Ist der "Raketenschild" tatsächlich tot?
Polens Rechte streiten, wer der bessere Patriot ist / Sympathiewerte der USA fallen
Von Julian Bartosz, Wroclaw *
Die ganze vorige Woche dauerten in Warschau polnisch-US-amerikanische »Konsultationen«. Es ging um Gegenleistungen für die Errichtung des »Antiraketenschildes« der USA in Polen.
Polens Regierung wünscht sich US-amerikanische Hilfe für die Modernisierung der polnischen Armee, vorwiegend für die Stärkung der Luftabwehr. Ende August sollen die Konsultationen darüber in Washington fortgesetzt werden. An deren Sinn dürfte sogar Außenminister Radoslaw Sikorski zweifeln. Immerhin freute er sich: »Beide Seiten sind sich näher gekommen.«
Diese Worte waren mehr als eine diplomatische Floskel. Sie sollten im innerpolnischen Streit bezeugen, dass die Verhandlungen über den Raketenschild nicht etwa wegen der harten Haltung von Premier Donald Tusk geplatzt sind, wie es Präsident Lech Kaczynski behauptet, sondern sogar drei Monate vor der US-amerikanischen Präsidentenwahl fortgeführt werden. Die Regierung will dem Präsidenten und der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die ohne Wenn und Aber die Abfangraketen in Polen haben wollen, das Argument aus den Händen schlagen, Tusk und seine Minister schadeten mit ihren Bedingungen dem Bündnis mit den USA, dem wichtigsten Pfeiler der polnischen Staatsräson. Angesichts des grotesken Streits darüber, wer von beiden – Lech Kaczynski und Donald Tusk – der bessere Patriot sei, läuft an der Weichsel zwischen Regierung und Präsidialamt gar nichts mehr.
Es wäre jedoch absolut falsch anzunehmen, der Präsident wolle den »Schild« und der Premier sei dagegen. Die Haltung der Tusk-Regierung scheint für die internationale Atmosphäre sogar schädlicher, ja gefährlicher zu sein. Der »Schild«, gegen welchen »Schurkenstaat« auch immer konzipiert, soll nach Regierungswünschen durch Patriot-Raketen oder ein anderes System ergänzt werden, um Polen vor Moskaus angedrohten »Gegenmaßnahmen« zu schützen. So stürzt sich die polnische Regierungspolitik ins Absurde, worauf die stellvertretende Vorsitzende des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) Jolanta Szymanek-Deresz in »Trybuna« hinwies. Sie kritisierte Sejmmarschall Bronislaw Komorowski, der eine Parlamentsdebatte über Polens Sicherheitsprobleme ausschloss.
Dabei ist der »Raketenschild« tot – meinte jedenfalls Joseph Cirincione, ein Berater Barack Obamas, laut »Polityka«. In einem Interview des Wochenblatts mit dem US-amerikanischen Experten für Nuklearsysteme war zu lesen: »Das Problem mit dem Schild besteht darin, dass der noch regierende Präsident eiligst ein System haben will, das noch gar nicht existiert, und zwar gegen eine Bedrohung, die es nicht gibt.«
Der »Bush-Schild«, wie sich der Amerikanist Longin Pastusiak am Montag (28. Juli) im linken »Przeglad« ausdrückte, werde von den Demokraten wohl aus verschiedenen Gründen fallen gelassen. Käme es dazu, würde dieser Aspekt einer möglichen neuen Politik der USA-Regierung von einer mehrheitlich gegen das Raketenabfangsystem eingestellten polnischen Öffentlichkeit mit Wohlwollen begrüßt. Nur weiß man nie, inwieweit Vorwahlversprechen mit der Nachwahlpolitik übereinstimmen. Sollte Barack Obama nach einem möglichen Sieg den »Schild« tatsächlich nicht wollen, hätte dies auf die Haltung der Polen gegenüber den USA günstigen Einfluss. Seit dem Irak-Krieg sind nämlich die Sympathiewerte der USA in Polen stark gefallen. Laut einer CBOS-Umfrage meinen nur noch 38 Prozent der Polen, dass die USA einen günstigen Einfluss auf den Lauf der Dinge in der Welt ausüben, im Vergleich zu 2006 sind es um 24 Prozent weniger. Der Europäischen Union dagegen wird zu 70 Prozent »positiver Einfluss« zugestanden.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2008
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