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"... für seine erfolgreichen Reformen auf dem Gebiet der Erziehung, Anti-Korruption und Rechtsstaatlichkeit"

Der pilippinische Präsident Aquino erhält die Freiheitsmedaille der Friedrich-Naumann-Stiftung - Reiner Werning kritisiert das in einen Offenen Brief


Am 20. September 2014 überreichte Wolfgang Gerhard, Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, die "Freiheitsmedaille" an den Präsidenten der Philippinen, Benigno Simeon „Noynoy“ Cojuangco Aquino III. Auf der Website der FNS in Manila heißt es dazu:
'President Aquino receives the medal for his successful reforms in the areas of education, anti-corruption and rule of law. "His presidency is a clear indication of the endeavor for change and freedom by the liberal forces in the Philippines," says Dr. Wolfgang Gerhardt, President of the Friedrich Naumann Foundation for Freedom (FNF). The Foundation for Freedom has worked together with liberal partners in the Philippines since 1986.'

Dr. Rainer Werning, Vorstandsmitglied der Deutsch-Philippinischen Freunde e.v. und international anerkannter Philippinen-Experte, hat dazu einen Offenen Brief an die Pressesprecherin der Stiftung geschrieben, den wir unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten wollen.


OFFENER BRIEF an die Friedrich-Naumann-Stiftung

werte frau bergmann,

ihre stiftung gedenkt am morgigen samstag den philippinischen präsidenten "für dessen erfolgreiche reformen in den bereichen bildung, korruptionsbekämpfung sowie rechtsstaatlichkeit" auszuzeichnen.

gern erführe ich, wie sie und die stiftung, als deren pressereferentin sie fungieren, zu einer solchen einschätzung gelangten und worin konkret die präsidialen leistungen in den drei genannten bereichen bestehen.

1) zwar rangieren auch im akt. budget der regierung in manila die ausgaben für bildung offiziell auf platz 1. diese werden de facto von schuldenrückzahlungen übertroffen, und die entsprechenden gelder für den bildungsetat sind für längst überfällige gebäudebauten vorgesehen. umgerechnet betragen die täglichen pro-kopf-ausgaben für schüler mit zirka 60 peso (1,2 euro) zwei drittel eines "starbucks coffee". unberücksichtigt bleibt, dass nach berechnungen der unabhängigen philippinischen ibon foundation landesweit über 100.000 klassenzimmer und lehrer fehlen und die schulabbruchrate extrem hoch ist. überdies setzen sich landesweit lehrer für erste gehaltserhöhungen seit 2009 ein, während private bildungseinrichtungen ihre gebühren in einem maße erhöhen, dass (aus-)bildung immer mehr zum privileg der herrschenden eliten wird. internationale organisationen wie die unesco haben die regierung in manila seit jahren aufgefordert, ihren bildungsetat substanziell aufzustocken.

2) seit reichlich einem jahr ist das ebenso innenpolitisch wie medial dominierende thema in den philippinen die gargantueske betrugs- und bereicherungspraxis seitens senatoren und kongressabgeordneten im rahmen des sog. "pork barrel"-systems. der oberste gerichtshof des landes erklärte nach dem "priority development assistance fund" (pdaf) ende vergangenen jahres am 1. juli 2014 auch präsident aquinos "disbursement acceleration program" (dap) einstimmig für verfassungswidrig. aquinos ursprünglich erklärter kampf gegen "misswirtschaft und korruption" verpuffte; seit dem ende der marcos-ära im februar 1986 durchlebt das land die größten ausmaße von korruption, ämterpatronage und klientelpolitik. mit der fatalen folge, dass unter zahlreichen menschen in katastrophengebieten wie in zamboanga city (im september 2013 schauplatz bewaffnter auseinandersetzungen zwischen elementen der moro national liberation front und regierungstruppen) und der zentralen visaya-inselgruppe (im november desselben jahres von dem verheerenden taifun "haiyan" heimgesucht) wut und verbitterung - von zynismus ganz zu schweigen - proportional bis dato ausgebliebener wirksamer hilfen wachsen. [von dem anfang dezember 2013 für das staatliche hilfs- und wiederaufbauprogramm bestallten "rehabilitation czar" panfilo lacson, einem ehemaligen polizeichef und "counterinsurgency"-strategen, ist seit langem nichts zu vernehmen.]

3) anstatt die gefällten urteile des "supreme court" zu (be-)achten, geht der präsident auf konfrontationskurs und sucht die offene auseinandersetzung mit der judikative. in den vergangenen tagen brachte er gleich mehrfach eine verfassungsänderung ins gespräch und zeigt sich nicht abgeneigt, eine zweite sechsjährige amtszeit über sein im sommer 2016 auslaufendes mandat hinaus anzustreben. während allein dieses kalkül in nationalen wie internationalen medien als "politisches unheil" gewertet wird, gerät herr aquino auch innerhalb seiner eigenen liberal party zunehmend ins fadenkreuz der kritik und konterkariert zugleich das vermächtnis seiner als "demokratie-ikonen" geltenden eltern.

markanterweise lassen sie die menschenrechtspolitik unter präsident aquino unerwähnt. von beginn seiner amtszeit anfang juli 2010 bis ende juni 2014 sind über 200 menschen opfer außergerichtlicher hinrichtungen geworden. der unter seiner ägide abgesegnete "counterinsurgengy"-plan "oplan bayanihan" ("operationsplan nachbarschaftshilfe") nimmt all jene personen und gruppierungen ins visier, die als "staatsfeinde" und/oder "kommunisten" beziehungsweise "terroristen" gebrandmarkt und entsprechend verfolgt werden. derweil genießen - um nur zwei beispiele zu nennen - die drahtzieher des "ampatuan-massakers" im november 2009, das 58 menschen - darunter 32 medienleuten - das leben kostete, sowie die wegen mehrfacher straftaten angeklagte ex-präsidentin gloria macapagal-arroyo privilegierte haftbedingungen beziehungsweise hospitalaufenthalte.

in den vergangenen wochen hat das ansehen des präsidenten und seines amtes beträchtlichen schaden genommen; des präsidenten "ratings" sackten rapide ab. sollte herr aquino unbeirrt an seinem - von ihnen morgen feierlich gewürdigten - kurs festhalten, könnte er absehbar nolens volens in einen politischen strudel geraten, gegen dessen abwärtsspirale er dann ebenso wie die ihnen nahestehende partei anzukämpfen hätte.

es freute mich, wenn sie mir nach verleihung der friedrich-naumann-medaille an den präsidenten der republik der philippinen den wortlaut der laudatio schicken würden. gern stehe ich ihnen jederzeit für rückfragen und/oder ein gespräch zur verfügung.

mit vorzüglicher hochachtung
dr. rainer werning

u.a. vorstandsmitglied der deutsch-philippinischen freunde e.v. & ko-herausgeber des "handbuch philippinen" (4. aufl.)

berlin 20.9.2012



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