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Blockade in Warschau

Berliner Antifaschisten wollen Nazigegner in Polen unterstützen. Jährlicher Aufmarsch im November soll verhindert werden

Von Victoria Swoboda *

Der Tag der Unabhängigkeit am 11. November ist einer der wichtigsten Feiertage in Polen. Seit Jahren versuchen Neofaschisten, den Tag für sich zu nutzen und durch Warschau zu marschieren. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 1700 Rechte zu dem Aufzug. Zum ersten Mal kam es aber auch zu nennenswertem Widerstand. Inspiriert von den erfolgreichen Massenblockaden in Dresden und anderswo versuchten polnische Antifaschisten es mit einem ähnlichen Konzept. Ein breites Bündnis, unterstützt durch Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, wurde geschmiedet, um dem Treiben der Nazis ein Ende zu setzen. 3500 Nazigegner fanden sich schon in den frühen Morgenstunden des 11.November in der Warschauer City ein, und es gelang ihnen, was noch ein Jahr zuvor unmöglich erschien: Der rechte Aufmarsch wurde erstmalig umgeleitet und konnte nicht durch die Innenstadt ziehen. In Berlin rufen die Antifaschistische Linke (ALB) und siempre antifacista in diesem Jahr zur Unterstützung der Nazigegner in Polen auf und haben zu diesem Zweck eine Reihe von Veranstaltungen organisiert, um unter anderem über die zahlreichen Neonazigruppierungen im Nachbarland zu informieren.

Hauptakteure des Aufmarsches am 11. November sind das »Radikale Nationale Lager« (ONR) und die wieder erstarkte »Allpolnische Jugend« (MW), die Teil der katholisch-fundamentalistisch geprägten Partei »Liga der Polnischen Familien« (LPR) ist. Mit dabei sind auch Mitglieder der »Nationalen Wiedergeburt Polen« (NOP), der »Polnischen Nationalen Partei« (PPN) und der »Nationalen Partei« (SN).

Neben Neonazis, die in Parteien organisiert sind, wächst die Szene, die in Deutschland mit den sogenannten Kameradschaften und den »Autonomen Nationalisten« vergleichbar ist. Sie sind vor allem in Fußballstadien und Internetforen aktiv und veranstalten zum Beispiel Konzerte über das polnische »Blood and Honour«-Netzwerk, um Nachwuchs zu rekrutieren. Im Internet konzentrieren sich die militanten Rechten auf das Veröffentlichen von Namen und Bildern ihrer Gegner, den »Feinden der weißen Rasse«. In Hooligangruppierungen wird mit Transparenten wie »Die arische Horde rückt an« oder »Tod allen Krummnasen« Stimmung gemacht. Zu den rechten Parteien gibt es eine Reihe von Querverbindungen. So rekrutiert zum Beispiel die »Nationale Wiedergeburt« einen Teil ihrer Anhängerschaft in Fußballstadien. Die NOP agierte von 1981 bis 1989 als illegale antikommunistische Organisation und ist eine der gewalttätigsten rechten Gruppierungen in Polen. Seit 1992 hat sie den Parteienstatus und kann ihre antisemitische Propaganda, Publikationen mit Texten von Holocaust-Leugnern wie David Irving und ihre Hetze gegen Homosexuelle legal verbreiten.

Radikal homophobe Aussagen kommen auch von den katholisch-fundamentalistischen Parteien wie der »Liga der Polnischen Familien«. Die LPR wurde 2001 von Gegnern des bevorstehenden EU-Beitritts Polens gegründet und erhielt noch im selben Jahr knapp acht Prozent der Stimmen und 38 Mandate, 2005 ging sie mit dem gleichen Ergebnis eine Regierungskoalition mit den Parteien »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) und »Selbstverteidigung« ein. Die PiS mit Jarosaw Kaczyski an der Spitze propagiert extrem konservative Werte in bezug auf Abtreibungen, Homosexualität und die Legalisierung leichter Drogen und steht für eine Wiedereinführung der Todesstrafe in Polen. Zwei Jahre nach der Koalition verlor die LPR bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 2007 jedoch sieben Prozent ihrer Stimmen, und es kam zu Abspaltungen.

Das außerparlamentarische rechte Spektrum ist hinsichtlich seiner Stärke nur schwer einzuschätzen. Es ist nicht bekannt, wie viele Gruppierungen es überhaupt gibt, da staatliche Organe keine Untersuchungen darüber führen. Es gibt keine offizielle Statistik über die Anzahl neonazistischer Gewalttaten oder von Morden. Auch die Polizei listet diese Taten nicht gesondert auf. Die Initiative »Nigdy weicej« (»Nie wieder«, www.nigdywiecej.org) führt eine eigene Bilanz rechter Übergriffe, nach der es jährlich etwa 300 Fälle von derartiger Gewalt in Polen gibt. Nach Zählungen von »Nie wieder« haben Neonazis in Polen seit 1989 mehr als 50 Menschen ermordet.

* Aus: junge Welt, 26. Oktober 2011


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