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Mit Trommelfeuer auf die "Moskowiter"

Die polnischen Medien und ihr "Patriotismus"

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Wie es die polnischen Medien mit der objektiven Berichterstattung über wichtige Weltgeschehnisse halten, zeigten recht anschaulich die vergangenen Tage.

Die publizistischen Debatten auf allen Kanälen und Radiowellen und die vielseitigen illustrierten Berichte und Kommentare in den hauptstädtischen, aber auch regionalen Tageszeitungen über den Bösewicht Russland reißen nicht ab. Moskau traktiere das internationale Recht mit Füßen und zeige seine alte imperiale Politik im neuen Aufguss. Das verbrecherische Verhalten der ISAF-Truppen in Afghanistan gegen die dortige zivile Bevölkerung ist dagegen lediglich ein Thema von Randbemerkungen. Im öffentlichen Fernsehen wie auch im privaten TVN lief die Nachricht über die Tötung von über 90 Zivilisten in Afghanistan auf Bändern unter den Filmberichten.

In Tagesblättern wurde die Nachricht in Kurzmeldungen zuerst bagatellisiert, wie etwa in »Dziennik«, wo es hieß, »es sollen über 90 Menschen getötet worden sein« oder in »Polska«, die schrieb, dass die Amerikaner ihre Bomben auf Taliban geworfen hätten. Am Mittwoch vermeldete »Gazeta Wyborcza« weit hinten unter der Rubrik »Die Welt in Kürze« in 14 Zeilen, dass eine UNOUntersuchungsgruppe festgestellt habe, in einem der größten Massaker, seit die US-Amerikaner in Afghanistan eindrangen, seien über 90 Zivilisten, darunter etwa 60 Kinder getötet worden. Ähnliches war in »Rzeczpospolita« zu lesen, in der aber gleichzeitig die US-Version von 30 Taliban angeführt wurde.

Auf die Frage, warum man dies in Polen nicht verurteile, antwortete in »Trybuna« Przemyslaw Wielgosz, Chefredakteur von »Le Monde Diplomatique«: »Das verwundert mich gar nicht, das Schweigen des Präsidenten wie des Premiers ebenfalls nicht.« Polen nehme doch an diesen Verbrechen teil. So falle auch ein Stück Verantwortung für den Tod der Zivilisten in den Kolonialkriegen in Afghanistan und Irak auf unser Land. Polen – wie Wielgosz betonte – sei zum Vasallen der USA geworden und werde immer mehr von den USA abhängig. Man müsse sofort aufhören, die imperialistische Politik der Vereinigten Staaten zu unterstützen. In der selben Nummer äußerte sich der Politologe Miroslaw Karwat über die allumfassende Heuchelei der Politik und Publizistik einerseits und die gegen die Kritiker dieser Politik gerichteten Unterstellungen andererseits, sie stünden allesamt auf der Seite der Terroristen.

Mariusz Janicki und Wieslaw Wladyka gingen in der »Polityka« gründlich auf die Heuchelei ein. Im Text »Innenpolitische Außenpolitik« wiesen sie zuerst darauf hin, dass es sehr einfach sei, mit Hinweisen auf die Geschichte »ein Programm darzulegen, das unaufhörlich die russische Bedrohung an die große Glocke hängt«. Dazu passt eine Umfrage von »Rzeczpospolita« vom Freitag, die besagt, dass 58 Prozent der Polen glaubten, ihr östlicher Nachbar Russland sei ihnen feindlich gesinnt ist.

Die in Tbilissi von Lech Kaczynski demonstrierten antirussischen Drohgebärden seien faktisch für den Innengebrauch bestimmt gewesen, schreibt Polityka Alle, die irgendwelche Zweifel am Verhalten u. a. von Georgiens Präsident Michail Saakaschawili zu äußern wagten, wurden automatisch der »Moskowiter«- Partei zugerechnet. Lech Kaczynski habe sich als Führer des »patriotischen Lagers« aufgebaut und beeindruckt damit ein Teil des Volkes. Der Präsident vertrete den – wie er selbst sagt – »genetischen Patriotismus« und hat mit seiner »moralisch-patriotischen Erpressung die polnische Politik infantilisiert« . Wer anders denkt als die Protagonisten des Präsidentenlagers, ist ein Verräter des heiligen Vaterlandes. Dies führe bei den rechten Kommentatoren zu psychopathischen Visionen, resümieren die Autoren.

Das Schlimme dabei – so scheint es – ist, dass sich Premier Donald Tusk völlig dem Häuptling der »genetischen Patrioten« untergeordnet hat. Er besprach sich mit Lech Kaczynski vor der für Montag anberaumten Konferenz in Brüssel, wo beide hinfahren.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2008


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