"Kleiner brauner Bruder"
Das Verhältnis zwischen den USA und den Philippinen ist seit dem Krieg, den beide vor mehr als einhundert Jahren gegeneinander führten, eines zwischen Eroberer und Unterworfenem
Von Rainer Werning *
Zum Abschluß seiner Asienreise hat US-Präsident Barack Obama am Montag die Philippinen besucht. In der Hauptstadt Manila besprach er mit Präsident Benigno Aquino eine Intensivierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung. Reise und Verhandlungen nimmt jW zum Anlaß, den Blick auf die Geschichte der Beziehungen beider Länder zu werfen. Ein ausführlicher Bericht von Rainer Werning über den Obama-Besuch erfolgt in dieser Zeitung am Mittwoch. (jW)
Ende des 19. Jahrhunderts waren Siedler bis an die Westküste der USA vorgedrungen. Seit etwa 1890 wurde es laut um den Stillen Ozean. Die Weite dieses größten Weltmeeres beflügelte zunehmend hitzigere Debatten: Sollten die US-Amerikaner dieses Meer – mit Berufung auf den Herrn – zu ihrer See machen? Diese Streitfrage spaltete die Vereinigten Staaten in »Isolationisten« und »Interventionisten« bzw. »Imperialisten«. Erstere meinten, die USA genügten sich selbst und ihr Territorium stellte einen ausreichend großen Binnenmarkt dar. Die Befürworter eines Imperialismus waren Leute höchst unterschiedlicher Couleur: Geistliche, Politiker, Geschäftsleute und Intellektuelle. Im Wettstreit mit den europäischen Kolonialmächten wollten sie nicht zu kurz kommen.
Ein damals noch ernstzunehmender Konkurrent der aufstrebenden Vereinigten Staaten war Spanien, das sich seit dem 16. Jahrhundert in Südamerika, in der Karibik und in den Philippinen festgesetzt hatte. Um 1900 jedoch war Madrids Imperium bereits beträchtlich geschrumpft, frühere Kolonien wie Mexiko und Argentinien längst unabhängig. Lediglich Puerto Rico, Kuba sowie die Inseln Guam und die Philippinen im Pazifischen Ozean befanden sich noch in seinem Besitz. Doch auch in diesen Regionen hatten antikoloniale Revolten die einst sieggewohnten Konquistadoren geschwächt.
Glühende Imperialisten interessierte nicht, daß der philippinische General und damalige Revolutionär Emilio Aguinaldo bereits am 12. Juni 1898 die erste freie Republik Asiens ausgerufen hatte. Diese Unabhängigkeit war kurzlebig, und der Spanisch-Amerikanische Krieg führte geradewegs in den Amerikanisch-Philippinischen Krieg. Während die philippinischen Revolutionäre den Spaniern zu Land große Verluste zugefügt hatten, setzte die Fernostflotte der U.S. Navy binnen eines Tages, am 1. Mai 1898, die marode spanische Armada in der Manila-Bucht außer Gefecht. Doch erst Ende Juni betraten US-amerikanische GIs philippinischen Boden und annektierten so ein unabhängiges Land.
In einer Ansprache an eine Gruppe protestantischer Geistlicher im August 1898 begründete der damalige US-Präsident William McKinley, warum sich die USA der Inseln bemächtigt hatten: »In Wahrheit wollte ich die Philippinen nicht, und als wir sie als Geschenk der Götter bekamen, wußte ich nichts mit ihnen anzufangen. Ich lief Abend für Abend bis Mitternacht im Weißen Haus umher; und ich schäme mich nicht zu gestehen, daß ich niederkniete und den Allmächtigen mehr als einmal um Licht und Führung anging. Und eines Abends spät dämmerte es mir, daß wir sie nicht an Spanien zurückgeben könnten, das wäre feige und unehrenhaft. Zweitens, daß wir sie nicht Frankreich oder Deutschland – unseren Handelsrivalen im Osten – überlassen konnten, das wäre schlechter Geschäftsstil und diskreditierend. Drittens, daß wir sie nicht einfach sich selbst überlassen konnten; sie waren nicht reif für die Selbstverwaltung, sie hätten dort bald Anarchie und eine schlimmere Mißwirtschaft gehabt, als es die spanische war, so daß uns nichts übrig blieb, als die Filipinos zu erziehen, sie emporzuheben, zu zivilisieren und zu christianisieren und mit Gottes Gnade das Beste für sie zu tun wie für unsere Mitmenschen, für die Christus ebenso gestorben ist.«
»Wohlwollende Assimilierung«
Mit dieser von imperialem Sendungsbewußtsein, Rassismus und Überlegenheitswahn geprägten »Offenbarung« leugnete der Präsident die knapp 350jährige Kolonialherrschaft des christlichen Spanien sowie die geostrategischen Interessen seines Landes. Verbrämt wurden diese fortan als »benevolent assimilation«. Zur »wohlwollenden Assimilierung« gehörte auch, daß die neuen Besatzer das amerikanische Englisch als Amtssprache im Bildungs-, Geschäfts- und Verwaltungsbereich durchsetzten. Sie ermöglichten kooperativen Filipinos das Studium an Eliteuniversitäten in den USA und betrauten diese schrittweise mit administrativen Aufgaben. Außerdem errichteten die USA auf dem Archipel mit der Subic Naval Base und dem Clark Air Field die größten Militärstützpunkte außerhalb der Vereinigten Staaten und schufen unter der Ägide von General Arthur MacArthur den Kern einer willfährigen Armee, der Streitkräfte der Philippinen (AFP).
Die Filipinos leisteten auch den neuen Kolonialherren erbittert Widerstand; sie hatten für Selbstbestimmung und nicht für die Unterordnung unter ein neues Kolonialjoch gekämpft. Der Amerikanisch-Philippinische Krieg begann Anfang Februar 1899 und endete offiziell dreieinhalb Jahre später. Im Süden der Philippinen, in der Sulu-See und auf der Insel Mindanao dauerte die amerikanische »Befriedung« indes bis 1916. In diesem bis dahin größten Kolonialmassaker in Südostasien wurde die damals gut sechs Millionen Menschen zählende Bevölkerung buchstäblich dezimiert. Einige Schätzungen sprechen sogar von über eine Million niedergemetzelter Filipinos. Es war der erste Guerillakrieg in Asien, in den annähernd 160000 GIs involviert waren. Im besonders »unruhigen Süden« des Archipels gingen Generäle wie Leonard Wood und John Joseph Pershing [1] als »Schlächter« in die Annalen der Geschichte ein.
Im Mutterland selbst war diese Haudegenpolitik keineswegs unumstritten. Scharfe politische Proteste gegen den Krieg hagelte es vor allem seitens der rührigen Antiimperialistischen Liga. Deren Vizepräsident war von 1901 bis zu seinem Tode 1910 der berühmte Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain. Er begründete seine Haltung mit den Worten: »Noch vor einem Jahr war ich kein Antiimperialist. Ich dachte, es sei eine großartige Sache, den Filipinos ein großes Stück an Freiheit zu geben. Heute allerdings glaube ich, es ist besser, daß die Filipinos sich selbst darum kümmern.« Und: »Ich bin dagegen, daß der Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt.«
Berichte über das Gemetzel auf den Philippinen machten auch Schlagzeilen in der US-Presse. Vor allem waren es Militärkommandeure wie Jacob H. Smith, die Empörung auslösten. Dieser Befehlshaber, der den Spitznamen »Bloody Jake«, »Blutiger Jakob«, trug, hatte auf der zentralphilippinischen Insel Samar den Tagesbefehl ausgegeben: »Plündern, morden und niederbrennen sollt ihr. Je mehr ihr das tut, desto größer wird mein Wohlgefallen sein.« Es war das historische Verdienst der Antiimperialistischen Liga, die eigene Bevölkerung über die Geschehnisse in der US-amerikanischen Kolonie in Asien informiert zu haben. Vor allem ihr Vizepräsident Mark Twain galt im letzten Jahrzehnt seines Lebens als landesweit einflußreichster Antiimperialist.[2]
Schaffung einer hörigen Elite
Zunächst von einer US-amerikanischen Militärregierung verwaltet, ging Washington später dazu über, an die Spitze der Exekutive auf den Inseln einen Gouverneur zu stellen. Die legislative, mit begrenzten Befugnissen ausgestattete Versammlung wurde mit Filipinos besetzt, die im Geiste der Kolonialmacht als Ebenbild bzw. als gelehrige »kleine braune Brüder« erzogen worden waren. Diese »brown yankees« fühlten sich den Ideen und Vorstellungen ihrer Kolonisatoren enger verbunden als den sozialen Forderungen ihrer eigenen Bevölkerung nach Land und Reis. Was u.a. dazu führte, daß sich die US-hörige Elite in Manila dafür einsetzte, daß während des Ersten Weltkrieges 6000 Filipinos in der U.S. Navy dienten und weitere 4000, die auf Hawaii lebten, der U.S. Army beitraten. Außerdem bot sie den USA neben Soldaten ein Unterseeboot und einen Zerstörer an. Filipinos zeichneten überdies eine Kriegsanleihe, die »Liberty Bonds« und sammelten für das US-amerikanische Rote Kreuz.
Honoriert wurde das Verhalten dieser Elite mit der Unterzeichnung des Tydings-McDuffie-Gesetzes im Jahr 1934. Dieses sah u.a. die Schaffung einer Commonwealth-Regierung vor, die das Land nach einer Übergangszeit von zehn Jahren schließlich in die Unabhängigkeit führen sollte. Erster Präsident des ein Jahr später entstandenen Commonwealth of the Philippines wurde Manuel L. Quezon. Das Land genoß demnach begrenzt innere Autonomie, allerdings mußten die in Manila verabschiedeten Gesetze weiterhin vom Weißen Haus und dem US-Senat gebilligt werden. Der Handel mit den wichtigsten Exportprodukten wie Zucker, Hanf und Kopra, getrocknetem Kokosnußfleisch, blieb fest in den Händen amerikanischer Geschäftsleute, wie denn auch der in Manila residierende US-Hochkommissar die Oberaufsicht über Finanzen, Verteidigung und internationale Beziehungen ausübte.
Das größte soziale Problem vor, während und nach der Commonwealth-Ära waren die extrem ungleichen Boden- und Besitzverhältnisse im Lande und die daraus resultierende Armut der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung. Die ausgedehnten Ländereien, die einst der spanischen Krone und Mönchsorden gehört hatten, wurden von den Amerikanern entweder aufgekauft oder entschädigungslos neuen Eigentümern übertragen. Vertretern der philippinischen Oberschicht, die bereits vor der Ankunft der neuen Kolonialherren über Grund und Boden verfügt hatten, konnten sich unter ihnen nochmals bereichern. Denn erstmalig entstanden Katasterämter, in denen die Begüterten und die des Lesens und Schreibens Kundigen ihre tatsächlichen oder fingierten Landtitel gegen eine Gebühr offiziell registrieren, sich somit als rechtmäßige Eigentümer ins Grundbuch eintragen lassen konnten. Die Masse der Filipinos hingegen, Kleinbauern und Pächter, blieb arm wie eh und je.
Was den Bauern unter den Nägeln brannte, waren Pachtraten, die vielfach Abgaben von bis zu 75 Prozent ihrer durchschnittlichen Ernteerträge vorsahen. Wenngleich die Commonwealth-Regierung unter Präsident Quezon die politische Brisanz dieser Probleme erkannte und Ende der 1930er Jahre eine Sozialreform ankündigte, blieben tatsächliche Reformen aus. Die Folge: Widerstand und Protest radikalisierten sich. Ende 1938 vereinigte sich die seit ihrer Gründung im Jahre 1930 verbotene Kommunistische Partei mit der 1932 entstandenen Sozialistischen Partei zur Kommunistischen Partei der Philippinen (Partido Komunista ng Pilipinas, PKP). Die PKP verband in den Jahren darauf die soziale Forderung nach einer Land- und Agrarreform mit dem politischen Appell, gleichzeitig die Landesverteidigung zu stärken, um gegen einen möglichen japanischen Angriff gewappnet zu sein. Nach dem Nanking-Massaker um die Jahreswende 1937/38 hatten japanische Truppen ihren Vormarsch gegen andere chinesische Großstädte fortgesetzt und keinen Zweifel daran gelassen, den Krieg auch auf Südostasien auszuweiten.
