche und deren Fußvolk. Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik, ermahnte seine Herde, nur auf Kandidaten jener Partei zu setzten, die »nach dem Evangelium« handelt und die gegen das »den Gläubigen aufgezwungene Getto anstürmt«. Am Freitag vor einer Woche sagte in Tomaszewice bei Krakow während der Konferenz »Die ethische Dimension der Politik« Kardinal Stanislaw Dziwisz, es sei durchaus lobenswert, wenn die Menschen, von christlichen Werten getragen, die Politik aktiv gestalten wollen. Das Wort »Gleichschritt« drängt sich wohl auf.

* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2011


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