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Polens "wahre Patrioten" spannen die Muskeln

Antifaschisten wollen Aufmarsch der Rechtsextremen am Unabhängigkeitstag stoppen

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Ein tiefer Graben tut sich in Warschau am heutigen Unabhängigkeitstag auf. Zusammenstöße zwischen linken und rechten Gruppen sind programmiert.

Am 11. November, wenn im christlichen Europa die fünfte Jahreszeit anbricht, begeht Polen seinen Unabhängigkeitstag. Nach dem Tode Józef Pilsudskis 1935 erinnerten sich dessen Anhänger des Tages, als Pilsudski 1918 die Funktion des Regentschaftsrates übernahm, womit Polen nach 123 Jahren der Dreiteilung durch Preußen, Österreich-Ungarn und Russland wieder seine Souveränität erlangte und die »Zweite Republik« geboren wurde.

Wie schon seit einigen Jahren werden am heutigen Freitag (11. Nov.) in Warschau, Wroclaw und anderen Großstädten die »wahren Patrioten« marschieren, um für ein »großes, stolzes und polnisches Polen« zu demonstrieren. Vom Warschauer Platz der Verfassung wollen sie zum Denkmal Roman Dmowskis (1864-1939) ziehen, um den antisemitischen Gründer der National-Demokratischen Partei (Endecja) zu ehren. Die Endecja regierte bis 1926, bevor sie der Maiputsch Pilsudskis ablöste.

Organisiert wird der behördlich genehmigte Marsch von der »Allpolnischen Jugend«, vom »National-Radikalen Lager« und mehreren sich offen zum Faschismus bekennenden Organisationen wie »Blood and Honour«. Sie werden von etlichen rechtsgerichteten Publizisten, Professoren und Künstlern unterstützt. Pater Tadeusz Rydzyk von »Radio Maryja« segnete das Vorhaben ab. Die Warschauer Organisation der national-konservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) will ebenfalls mit dabei sein: Es gehe schließlich um Patriotismus. So werden denn auch Angehörige des Forums »Smolensk 2010« mitziehen.

Eine von Mitgliedern der »Verständigung 11. November« organisierte Gegendemonstration, die ebenfalls behördlich zugelassen ist, will den Marsch der »wahren Patrioten« blockieren. Vertreter der Linken, Anarchisten, Demokraten aus Kreisen der Kriegsgegner (»Stop wojnie«), Repräsentanten der OPZZ-Gewerkschaft, Minderheitenvertreter und fortschrittliche Christen sind entschlossen, Nationalisten und Faschisten zu stoppen.

Die Polizei ließ bereits Verstärkungen aus anderen Landesteilen in die Hauptstadt kommen, um einen Zusammenprall der beiden Demonstrationszüge zu verhindern. Im vergangenen Jahr hatte es nach Schlägereien Verletzte und viele Festnahmen gegeben.

Die »Gazeta Wyborcza« veröffentlichte einen Aufruf einiger Intellektueller, sowohl dem Marsch der Nationalisten als auch dem ihrer militanten Gegner fernzubleiben. Als »wahre Demokraten« wollen die Autoren weder mit der extremen Rechten noch mit extremen Linken etwas zu tun haben, zumal beide Seiten von ausländischen Demonstranten (aus Ungarn für die Rechte, aus Deutschland für die Linke) unterstützt werden sollen. Statt auf die Straße zu gehen, sollten die Polen würdig ihren Unabhängigkeitstag begehen, indem sie Friedhöfe besuchen, auf denen ihre Nationalhelden beerdigt sind.

Auf dem Pilsudski-Platz in Warschau gibt es wie jedes Jahr seit der Wende ein staatliches Zeremoniell vor dem Grab des Unbekannten Soldaten. Eine Militärparade wie zur Regierungszeit Jaroslaw Kaczynskis ist diesmal nicht vorgesehen.

* Aus: neues deutschland, 11. November 2011


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