Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Stammheim in Manila

Der philippinische Staat bekämpft trotz Friedensprozeß die antiimperialistische und antifeudalistische Nationale Demokratische Front und hält führende Mitglieder gefangen. Ein Besuch im Hochsicherheitstrakt des Camp »Bagong Diwa«

Von Rainer Werning, Manila *

Camp »Bagong Diwa«, im südöstlichen Teil der philippinischen Metropole Manila gelegen, ist ein ausladender Gefängniskomplex inklusive diverser Einrichtungen zur Rehabilitation von Drogenabhängigen. Unweit des Haupttores liegt ein unscheinbares vierstöckiges Gebäude, das landesweit zu den bestbewachten und -gesicherten zählt. Wer hier einsitzt, hat schlechte Karten, diesen vermaledeiten Ort jemals wieder als freier Mensch zu verlassen.

Über dem mit einer Stahltür gesicherten Eingang des Gebäudes prangt der Schriftzug »Special Intensive Care Area« (SICA). Was sich harmlos anhört und Assoziationen zu einer Intensivstation zur Pflege von Patienten weckt, ist so etwas wie die philippinische Variante von Stuttgart-Stammheim. Jene Vollzugsanstalt, die in den 1970er Jahren auch weit über die westdeutschen Landesgrenzen hinaus bekannt wurde, weil in deren eigens errichtetem Hochsicherheitstrakt führende Mitglieder der Roten-Armee-Fraktion (RAF) weggesperrt waren.

SICA ist eine mit 460 Gefangenen überfüllte Anstalt, in der nach Lesart der staatlichen Sicherheitsbehörden der harte Kern von Kriminellen – »muslimische Terroristen«, »Separatisten« und »Kommunisten« – hohe Haftstrafen verbüßt.

Mit Kommunisten sind (mutmaßliche) Mitglieder oder Sympathisanten der Kommunistischen Partei (CPP), ihrer Guerillaorganisation Neue Volksarmee (NPA) und von deren politischer Dachorganisation Nationale Demokratische Front der Philippinen (NDFP) gemeint. Seit Ende der 1960er Jahre führen diese einen bewaffneten, »antiimperialistischen und antifeudalistischen Kampf« gegen die Regierung in Manila. Diese will dennoch mit der NDFP bis Juni 2016 eine endgültige Friedensregelung finden. Dann endet die Amtszeit von Präsident Benigno S. Aquino III, der in Personalunion als oberster Befehlshaber der Streitkräfte zugleich Schirmherr des antikommunistischen Aufstandsbekämpfungsplans »Bayanihan« (»Nachbarschaftshilfe«) ist.

Neusprech und »Fürsorge«

George Orwell hätte hier Inspiration für einen erweiterten Neusprech gefunden. »Gepflegt« und betrieben wird das »Bagong Diwa« vom Büro für Gefängnismanagement und Strafverwahrung. »Bagong« heißt in Tagalog beziehungsweise Filipino »neu«, während das dem Sanskritwort »Deva« (göttliches Wesen) entlehnte »Diwa« mehrdeutig ist. Es kann sowohl »Seele«, »neues Bewußtsein«, »Quelle von Inspiration und Energie« als auch die »Kraft, die Dingen innewohnt und sie zusammenhält«, bedeuten. Was auf eine höhere Stufe buddhistischer Erleuchtung verweist, entpuppt sich als staatliches Wunschdenken, den Inhaftierten ihrer Anstalt jedweden rebellischen Geist auszutreiben und sie zu »geläuterten Bürgern mit neuem Bewußtsein« zu erziehen. »We care, we dare« (»Wir kümmern uns, wir wagen es«) lautet denn auch der Wahlspruch dieses von der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) betriebenen Camps.

Über eine Stunde müssen wir, meine beiden Begleiter und langjährigen Freunde Medy und Pido und ich, warten, bis wir an der Reihe sind und hereingelassen werden. Routiniert und mit verschmitztem Lächeln nimmt einer der Gefängniswärter eine erste Personenkontrolle vor. Erstmalig in meinem Leben werden von mir biometrischer Daten erfaßt: schön in die Kamera schauen, Fotos des Gesichts und der Iris, Profilfotos, Finger- und Daumenabdrücke und zig personenbezogene Daten. Selbst die Vornamen von Vater und Mutter werden registriert. Dann erfolgt eine weitere Körperkontrolle. Bis auf einen kleinen Notizblock und Bleistift muß alles in einem Holzfach deponiert werden.

