Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Alte neue Feindbilder

Philippinen: Friedensprozess nach desaströser Kommandoaktion staatlicher Eliteeinheiten gegen Moro-Rebellen in Gefahr

Von Rainer Werning *

Der Ort Mamasapano auf der südphilippinischen Insel Mindanao ist seit dem 25. Januar zum Inbegriff einer nationalen Tragödie geworden. An jenem Sonntag scheiterten Eliteeinheiten der von den USA im Antiterrorkampf gedrillten Special Action Force (SAF) der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) bei ihrem Versuch, zweier international steckbrieflich gesuchter »Topterroristen« habhaft zu werden. Das Unternehmen endete in einem Fiasko. Offiziell kamen dabei mindestens 44 SAF-Mitglieder ums Leben, während die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF) von 64 geborgenen Leichen der Eliteeinheit, 18 eigenen Verlusten und von sechs getöteten Zivilisten spricht.

Erst nach 17 Jahren zäher Verhandlungen war zwischen der Regierung in Manila und der MILF ein Durchbruch erzielt und Ende März 2014 feierlich ein Friedensvertrag unterzeichnet worden. Dieser sollte bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Benigno Simeon Aquino III. im Juni 2016 umgesetzt und die Region Bangsamoro spätestens dann autonom werden. Vorher aber muss das Kernstück des Vertrages, das Bangsamoro-Grundgesetz (BBL), den Kongress und den Senat passieren, bevor in einem Volksentscheid über dessen Annahme in den betroffenen Gebieten abgestimmt wird. Doch dieser Zeitplan wird kaum noch einzuhalten sein.

Seit dem 26. Januar feuern politische Hardliner Breitseiten gegen den Vertrag und sähen ihn am liebsten außer Kraft gesetzt. Gemeinsam mit dem Expräsidenten Joseph Estrada (1998–2001) beschwören selbst Regionalpolitiker und mächtige Geschäftsleute auf Mindanao eine Rückkehr zum »totalen Krieg« gegen die Moros und die MILF. Sie befürchten, dass eine autonome Bangsamoro-Region ihre Macht beschneiden und ihre Pfründe schmälern würde. Im Kongress und Senat machen sich Missstimmungen breit, ursprünglich angesetzte Hearings zum BBL wurden ausgesetzt, und einige Senatoren und Kongressabgeordnete haben ihre Zustimmung dazu bereits zurückgezogen. Friedens- und Bürgerrechtsorganisationen auf Mindanao sowie namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens halten dies für eine fatale Entwicklung. Die Alternative zum Vertrag mit der MILF, so betonen sie, bedeutet eine Rückkehr zu Krieg und Zerstörung.

Gemeinsam mit Präsident Aquino versuchen jetzt Feinde des Friedensvertrags, vom Kompetenzgerangel darüber, wer für das Mamasapano-Fiasko verantwortlich ist, abzulenken und den Schwarzen Peter der MILF-Führung zuzuschieben. Diese hätte die Vollstreckung eines Haftbefehls auf philippinischem Hoheitsgebiet gewaltsam blockiert und stünde in der Pflicht, das Hab und Gut (einschließlich der Feuerwaffen) der getöteten SAF-Einheiten herauszugeben. Außerdem müsse sie dafür sorgen, in von ihr kontrollierten Gebieten keinen »Terroristen« Unterschlupf zu gewähren. So wird versucht, bilateral ausgehandelte Waffenstillstandsmodalitäten zu unterlaufen, Wirkung und Ursache zu verdrehen und ein (latentes) Feindbild in dem vorwiegend christlichen Land zu reaktivieren.

Der von der einstigen Kolonialmacht Spanien ursprünglich abschätzigen Bezeichnung »Moro« verliehen Generäle der nachfolgenden US-Kolonialherren (1898–1946) eine tödliche Dimension: Für sie war nur »ein toter Moro ein guter Moro«. Eine Sichtweise, die beileibe nicht nur Expräsident Estrada teilt. Historisch mussten die Moros ungleich größeres Leid seitens der Spanier, US-Amerikaner und der verschiedenen Administrationen in Manila erdulden, als sie jemals ihren Gegnern zugefügt hatten. Erstaunlich, dass sich aktuell in den philippinischen Leit-Medien nirgends ein Hinweis auf das Massaker in und nahe der Tacbil-Moschee in Malisbong in der Provinz Sultan Kudarat befindet. Dort ermordeten Einheiten des 15. Infanteriebataillons der philippinischen Streitkräfte am 24. September 1974 über 1.700 Moros, die im Gelände der Moschee Schutz gesucht hatten. Es war dies die Zeit des Kriegsrechts und Höhepunkt des Bürgerkrieges im Süden des Landes. Ein weiterer »Kollateralschaden« könnte nun auch der Friedensvertrag vom März 2014 sein. Sofern dieser nicht schon jetzt Makulatur ist, wird er in seiner ursprünglichen Form gewiss nicht umgesetzt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Februar 2015


Zurück zur Philippinen-Seite

Zur Philippinen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage