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Redzikowo will keine Raketen

Bürger wollen USA-Abschussanlagen durch Umweltauflagen verhindern

Von Agnieszka Hreczuk, Redzikowo *

Für die Regierung in Warschau ist die Errichtung des US-amerikanischen Raketenschilds in Polen beschlossene Sache. Die Bewohner des Stationierungsortes wollen immer noch dagegen kämpfen. Auch wenn sie keine Chance haben, wollen sie zeigen, was sie von den Regierenden halten.

Redzikowo ist in jüngster Zeit zu ungeahntem Ruhm gekommen. Deutsche, US-amerikanische, finnische und sogar vietnamesische Journalisten haben das Dorf in der polnischen Wojewodschaft Westpommern in den letzten Wochen besucht. Denn hier sollen die Abschussanlagen des US-amerikanischen Raketenschildes errichtet werden. Zwei Drittel der Einwohner der Gemeinde Slupsk, zu der Redzikowo gehört, sind jedoch gegen den »Raketenschirm« in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Nur wurden die 1500 Bewohner des Ortes nicht dazu befragt – weder von der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bis vor einem Jahr amtierte, noch von der seither regierenden Bürgerplattform (PO) des heutigen Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Im ehemaligen deutschen Fliegerhorst Reitz waren nach dem Krieg polnische Jagdflugzeuge stationiert. In den 90er Jahren wurde die Gründung einer Sonderwirtschaftszone in Aussicht gestellt. Doch die geplante US-amerikanische Raketenbasis warf dieses Projekt über den Haufen. Als die Bürger von Redzikowo ignoriert wurden, als die PiS-Regierung unter Jaroslaw Kaczynski die Verhandlungen mit den USA aufnahm, schrieb ihr Bürgermeister Mariusz Chmiel direkt an die Amerikaner und wurde zu Gesprächen eingeladen.

Jaroslaw Kaczynski rügte Chmiel, Donald Tusk – damals Oppositionsführer – nahm ihn dagegen in Schutz. »In einer Demokratie darf Politik nicht hinter dem Rücken der Bürger betrieben werden, sagte Tusk damals«, erinnert sich Mariusz Chmiel. »Jetzt, als Ministerpräsident, sagt Tusk aber, wir hier im Ort hätten nichts zu sagen.« Das schafft böses Blut. Die Regierung wolle mit den Bewohnern gar nicht reden, sagen die Bürger von Redzikowo. Zuerst schwieg Warschau, weil es ja noch keinen Vertrag gab, danach schwieg Warschau, weil es wichtigere Sachen gab.

Einen Tag nach der feierlichen Unterzeichnung des Vertrages in Warschau kündigten sich zwar Minister in Redzikowo an, doch ein paar Stunden vor dem Besuch wurde der Termin abgesagt. Erst Tage später kam der Ministerpräsident nach Redzikowo und Slupsk. »Wir fühlen uns erniedrigt, wie die Sache ganz hinter unserem Rücken verhandelt wurden«, klagt Andrzej Kotlinski, der Sprecher der Militärsiedlung in Redzikowo, die direkt am Zaun des künftigen USA-Stützpunkts liegt. In Slupsk und Redzikowo habe man eine Volksabstimmung erwartet, doch die fand nicht statt. Denn ein örtliches Referendum hätte in diesem Fall geschadet, bekannte Ministerpräsident Tusk. Es gehe schließlich um die Sicherheit des ganzen Landes, und darüber könnten nicht die Bürger, darüber müsse die Regierung entscheiden. Überdies sehe er auch keinen Grund zur Sorge. Zwar sei der Ort nun exponiert, gleichzeitig werde er jedoch zum sichersten in ganz Polen.

Tusks Argumentation stößt in Redzikowo und Slupsk auf wenig Verständnis. »Wir haben Angst, Ziel eines Angriffes zu werden, egal ob von Russland oder von Terroristen«, sagt Teresa, eine Bewohnerin der Siedlung. Mehr noch scheinen die meisten eine Flucht von Investoren zu befürchten. »Wer baut sein Geschäft direkt neben einem Raketenschild?«, fragt Andrzej Kotlinski. Mit einem besonderen Geldzufluss durch die US-amerikanischen Soldaten rechne man nicht. Deshalb fordern die örtlichen Behörden von der Regierung Entschädigungen. »Erschließung des Geländes, Ausbau der Infrastruktur und der Schnellstraße nach Gdansk, Ersatzgebiete für die Slupsker Sonderwirtschaftszone, einen Geschäftsflugplatz, der ursprünglich aus dem Militärflughafen entstehen sollte«, zählt Chmiel auf, »nur das, was wir durch den Schild verlieren werden.« Erstmals hat ihm Tusk jetzt tatsächlich versprochen, die Region wirtschaftlich zu unterstützen. Konkreteres wollte der Ministerpräsident jedoch nicht sagen. Und das ist zu wenig, um das Misstrauen gegenüber den Regierenden zu brechen.

So hofft Mariusz Chmiel immer noch, die US-Amerikaner zu entmutigen. »Aber nur mit rechtlichen Mitteln«, betont er. »Mal sehen, ob sie unsere Umweltschutzvorschriften mit ihren Silos erfüllen können.« Unterstützung von den Politikern kann er nicht erwarten. Unter den Parteien im Parlament sprechen sich lediglich die Sozialdemokraten gegen den Raketenschild aus. Doch die sind zu schwach, um Einfluss zu nehmen. Mit der klaren Mehrheit von PO und PiS und der Unterstützung von Präsident Lech Kaczynski wird das Abkommen sicherlich ratifiziert.

* Aus: Neues Deutschland, 13. September 2008


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