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Manilas Friedensduett

Regierung hofft, bewaffneten Konflikt in den Südphilippinen zu beenden. Abkommen mit Moro-Islamischer Befreiungsfront und Militäroffensive gegen weitere Rebellen

Von Rainer Werning *

Bei einer Militäroffensive auf den Philippinen sind nach Angaben des Militärs binnen einer Woche 52 Mitglieder der Rebellengruppe »Bangsamoro-Islamische Freiheitskämpfer« (BIFF) getötet worden. Unter den Toten der Kämpfe auf der südlichen Insel Mindanao seien auch drei Teenager, sagte ein Armeesprecher am vergangenen Freitag. Die BIFF widersetzt sich einem Abkommen, das die philippinische Regierung am 25. Januar mit der »Moro-Islamischen Befreiungsfront« (MILF) geschlossen hatte.

Der Hintergrund: In Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur war es unter der Vermittlung der malaysischen Regierung am 6. Oktober 2012 nach langwierigem politischen und diplomatischen Tauziehen zwischen den Vertretern der philippinischen Regierung und Emissären der MILF zum Durchbruch gekommen. Damals war ein 14 Seiten umfassendes Dokument mit dem Titel »Framework Agreement on the Bangsamoro« paraphiert worden. In diesem Rahmenabkommen zur Regelung der Belange des Moro-Volkes verabschiedete sich die MILF von ihrem früheren Ziel, in den Südphilippinen für einen unabhängigen Staat zu kämpften. Integraler Bestandteil des Rahmenabkommens bilden vier Anhänge, über die in den vergangenen 16 Monaten in zähen Marathonsitzungen verhandelt wurden.

Zukunft der Kämpfer

Bis zum 8. Dezember 2013 konnten drei Anhänge über Fragen der Übergangsmodalitäten, der Aufteilung von Steueraufkommen und politischen Machtbefugnissen unterzeichnet werden. Die Verhandlungen über den letzten und vierten Annex, nämlich ein Abkommen über den sensiblen Themenkomplex einer umfassenden Normalisierung, erwiesen sich als besonders schwierig. Schließlich geht es um die Zukunft von mindestens 11000 MILF-Kombattanten sowie größerer ihrer Camps. Insgesamt waren 43 Verhandlungsrunden nötig, bis die Unterhändler beider Seiten, Miriam Coronel-Ferrer für die Regierung und Mohagher Iqbal für die MILF, am 25. Januar mit ihren Unterschriften nunmehr auch das Normalisierungsabkommen besiegelten. Ein Schritt, den vor allem Iqbal als »äußerst emotional« bezeichnete und der »unserer Seite viel abverlangte«. »Um einen dauerhaften Frieden in Mindanao zu verwirklichen«, fügte der MILF-Chefunterhändler hinzu, »müssen wir zusehen, daß unsere Streitkräfte nicht weiterhin im Einsatz sind.« In diesem Zusammenhang ist explizit nicht von »Demobilisierung« die Rede, um den Anschein von Kapitulation zu vermeiden. Die Beraterin von Präsident Aquino in Fragen des Friedensprozesses, Teresita Quintos-Deles, erklärte, man werde zügig einen Zeitpunkt und Ort finden, um die nunmehr komplett ausgehandelten Anhänge als Umfassende Vereinbarung über die Schaffung von Bangsamoro zu unterzeichnen.

Neues Grundgesetz

Für die Protagonisten bedeutet die Vereinbarung vom 25. Januar das Ende langwieriger Verhandlungen und gleichzeitig den Beginn der Implementierungsphase der autonomen Regierung Bangsamoro. Diese soll, so sieht es der Zeitplan vor, bis spätestens Ende Juni 2016 in Amt und Würden sein. Dann nämlich endet die Amtszeit von Präsident Aquino. Jetzt geht es um die Ausarbeitung eines Grundgesetzes durch eine Übergangskommission, die unter Vorsitz von Mohagher Iqbal stehende Bangsamoro Transition Commission, sowie um die entsprechende Zustimmung seitens des philippinischen Kongresses und die Durchführung eines Plebiszits. Die MILF-Führung hat signalisiert, sich im Laufe eines solchen Prozesses als politische Partei zu konstituieren. Das genaue Prozedere der Entwaffnung ihrer militärischen Einheiten beziehungsweise deren Überführung in eine zur Sicherung der Bangsamoro-Regierung aufgestellte Sicherheitskraft muß von einer unabhängigen Kommission noch en detail festgelegt werden.