Im Innenhof grüßen uns Wächter, einige grimmig mit Gewehr im Anschlag, andere verhalten lächelnd. Eine Wendeltreppe führt zum vierten Stock, in dem unter anderen 28 politische Gefangene der NDFP einsitzen. Im Erdgeschoß und im zweiten Stock sind etwa 260 Muslime untergebracht – meistens vermeintliche Abu-Sayyaf-Mitglieder und Exkombattanten der Moro Nationalen Befreiungsfront und Moro Islamischen Befreiungsfront. Strahlend kommt uns Alan Jazmines entgegen, dem es die Wächter gestattet haben, uns außerhalb seiner Zelle zu empfangen. Er ist sichtlich erfreut, daß Medy, Pido und ich es geschafft haben, ihn und seine 27 Genossen zu besuchen. Offiziell hatten wir vorab keinen Besuchsantrag gestellt, darauf spekulierend, daß sich in diesem Land vieles spontan und mit gewissem Charme bewerkstelligen läßt. Ein solches Gesuch wäre eh im Dickicht der Bürokratie untergegangen. Oder man hätte mit kleineren oder größeren Scheinen nachhelfen müssen.

Alan, Jahrgang 1947, groß, hager, mit vollem, silbergrauem Haar ist der Älteste unter den »poldet« (Kurzform von »Political detainees«), den politischen Gefangenen. Unter ihnen genießt er die höchste Autorität und ist ihnen zugleich väterlicher Berater und fürsorglicher Beistand. Seine Stimme ist sanft, aber ohne jeden Klang von Verunsicherung. Eigentlich paßte er besser ins diplomatische Korps als in eine Zelle, die gerade mal fünf mal drei Meter mißt. Sechs Personen müssen sich eine Zelle teilen. An die Wände gerückt sind drei Doppeldeckerpritschen mit jeweils kleinen selbstgefertigten Ablagen. Eine winzige Kochecke ist durch einen Vorhang abgetrennt. Jeder Besuch ist für die hier Einsitzenden ein besonderer, freudvoller Tag. Vor allem für die »Poldet«, die von ihren Liebsten und Freunden nie oder bestenfalls einmal im Jahr besucht werden können, weil die es sich finanziell einfach nicht leisten können. Medy und Pido zählen zu den wenigen regulären Besuchern, die Kunde von der Außenwelt überbringen, für Lektüre, Geschenke von gemeinsamen Freunden und Medikamente sorgen.

Mithäftling Eddie Cruz, Anfang Dreißig und ein Dumagat (Indigener) aus der nahe gelegenen Provinz Rizal, arbeitete als städtischer Touristenführer, als ihn Armeesoldaten der Mitgliedschaft in der NPA verdächtigten und einfach festnahmen. »Das Essen hier«, sagt Eddie, »ist lausig, der Reis oft ungenießbar. Wir finden darin manchmal Steinchen und Ungeziefer. Fisch und frisches Gemüse gibt es selten. Wenn wir mal Huhn oder anderes Fleisch bekommen, muß man es mit einem Sieb aus einer Wasserbrühe herausfischen.« So betätigt sich Eddie gern als Koch, der das Beste gibt, um die kümmerlichen Essensrationen zu verfeinern oder mit mitgebrachten Zutaten von Besuchern anzureichern. Kauf am Kiosk!

»Das ist sein Teil der Überlebensstrategie«, scherzt Alan: »Es gibt bestimmte Grundregeln, die du schnell lernen solltest, um dir das Leben im Knast zu erleichtern. Erstens: Sieh zu, daß du mit den Gefängniswärtern gut klarkommst. Zweitens: Finde irgend etwas, womit du dich regelmäßig beschäftigst – meinetwegen das Lesen von Büchern und Zeitschriften, Schnitzereien oder das Anfertigen kleiner Taschen, Portemonnais oder Amulette. Denn Langeweile ist der allergrößte Feind eines jeden politischen Gefangenen. Und drittens: Bewegung, Bewegung.« Doch auch dafür ist nur unzureichend gesorgt. »Wir können«, sagt Alan, »nur auf dem Dach unsere Runden drehen. Rundgänge im Hof gibt es nicht.«