Im Zentrum der Insel Luzon, der traditionellen Reiskammer des Landes, entstand auf Initiative der PKP am 29. März 1942 die landesweit größte und einflußreichste Guerillabewegung in Gestalt der Antijapanischen Volksarmee (kurz: Hukbalahap bzw. Huk). Ihre Ziele waren, im bewaffnetem Widerstand gegen die japanischen Besatzer den Kampf für die Unabhängigkeit des Landes zu führen und ferner die Umwälzung der ungleichen Boden- und Besitzverhältnisse. Letztere schloß eine umfassende Agrarreform ein, in deren Verlauf das Land denen übereignet werden sollte, die es bebauten – den Kleinbauern und Pächtern in den von feudalem Großgrundbesitz geprägten Regionen Luzons. Gemeinsam mit Guerillaorganisationen in anderen Landesteilen und philippinischen Verbänden der US-Streitkräfte im Fernen Osten (USAFFE) unter dem Oberbefehl von Douglas MacArthur, dem Sohn von Arthur MacArthur, leisteten die Huks die »Drecksarbeit« im Kampf gegen die japanischen Militaristen während des Zweiten Weltkriegs. MacArthur, der sich beim Vorrücken der japanischen Truppen auf Manila nach Australien abgesetzt hatte, und die Regierung in Washington hatten den in die USAFFE integrierten Filipinos eine Gleichbehandlung mit GIs nach Kriegsende in Aussicht gestellt. Damit waren Vergütungen und vor allem Pensionen gemeint.
»Unabhängig« von Tokios Gnaden
Die alte Commonwealth-Regierung verlegte Mitte Mai 1942 ihren Sitz nach Washington, während die japanische Militärverwaltung eine Vorbereitungskommission für die philippinische Unabhängigkeit einsetzte. Diese Kommission erarbeitete eine neue Verfassung, die sodann von einer Tokio ergebenen Nationalversammlung ratifiziert wurde. Deren Generalversammlung wählte José P. Laurel zum Präsidenten der neuen Republik der Philippinen und Benigno S. Aquino, den Großvater des heutigen Präsidenten, zu ihrem Sprecher. Offiziell blieb Laurel Präsident von Japans Gnaden vom 14. Oktober 1943 bis zum 15. August 1945, als er von seinem japanischen Exil aus die japanische Besatzung für beendet erklärte. Anerkannt war diese Zweite Philippinische Republik außer von den Achsenmächten Italien, Deutschland und Japan lediglich von Spanien unter General Franco und dem Vatikan.
Wie kaum ein anderer politischer Clan im Lande hatten es die Laurels verstanden, mit den jeweils Mächtigen zu paktieren. Unter den Spaniern waren sie zu Ehren gelangt, die US-Amerikaner hofierten sie ebenso ungeniert wie die neuen japanischen Kolonialherren, um danach wiederum ihre Herzen im Takt mit dem transpazifischen Sieger schlagen zu lassen. Dieser zeigte sich nach Kriegsende überaus großmütig. Auf Drängen des »Amerikanischen Cäsaren« – so hatte William Manchester seine 1978 erschienene MacArthur-Biographie aufgrund des Generals Machtfülle betitelt – kam Laurel trotz des Vorwurfs der Kollaboration sowie des Hochverrats und weiterer damit verbundener Anklagen ungeschoren davon. Er mußte sich vor keinem Gericht verantworten, geriet in den Genuß einer Generalamnestie, um bereits 1951 erneut in den Senat der mittlerweile auch von den USA unabhängig gewordenen Republik der Philippinen einzuziehen.
José P. Laurel wertete seine Politik nach der Flucht der Commonwealth-Regierung und General MacArthurs als aufopferungsvollen Einsatz im Dienste des Volkes, dem so größeres Blutvergießen erspart worden sei. Doch als Präsident eines Vasallenregimes setzte er sich kompromißlos für die Interessen des Besatzungsregimes ein. Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident Laurel war die Anweisung an alle Reis- und Maisproduzenten, ihre Ernten und Vorräte unverzüglich an Regierungsstellen abzuliefern, damit diese ihrer vorrangigen Verpflichtung nachkommen konnten, die japanischen Truppen mit Lebensmitteln zu versorgen.
Comeback der Eliten
Während des Krieges waren nicht weniger als 260000 Filipinos in unterschiedlichen Guerillaorganisationen aktiv. Die Hukbalahap mit etwa 30000 Kämpfern kontrollierte auf dem Höhepunkt der Kampfhandlungen den größten Teil der Nordinsel Luzon. Es waren ihre Verbände, die maßgeblichen Anteil an der verlustreichen Rückeroberung Manilas im Frühjahr 1945 hatten und zahlreiche US-Soldaten aus japanischer Gefangenschaft befreiten. Umso größer war das Erstaunen, daß noch vor der Kapitulation Japans die erste Generalorder des zwischenzeitlich zurückgekehrten USAFFE-Chefs MacArthur an die Huks adressiert war. Unverzüglich sollten diese die Waffen strecken und sie den philippinischen US-Einheiten bzw. US-amerikanischen Kommandeuren übergeben. Andernfalls würden sie als »gesetzlos« und »Banditen« behandelt. Ein Dauerkonflikt zwischen den alt-neuen Machthabern und der Guerilla war programmiert. Folgerichtig benannte sich die Hukbalahap Ende der 1940er Jahre in Volksbefreiungsarmee um, die nunmehr die Regierung und die US-Streitkräfte auf den Inseln bekämpfte. Erst Mitte der 1950er Jahre gelang es vereinten amerikanisch-philippinischen Eliteeinheiten im Rahmen eines gezielten »Aufstandsbekämpfungs«programm, der Organisation das Rückgrat zu brechen. In der Folgezeit mußte die PKP im Untergrund verharren, militante Bauernorganisationen und Gewerkschaften wurden kriminalisiert.
Die »Befriedung« der Huks mit militärischen Mitteln wurde flankiert von gezielter Kooptation auch vormals projapanischer Elemente aus Politik und Polizeiapparat. Deren Einbinden in die Nachkriegsordnung hatte den Vorteil, daß sie erpreßbar, zumindest aber manipulierbar waren. Herausragendes Beispiel: Manuel Roxas. Die politische Karriere dieses letzten Commonwealth-Präsidenten und ersten Oberhaupts der am 4. Juli 1946 unabhängig gewordenen Republik der Philippinen [3] begann vor dem Krieg als Brigadegeneral in der Armee und als Politiker. Während der japanischen Okkupation oblag ihm als hochrangigem Mitglied des Marionettenregimes die Aufgabe, die japanischen Truppen mit Reis zu versorgen. Nach dem Krieg wurde Roxas zunächst mit etwa 5000 anderen Kollaborateuren von US-Militäreinheiten gefangengenommen, um aber schon bald auf Anweisung von Präsident Sergio Osmeña und General MacArthur wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden. Roxas war so etwas wie der Darling MacArthurs, dessen politisches Comeback er aktiv förderte.
US-amerikanische Quasikolonie
Das von US-Präsident Franklin D. Roosevelt noch im August 1943 bekräftigte Versprechen, den Philippinen für angerichtete Kriegsschäden – von mindestens 1,25 Milliarden Dollar war ursprünglich die Rede – Reparationszahlungen zu gewähren, wurde ebensowenig eingehalten wie die Zusage zur Zahlung von Pensionen für alle Filipinos, die auf seiten der USAFFE gegen Japan gekämpft hatten. In Washington und Manila begann statt dessen ein politisch-diplomatisches Gerangel um die Höhe der zu leistenden Kriegsreparationen und die Art und Weise, wie und in welchem Zeitraum diese ausgezahlt werden sollten.
Im Herbst 1945 war im US-Senat zunächst eine Nothilfelieferung für die Philippinen in Höhe von 620 Millionen Dollar vorgesehen, die allerdings schon bald um 100 Millionen abgesenkt wurde. Darüber hinaus wurde die Zahlung von der Erfüllung bestimmter Auflagen seitens Manilas abhängig gemacht. Dazu zählten die Einrichtung einer Behörde zur Taxierung der Kriegsschäden und das Festschreiben von Gleichheitsklauseln (parity rights). Demnach sollten US-Amerikanern in den Philippinen künftig dieselben Rechte wie Filipinos in den USA eingeräumt werden – ein nachgerade klassischer Goliath-David-Deal. Dermaßen schleppend und ineffektiv arbeitete die War Damage Corporation, daß erste Zahlungen erst Ende 1946 flossen und individuelle Ansprüche nicht vor April 1947 berücksichtigt wurden. Als diese Behörde 1950 ihre Arbeit einstellte, hatte sie lediglich 388 Millionen Dollar an über eine Million private Antragsteller ausgezahlt. In den Genuß dieser Zahlungen kamen diejenigen, die Nähe zum Machtzentrum genossen oder dank Schmiergelder ins Auswahlverfahren gekommen waren.
Das nach einem US-Kongreßabgeordneten benannte philippinische Handelsgesetz aus dem Jahre 1946, der Bell Trade Act, akzeptierte letztlich die »parity rights«. Außerdem garantierte es acht Jahre lang den Freihandel mit den USA, koppelte den philippinischen Peso an den Dollar mit der Auflage, den vereinbarten Wechselkurs von 2:1 nur mit US-amerikanischer Zustimmung zu ändern, und verlängerte schließlich den zollfreien Handel mit bestimmten Produkten für weitere 28 Jahre. Die wirtschaftliche Hegemonie der USA über die politisch »unabhängig« gewordene Neokolonie blieb ungebrochen – nicht zuletzt wegen der Erpreßbarkeit der Regierung in Manila.
In die Amtszeit von Präsident Roxas fiel ebenfalls die Entscheidung, den USA den Unterhalt und Ausbau militärischer Stützpunkte zu gestatten und ihnen dafür auf der Basis eines 99 Jahre währenden Pachtvertrags Grund und Boden zur Verfügung zu stellen. Unterzeichnet wurde dieser »Vertrag zur Regelung der allgemeinen Beziehungen« am 14. März 1947. Eine Vereinte US-Militärberatungsgruppe (JUSMAG) erlaubte hochrangigen US-Militärs jederzeit Einblicke in strategische und taktische Überlegungen der AFP und wachte darüber, daß diese kein anderes als US-amerikanisches Kriegsgerät akquirierten. Wenngleich die US-Basen nach dem Kalten Krieg und einer denkbar knappen Entscheidung des philippinischen Senats, der eine landesweit massive Protestbewegung vorausgegangen war, im Jahre 1992 geschlossen wurden, blieben für Washington auch danach Hintertüren offen.
Anmerkungen-
Pikanterweise diente dieser General Ende der 1970er Jahre als Namensgeber jener Raketen, die, zusammen mit Cruise Missiles, zur »Nachrüstung« in Westeuropa disloziert wurden, um die vermeintliche militärische Überlegenheit der Sowjetunion zu brechen.
- Die meisten Biographien über Mark Twain klammern seine aktive Zeit in der Liga einfach aus.
- Bezeichnend für den neokolonialen Status war, daß der Unabhängigkeitstag mit dem US-amerikanischen zusammenfiel. Erst in den 1960er Jahren erklärte die Regierung in Manila den 12. Juni zum gesetzlichen Unabhängigkeitstag – jenes Datum, an dem 1898 die erste freie Republik in Asien ausgerufen worden war.
* Der Autor gibt mit Niklas Reese bereits in der vierten Auflage das »Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur« heraus.
Aus: junge Welt, Dienstag, 29. April 2014 (Kommentar)
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