Das hören einige ihrer Exkommandeure, die heute als »Bangsamoro-Islamische Freiheitsbewegung« (BIFM) mit den »Bangsamoro-Islamischen Freiheitskämpfern« als bewaffnetem Arm fungieren, gar nicht gern. Diese avisieren einen islamischen Staat mit einer islamischen Verfassung. Die Führungskader von MNLF und MILF sind in ihrer Sicht »Kapitulationisten«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4, Februar 2014


Südostasiens ältester Krisenherd

Von Rainer Werning **

Auf den südphilippinischen Inseln Mindanao, Basilan und Jolo erweist sich die Suche nach einem tragfähigen Frieden als dorniger Prozeß. Externer Kolonialismus und interne Kolonisierung hinterließen ein vielschichtiges Konfliktpotential, das zahlreiche (bewaffnete) Protagonisten mit höchst unterschiedlichen Interessen beseitigen wollten.

»Das Ende der erfolglosen spanischen Eroberungsversuche des Morolandes«, schrieb der amerikanische Geschäftsmann und Abenteurer Vic Hurley im Vorwort seines erstmals 1936 erschienenen Buches »Swish of the Kris«, »markierte zugleich den Anfang vom Ende des wohl herausragendsten Widerstandskampfes in den Annalen der Militärgeschichte. Die Moslems haben der Macht Spaniens 377 Jahre lang durch erbitterte und ununterbrochene Kriegführung getrotzt. Die Dons, gewohnt, sich ohne großen Aufwand Peru und Mexiko unterworfen zu haben, fanden ihresgleichen und mehr in den Dschungeln von Mindanao. (...) Die Geschichte kann niemals die Moros vergessen. Denn sie taten etwas im 16. Jahrhundert, im 17. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert bis hinein ins 19. Jahrhundert, was gänzlich unmöglich zu sein schien. Sie erwiesen sich als zu stark für die spanischen Konquistadoren!«

Jahrzehnte vergingen, bis sich die Moros erneut bewaffnet gegen die Autoritäten, diesmal die Zentralregierung in Manila, auflehnten. Ende der 1960er Jahre formierte sich der Kern der »Moro National Liberation Front« (MNLF) unter der Ägide des südlich von Jolo stammenden Nur Misuari. Der hatte sich Mitte der 1960er Jahre in der linken Studenten- und Jugendbewegung Manilas politisiert, wo er Politik studiert und zeitweilig gelehrt hatte. Anfang der 1970er Jahre setzte er sich ins Ausland ab und verbrachte die Jahre bis 1986/87 vorwiegend in Libyen und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Bis Mitte der 1970er Jahre hielt die MNLF an ihrem erklärten Ziel fest, auf dem Territorium von MINSUPALA (Mindanao, dem Sulu-Archipel und Palawan) eine unabhängige Bangsamoro Republik zu errichten.

Die Regierung unter Ferdinand E. Marcos fühlte sich herausgefordert und schlug unerbittlich zurück. Ende September 1972 verhängte Marcos landesweit das Kriegsrecht und begründete dies unter anderem mit »den Sezessionsbestrebungen der MNLF«. In den Südphilippinen herrschte fortan Bürgerkrieg. In der Hafenstadt Zamboanga befand sich mit dem Südkommando (SouthCom) das Hauptquartier der koordinierten Kriegführung gegen die MNLF.

Eine Zäsur bildete das am 23. Dezember 1976 im libyschen Tripolis unterzeichnete Abkommen zwischen Manila und der MNLF. Im Vordergrund standen dabei die politische Beilegung des Konflikts sowie Autonomie für die Moros »innerhalb der nationalen Souveränität und territorialen Integrität der Republik der Philippinen«. Die MNLF sah sich mithin zur Rücknahme ihrer ursprünglich maximalistischen Forderung nach staatlicher Eigenständigkeit gezwungen. Nutznießer des Tripolis-Abkommens war das Marcos-Regime: MNLF-Kader wurden mit finanziellen Zuwendungen geködert und durch das Zuschanzen von Posten in Ministerien und Behörden politisch kooptiert.

Während der Präsidentschaft von Fidel V. Ramos (1992–1998) erfolgte eine noch weitergehende Annäherung zwischen der MNLF-Führung und Zentralregierung, die zum Endgültigen Friedensabkommen vom 2. September 1996 führte. Die Crux: Misuari wurde Gouverneur der »Autonomen Region in Muslim Mindanao» und ließ sich darauf ein, künftige Probleme bei der Umsetzung des Friedensabkommens im Rahmen der Verfassung und Rechtsprechung der Republik der Philippinen zu regeln.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 4, Februar 2014


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