Das Tagesbudget für einen Häftling beträgt offiziell 50 Peso (umgerechnet ca. 86 Cents). »Doch tatsächlich«, sagt Alan, »werden nur knapp 11 Peso pro Gefangenen ausgegeben. Die Gefängnisleitung verdient täglich an uns mindestens 17500 Peso im Durchschnitt – 460 Insassen mal die Differenz von 38 Peso.« Darin nicht eingerechnet sind die diversen Schmiergelder, die die Gefängnisleitung und Wärter für »besondere Dienste« kassieren. Da sind, so Alan, die ebenfalls im Gebäude einsitzenden Drogendealer und ehemaligen Chefs von Verbrechersyndikaten, die monatlich 25000 und mehr Peso berappen, um sich eine Klimaanlage, Alkohol und Zigaretten zu leisten und Prostituierte empfangen zu können. »Als einmal die Wasserpumpe kaputtging, hatte die Gefängnisleitung die Chuzpe, von uns Gefangenen 35000 Peso (umgerechnet etwa 600 Euro) für deren Reparatur zu verlangen. Natürlich haben wir uns geweigert, dafür auch nur einen Centavo zu berappen«, erzählt Emeterio Antalan. Auch er ist wie Alan und seine beiden anderen hier einsitzenden Mitgefangenen, Leopoldo Caloza (57) und Tirso Alcantara (61), Berater der NDFP-Delegation bei den Friedensverhandlungen.

Leben im Untergrund

In jungen Jahren, erzählt Alan, war er beseelt von der Idee, am Aufbau einer landeseigenen Industrie mitzuwirken. Früh engagierte er sich in der linken Jugendbewegung, als der damalige Präsident Ferdinand E. Marcos mithalf, das Land zum bedeutsamen Brückenkopf der US-amerikanischen Kriegführung gegen Vietnam, Kambodscha und Laos auszubauen. Alan absolvierte ein Ingenieurstudium, war zeitweilig Dozent am angesehenen Asian Institute of Management und in der Leitung eines Stahlwerkes tätig. Seine Gesinnung und die zahlreicher seiner damaligen Freunde paßte nicht ins stramm antikommunistische Weltbild des Marcos-Regimes. Als dieses von 1972 bis zu dessen Sturz im Februar 1986 mittels Kriegsrecht und diktatorischen Vollmachten herrschte, tauchte er ab in den politischen Untergrund. Eine Selbstschutzmaßnahme, wie er betont. Zig Weggefährten von einst wurden Opfer des Staatsterrors.

Alan hatte in all den Jahren Glück. Er überlebte, wenngleich er von 1974 bis 1976 und von 1982 bis 1986 im Gefägnis war. Damals galt er als »subversiv«, heute als »Staatsfeind« und »Bedrohung der nationalen Sicherheit«. Seit vielen Jahren in Friedensverhandlungen mit der Regierung involviert, war es für ihn und die NDFP-Führung ein Erfolg, daß ausgerechnet unter der Präsidentschaft von Exgeneral Fidel V. Ramos (1992–98), einst selbt Chef der Nationalpolizei und Verteidigungsminister, am 24. Februar 1995 das Gemeinsame Abkommen über Sicherheits- und Immunitätsgarantien (JASIG) unterzeichnet werden konnte. Dieses sicherte zumindest dem Buchstaben nach auch den von der NDFP akkreditierten Unterhändlern und Beratern das Recht zu, sich in Ausübung ihrer Beraterfunktion jederzeit inner- wie außerhalb des Landes frei bewegen und reisen zu können. Das war ein wichtiger Punkt im Rahmen des Friedensprozesses. In der Vergangenheit war die NDFP nämlich immer wieder damit konfrontiert, daß Mitglieder ermordet oder auch »nur« bespitzelt und in ihrer Arbeit behindert worden waren.

Auch Alan Jazmines wurde aufgrund seines jahrelangen Engagements und seiner Expertise im Bereich Sozialpolitik ein akkreditierter JASIG-geschützter Berater der NDFP. Für die Aquino-Regierung ein Ärgernis, weil sie wie deren Vorgängerin unter Gloria Macapagal-Arroyo (2001–10) in Alan ein ZK-Mitglied der CPP sieht. So waren alle Mittel recht, um ihn »aus dem Verkehr zu ziehen«. Wenige Stunden vor Beginn jahrelang ausgesetzter, erst wieder am 14. Februar 2011 aufgenommener Friedensverhandlungen, die unter der Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums in Oslo stattfanden, wurde Alan das dritte Mal gefangengenommen und ins Camp Crame, das Hauptquartier der Nationalpolizei, verfrachtet. Die NDFP-Führung und seine Anwälte legten sofort Protest ein und verwiesen auf seinen Beraterstatus – ohne Erfolg. Erst Tage nach seiner Festnahme wird ein Haftbefehl ausgestellt. Der Vorwurf: »Mehrfacher Mord« und »Rebellion«. Das ist ein durchgängiges Muster, um fortschrittliche und linke Kräfte im Lande »auszuschalten«. Man legt ihm verschiedene kriminelle Taten zur Last – Mord, versuchter Mord, unerlaubter Besitz von Schußwaffen und Munition sowie Raubüberfälle. Samt und sonders Delikte, bei denen Beschuldigte nicht gegen eine Kaution freigelassen werden.

Die Chefunterhändler der Regierung werfen der NDFP-Verhandlungsführung vor, die Namen ihrer durch das JASIG geschützten Vertreter nicht verifizieren zu können, machen das aber zur Vorbedingung weiterer Konsultationen. Die ­NDFP kontert mit dem Argument, das JASIG sei ein bindendes, nicht mehr verhandelbares Abkommen. Weitere Gespräche seien zwecklos, solange nicht ihre akkreditierten Berater auf freien Fuß gesetzt und die gegen sie gerichteten Anschuldigungen fallengelassen würden. »Wir sind somit zu Geiseln im Friedensprozeß geworden«, konstatiert Alan nüchtern. Und er fügt hinzu: »Mit Blick auf den Moro-Widerstand im Süden und die Verhandlungen mit der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) geriert sich Aquino als Friedensapostel. Gegenüber der NDFP, der CPP und der NPA verfolgt er ungebrochen eine Politik der Aufstandsbekämpfung. Seine Topmilitärs werden nicht müde, unsere Bewegung bis zum Ende von Aquinos Amtszeit im Sommer 2016 militärisch zu besiegen.« Alans Schicksal teilen landesweit weitere 14 Personen, unten ihnen auch der erst am 2. Juni festgenommene 50jährige Roy Erecre.

Marie Hilao-Enriquez, Vorsitzende der Exgefangenenorganisation SELDA und der Menschenrechtsvereinigung Karapatan, weiß, warum: »Es gehört zum Bestandteil des aktuellen Aufstandsbekämpfungsplans ›Bayanihan‹, Staatsfeinde – sprich: ›Aufständische‹, ›Separatisten‹ und ›Terroristen‹ auszuschalten, indem sogenannte juristische Offensiven gegen sie in Gang gesetzt werden. Demnach sind zivile, sich über Jahre hinziehende Strafverfahren integraler Bestandteil von ›Bayanihan‹. Gleichzeitig dient dies der gezielten Einschüchterung von Einzelpersonen und Organisationen durch die Sicherheitskräfte und deren paramilitärische Verbände.«

»Antiterroristische Arbeitsteilung«

Gibt es Schikanen? Ja, sagt Alan: »Immer wieder werden wichtige Papiere und Dokumente nicht weitergeleitet. Die Kommunikation wird erschwert, mitunter auch eine Zeitlang gänzlich gekappt.« Ab und zu veröffentlichen die Zeitungen Texte von ihm, in denen er sich über die Situation im Knast oder über politische Themen äußert. Ein Beitrag aus seiner Feder, in dem er »Staatsgeheimnisse« lüftete, mißfiel der Gefängnisleitung und dem Militär so sehr, daß er dafür büßen mußte.

Über Nacht und ohne Angabe von Gründen wurde Alan am 29. Juni 2012 von seiner Zelle in Camp Crame, dem Hauptquartier der Nationalpolizei, ins SICA verlegt. Wochen zuvor hatte er für Aufsehen in den Medien gesorgt, als er einen offenen Brief an das Justizministerium, die staatliche Menschenrechtskommission und die Vereinigung Karapatan schickte. In dem Schreiben wies er darauf hin, daß das amerikanische FBI innerhalb von Camp Crame sowie in einer nahegelegenen Wohnung eigene Büros unterhalte. In ihnen würden mindestens drei Personen aus Malaysia und Indonesien unter gefälschten philippinischen Namen gefangengehalten, die zuvor im Ausland entführt worden seien. Diese Art »antiterroristische Arbeitsteilung« ist nach den Anschlägen vom 11. Setember 2001 vor allem im Süden des Landes gang und gäbe. Nach der US-Invasion in Afghanistan 2001 und noch vor dem Einmarsch der »Koalition der Willigen« in den Irak 2003 galten die Philippinen in Washington erklärtermaßen als »zweite Front im Kampf gegen den weltweiten Terror«.

Der 50jährige Rolly Panesa sitzt ebenfalls ein. Jahrelang in verschiedenen privaten Sicherheitsdiensten beschäftigt, wurde er in Begleitung von Verwandten am Abend des 5. Oktober 2012 von Polizisten in Zivil und Angehörigen der 2. Infanteriedivision der Armee unter dem Kommando von Generalmajor Alan Luga in Manila auf offener Straße aufgegriffen. Er wurde in einen Wagen gezerrt, gefesselt und mit verbundenen Augen ins Militärcamp Vicente Lim im etwa 50 Kilometer südlich von Manila gelegenen Canlubang gebracht. Sein »Vergehen«: Man hielt den damals 48jährigen Rolly Panesa für den 61jährigen »Benjamin Mendoza«, einen mutmaßlich hochrangigen regionalen CPP-Kader, auf dessen Ergreifung das Verteidigungs- und das Innenministerium ein Kopfgeld von 5,6 Millionen Peso ausgesetzt hatten. »Ich wurde mehrfach brutal zusammengeschlagen«, sagt Rolly leise und schüchtern, »weil ich immer wieder beteuerte, nicht ›Benjamin Mendoza‹ zu sein.« Ein Rechtsbeistand blieb ihm tagelang verwehrt, bis man ihn ins Camp »Bagong Diwa« überführte. Dort wollte man ihm erst nach einer ärztlichen Untersuchung und Behandlung aufnehmen.

Die Menschenrechtsorganisation Karapatan hat Rollys »Fall« ausführlich dokumentiert. Deren Generalsekretärin, Cristina Palabay, sprach von einem weiteren Fall eklatanter Menschenrechtsverletzung unter der Aquino-Regierung und kritisierte scharf, daß Panesas Inhaftierung und die spätere Anklage gegen ihn wegen »Rebellion« seinen Entführern und Peinigern das Kopfgeld einbrachte. Palabay sieht darin eine nahtlose Fortsetzung der »Order of Battle« unter Aquinos Vorgängerin, Expräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–10). Dabei handelt es sich um eine »Hitliste« mit den Namen von vermeintlichen »Mitgliedern kommunistischer Frontorganisationen« und »Staatsfeinden«, die es »abzuarbeiten« gilt, was in nicht wenigen Fällen die Tötung bedeutet. Diese perfide Praxis dient Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte als Anreiz, Beute zu machen.

Ein Abschied mit »Pasalubong«

Die meisten Gefangenen verdienen sich etwas Geld durch den Verkauf von selbstgefertigtem Schmuck, gemalten Bildern und Handwerksarbeiten. Das bringt pro Stück zwischen 60 und 900 Peso (umgerechnet etwa ein beziehungsweise 15 Euro) ein. Highlights sind öffentliche Ausstellungen ihrer Werke, die – wie erst kürzlich – von Freunden in Manila arrangiert wurden. Die meisten Besucher erfuhren erst auf diese Weise, daß es überhaupt »Poldet« in ihrem Land gibt und welche Personen darunter fallen. Mit dem Verkaufserlös besorgen sich die Gefangenen im – natürlich überteuerten – Gefängnisladen Dinge des täglichen Bedarfs. Zigaretten sind kostbar – 15 Peso ein Stengel. Für gut den doppelten Preis erhält man »draußen« eine ganze Packung. Und für jede noch so kleine Gefälligkeit, die Wärter für sie erledigen sollen, ist »Wegegeld« fällig.

