Widerstand gegen Polens "wahre Patrioten"
Rechtsnationaler Aufmarsch provoziert Straßenschlachten in Warschau / Über 90 deutsche Antifaschisten festgenommen
Von Julian Bartosz, Wroclaw *
Am polnischen Unabhängigkeitstag
ist es in der Hauptstadt Warschau zu
schweren Auseinandersetzungen gekommen.
Tausende Rechtsnationalisten
marschierten, rund 1500 Antifaschisten
und Demokraten wehrten
sich gegen diese Provokation. Die
Polizei ging mit brutaler Gewalt vor.
Man möge doch bitte den fröhlichen
Staatsfeiertag zum Gedenken
an die Wiedergeburt Polens
1918 nicht gegeneinander begehen,
mahnte Staatspräsident Bronislaw
Komorowski am Freitag
während der Zeremonie auf dem
Pilsudskiplatz um zwölf Uhr mittags.
Drei Stunden später begann in
der Warschauer Innenstadt eine
Straßenschlacht, die Premier Donald
Tusk zur Einberufung einer
Kabinettssondersitzung und das
Staatsoberhaupt zu der Erklärung
veranlassten, die Gesetze müssten,
ohne die demokratische Verfassung
zu verletzen, geändert
werden. Komorowski war bestürzt:
Er musste das feierliche
Abendbankett im Präsidentenpalast
kurzfristig für eine Weile verlassen.
Hanna Grontkiewicz-
Waltz, Warschaus Stadtpräsidentin,
erklärte zur gleichen Stunde,
das Recht sei in Polen zu liberal.
Sie hätte da einige Vorschläge.
Über 40 verletzte Polizisten,
etwa 30 verletzte Demonstranten,
eine Vielzahl von demolierten Polizeifahrzeugen
und verbrannten privaten Autos, in Brand gesetzte
Übertragungswagen des Fernsehens TVN24 und von Polskie Radio,
aufgerissene Straßen, eingeschlagene Schaufenster, mehr als
210 Festgenommene, darunter über 90 aus der links-autonomen
Szene in Deutschland, 30 von Justizminister
Krzysztof Kwiatkowski eingesetzte Richter, die im
Schnellverfahren Urteile fällen sollen – das sind bislang die wichtigsten Bilanzdaten des Zusammenpralls
von zwei Demonstrationszügen und der mit Tränengas,
Wasserkanonen und langen Knüppeln agierenden Polizei am
Unabhängigkeitstag in Warschau.
Bei den meisten Festgenommenen
handle es sich um »antifaschistische
deutsche Aktivisten«, sagte Hanka Kubicka, Sprecherin
der Organisation »Bündnis des 11. November«, die die Demonstration
gegen Rechtsextremismus organisiert hatte. Sie gab
an, die ausländischen Demonstranten seien auf Einladung ihrer
Organisation nach Warschau gekommen.
Gegen die faschistischen
»wahren Patrioten« aus dem »National-
Radikalen Lager« (ONR) und
deren Verbündete traten Repräsentanten
des »anderen Polens«
auf. Ein Spruchband verkündete
die zentrale Losung: »Wir blockierten,
blockieren und werden
blockieren.« Die Straßenschlachten
begannen am Verfassungsplatz,
wo der Marsch von Nationalisten
und Rechtsradikalen beginnen
sollte. Rund 10 000 Menschen
hatten sich eingefunden.
Dort Versammelte versuchten, zur
Gegendemonstration linker Gruppen
und Nichtregierungsorganisationen
mit etwa 1500 Teilnehmern
vorzudringen.
Die rechten Marschierer skandierten
rassistische Parolen wie
»Ganz Polen bleibt weiß«. Zu hören
waren auch Schmährufe gegen
Homosexuelle.
Später diskutierten Politologen
und Publizisten über die Grenzen
der Demokratie. Es wurde auch die
Frage aufgeworfen, wer denn, zum
Teufel, auch noch die Deutschen
eingeladen hätte. Jaroslaw Kaczynski,
Chef der nationalkonservativen
Partei PiS, verglich die
deutschen antifaschistischen Gegendemonstranten
mit »dem Typ Deutscher, die das System schufen,
das es Adolf Hitler erlaubte, schreckliche Verbrechen zu begehen
«. Polen seien »in ihrem eigenen Land an ihrem Unabhängigkeitstag
von Deutschen attackiert worden, weil sie historische Uniformen und nationale Symbole trugen«. An dem rechten
Aufmarsch hatten auch Abgeordnete
der Partei Recht und Gerechtigkeit
(PiS) teilgenommen.
Pater Tadeusz Rydzyk von »Radio
Maryja« hatte das Vorhaben der
»wahren Patrioten« im Vorfeld
abgesegnet.
Die Organisatoren des »Unabhängigkeitsmarsches
« erklärten,
Ausländer sollten Veranstaltungen
an polnischen Feiertagen
fernbleiben. Allerdings waren zu
dem rechtsextremen Aufmarsch
ebenfalls ausländische Teilnehmer
angereist – aus Ungarn, Kroatien,
Serbien und der Slowakei.
Der rechte Mob marschiert.
* Aus: neues deutschland, 14. November 2011
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