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Polen im Schiefergas-Fieber

Hauptsächlich US-amerikanische Energiekonzerne wollen umstrittene Energiegewinnung fördern

Von Tomasz Konicz *

Steht Polen vor einem Rohstoffboom? Das Unternehmen »3Legs Resources« hat nach Informationen der polnischen Tageszeitung »Gazeta Prawna« unweit der polnischen Ostseeküste erfolgreich eine Förderanlage zur Gewinnung von Schiefergas errichtet.

Die Ergebnisse dieser 1000 Meter tiefen Bohrung nahe der Ortschaft Lebien seien »besser als erwartet«, so die »Gazeta Prawna«, weswegen die im Aufrag des US-Energiekonzerns ConocoPhillips tätige Firma schon im dritten Quartal dieses Jahres mit der testweisen Gasförderung beginnen wolle. Beim polnischen Pipeline-Betreiber Gaz-System gebe es zudem Pläne, eine entsprechende landesweite Infrastruktur aufzubauen, die mit Investitionen von umgerechnet bis zu 1,25 Milliarden Euro einhergehen würde.

Das in Tonsteinschichten vorkommende Schiefergas zählt zu den unkonventionellen Erdgasquellen, die erst aufgrund neuster technologischer Entwicklungen in der Fördertechnik überhaupt abgebaut werden können. Hierbei werden in den entsprechenden Schieferschichten horizontale Bohrungen vorgenommen und mit spezifischen Chemikalien angereichertes Wasser unter großem Druck hineingepumpt, um das eingebundene Erdgas zu lösen.

In Polen sollen sich die größten Schiefergasvorkommen Europas befinden, die nach Schätzungen des US-amerikanischen Energieministeriums bis zu 5,3 Billionen Kubikmeter betragen könnten. Die von der polnischen Ostseeküste bis nach Südostpolen lokalisierten Vorkommen würden somit ausreichen, um Polens Erdgasbedarf für mehr als 150 Jahre zu decken.

Die Claims sind bereits abgesteckt. Es sind hauptsächlich US-amerikanische Multis wie Exxon Mobil oder Chevron, aber auch britische oder kanadische Unternehmen, die bereits Konzessionen erhalten haben. Ein stärkeres Engagement US-amerikanischer Energiekonzerne in Polen war auch Thema bei der letzten Polen-Visite von Präsident Barack Obama. Derzeit sind US-amerikanische Unternehmen bei dieser technisch sehr anspruchsvollen Fördertechnik weltweit führend. Die beständig steigende Schiefergasproduktion in den USA trug maßgeblich zur Verringerung der Erdgasabhängigkeit dieser größten Volkswirtschaft der Welt bei. Warschau erhofft sich von der Kooperation auch einen Technologietransfer, da Polens Energieunternehmen – wie etwa Mineralölkonzern Orlen – bisher nicht mal ansatzweise über die technischen Fähigkeiten zur Schiefergasförderung verfügen.

Von Washington erhofft sich Warschau bei intensiver Kooperation auch politische Rückendeckung bei der Durchsetzung seiner weitgehenden Förderpläne, da diese in Europa bisher auf breite Skepsis stoßen. Ablehnend steht dem Vorhaben insbesondere Russland gegenüber, das die Entstehung eines potenziellen Mitbewerbers auf dem Energiemarkt verhindern möchte. Doch auch in Berlin und Paris reagiert man reserviert, da durch die Schiefergasförderung eine Konkurrenz zu französischer Atomtechnik und deutscher regenerativer Energierzeugung entstehen könnte.

Dabei sind die Umweltrisiken dieser komplexen Fördertechnik tatsächlich enorm, da die teilweise krebserregenden Chemikalien, die hierbei verwendet werden, eventuell das Grundwasser in den betroffenen Abbauregionen langfristig verseuchen könnten. Zudem ist die sehr kapitalintensive Schiefergasgewinnung nur bei hohen Energiepreisen rentabel. Es werde folglich noch einige Jahre dauern, bis die »US-amerikanischen Konzerne ihre Bohrtürme in Polen aufbauen«, schrieb die »Gazeta Prawna«. Zuvor müsse noch genau geprüft werden, ob sich die erforderlichen hohen Investitionen rentieren.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2011


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