Nach knapp sieben Stunden endet unser Besuch im »Camp Neues Bewußtsein«. Zum Abschied überreichen uns unsere »Gastgeber« als Geschenk einen NDFP-Kalender. Signiert von allen, die sich an diesem denkwürdigen Tag, da erstmals auch ein Europäer sie besuchte, freudig austauschen und unterhalten konnten. Als besonderes »Pasalubong« (Mitbringsel) erhalte ich drei handgefertigte, mit Muscheln besetzte Portemonnaies und ein Zigarettenetui aus Bambus und kleingerolltem, gepresstem Telefonbuchpapier. Darauf ritzte ich noch am selben Abend in Erinnerung an diese Begegnung eine Zahlenkombination ein: »Sir, wenn Sie das nächste Mal kommen«, hatte mir der diensthabende Polizist am Ausgang mit auf den Weg gegeben, »sagen Sie uns Ihre Besuchernummer. Dann geht alles viel schneller.« Auch ein Abschiedsgruß.

* Rainer Werning ist Vorstandsmitglied der Deutsch-Philippinischen Freunde e.V. in Langenfeld/Rheinland und Koherausgeber des mittlerweile in 4. Auflage vorliegenden Handbuchs Philippinen (Berlin: Horlemann).

Aus: junge Welt, Donnerstag 24. Juli 2014



Exekutionen im Morgengrauen

Von Rainer Werning **

Am 15. März 2005 stürmte eine Spezialeinheit der Philippinischen Nationalpolizei den Hochsicherheitstrakt im Camp »Bagong Diwa«. Am Tag zuvor hatten Alhamser Manatad Limbong, ein mutmaßlich führendes Mitglied der Abu Sayyaf-Gruppe (ASG) und besser bekannt unter seinem Alias »Commander Kosovo«, und fünf Mitgefangene dort eine Meuterei angezettelt und zu fliehen versucht. Ein sofort unter Führung des Direktors der Nationalpolizei, General Arturo Lumibao, und des Innenministers Angelo Reyes eingesetztes Krisenmanagementteam versuchte zu vermitteln und die Meuterer zur Aufgabe zu bewegen. Letztere allerdings knüpften daran fünf Bedingungen, die zuvor erfüllt werden müßten: ein schnelleres Gerichtsverfahren; Respektierung der Menschenrechte; angemessene Sicherheit; besseres Essen und ein Gespräch mit Medienvertretern über ihre Lage.

Nachdem die ganze Nacht über verhandelt worden war, erteilten die Verantwortlichen des Krisenmanagements Spezialeinheiten der Polizei am Morgen des 15. März den Befehl, den Hochsicherheitstrakt gewaltsam zu stürmen. Etwa 300 Männer des Kommandos sprengten das Eingangstor auf und feuerten Tränengasgranaten auf die Gefängniszellen. Am Ende des Tages waren 26 Häftlinge, drei Gefängniswärter sowie ein Polizeioffizier ums Leben gekommen. Unter den Toten befanden sich neben Limbong weitere einst hochrangige Mitglieder der ASG – darunter auch der damals schon an den Rollstuhl gefesselte Ghalib Andang alias »Commander Robot«. Dieser hatte im Sommer 2000 auch in den bundesdeutschen Medien Aufsehen erregt, weil er auf der südphilippinischen Insel Jolo mehrere westliche Touristen (unter ihnen die Familie Wallert aus Göttingen) wochenlang als Geiseln gefangenhielt.

Während die damalige Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo diese gewaltsame Beendigung der Meuterei als »Sieg gegen den Terrorismus« feierte, schlugen die staatliche Menschenrechtskommission und die unabhängige Menschenrechtsorganisation PAHRA gänzlich andere Töne an. Sie beklagten den »exzessiven Einsatz von Gewalt« und deren »Unverhältnismäßigkeit«. Schließlich hätten weniger als zehn der über 400 Gefangenen einen Fluchtversuch geplant. Bei der Erstürmung des Gefängnisses seien die Häftlinge halbnackt zusammengetrieben und geschlagen worden, obgleich zu keiner Zeit ein »extremer Notstand« geherrscht habe. PAHRA sprach gar von »gezielten Hinrichtungen« seitens der Spezialeinheiten. Offensichtlich habe man mit den einsitzenden ASG-Kommandeuren »kurzen Prozeß« gemacht. Ein Jahr später, am 8. März 2006, hagelte es auch harsche Kritik aus den USA, als die Verfasser des Menschenrechtsreports 2005 des US-State Department die Philippinische Nationalpolizei als den »schlimmsten Verletzer« der Menschenrechte in der Inselrepublik bezeichneten.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 24. Juli 2014


Zurück zur Philippinen-Seite

Zur Philippinen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage