Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Verrottetes Strafrechtssystem"

Vor fünf Jahre fielen in der südphilippinischen Provinz Maguindanao 58 Menschen - darunter 32 Medienvertreter - einem Massaker zum Opfer. Eine Verurteilung der Täter ist nicht in Sicht

Von Rainer Werning *

Welche Sorte Tier sind diese Killer? Wir sind schockiert und wütend. Das ist ein bestialischer Akt der widerwärtigsten Art, ein Affront gegen jedwede Form von Menschlichkeit.« Das war vor fünf Jahren die erste Reaktion auf das perfideste Verbrechen in der jüngeren Geschichte der Philippinen aus dem Munde der damaligen Vorsitzenden der staatlichen Menschenrechtskommission, Leila de Lima.

Als heutige Justizministerin stellte Frau de Lima erst vor wenigen Tagen in Aussicht, bis 2016, wenn die Amtszeit von Präsident Benigno S. Aquino III. endet, die Verantwortlichen des Massakers vom 23. November 2009 zur Rechenschaft gezogen und verurteilt zu haben. Sie selbst werde sich dafür einsetzen, dass das im Herbst 2010 eröffnete Verfahren im Regionalgericht von Quezon City unter der amtierenden Richterin Jocelyn Solis-Reyes fortan zügiger vonstatten geht. Einschränkend fügte Ministerin de Lima allerdings hinzu: »Die Verteidigung will über 300 Zeugen für jeden der 197 Angeklagten präsentieren. Sie können sich vorstellen, wieviel Zeit das beansprucht. Wir hoffen sehr, dass die Richterin die Lage unter Kontrolle hat und die Beweisaufnahmen nicht allzu lange dauern.«

Vorbereitetes Massaker

An jenem 23. November 2009 hatte sich in der südphilippinischen Provinz Maguindanao ein Konvoi von Anhängern des Politikers Esmael Mangudadatu auf den Weg in die Provinzhauptstadt Shariff Aguak aufgemacht. Dort sollten im Büro der staatlichen Wahlkommission fristgerecht die erforderlichen Unterlagen für seine Kandidatur als Gouverneur bei den im Mai des folgenden Jahres anstehenden Wahlen eingereicht werden. Auf dem Weg zu ihrem Fahrtziel wurden die Reisenden von über 100 Bewaffneten blockiert, aus den Wagen gezerrt, schrecklich zugerichtet und schließlich aus nächster Entfernung exekutiert. Bevor der Konvoi seine Todesfahrt begann, hatte Mangudadatu wiederholt bei den verantwortlichen Kommandeuren der Streitkräfte (AFP) und Polizei (PNP) um Personenschutz gebeten - vergeblich. Sämtliche Sicherheitskräfte in der Region inklusive paramilitärischer Bürgerwehren fühlten sich einzig einer Person loyal verbunden - Datu Ampatuan sr., in Personalunion Gouverneur, Patriarch und Chef des mächtigsten Regionalclans. Die grausame Tat war offensichtlich minutiös vorbereitet worden. Die Mörder hatten sogar Vorkehrungen getroffen, Spuren ihrer Tat schnellstmöglich zu verwischen. Ein eigens an den Tatort beförderter Bagger hatte bereits Erdlöcher freigeschaufelt, um darin den gesamten Konvoi - die Wagen nebst Leichen - zuzuschütten.

Knapp ein Jahr nach dem Verbrechen begann der Mordprozess. Insgesamt 197 Personen, darunter allein 15 Mitglieder des Ampatuan-Clans, wurde zur Last gelegt, das Massaker geplant zu haben und daran beteiligt gewesen zu sein. Zu den Hauptangeklagten zählen neben Andal Ampatuan jr. auch dessen Vater, Andal Ampatuan sr., sowie sein Bruder Zaldy Ampatuan. Ersterem wird vorgeworfen, über einhundert familieneigene Milizionäre angeführt und selbst einige Opfer erschossen zu haben. Hätte es sich bei den Verdächtigen um »Linke« gehandelt, wären die Angeklagten - bestenfalls - längst zu hohen Haftstrafen verdonnert und hinter Gittern weggesperrt worden. Oder man hätte sie im Rahmen staatlicher »Aufstandsbekämpfung« außergerichtlich hingerichtet und im Klima praktizierter Straffreiheit darauf spekuliert, dass in Mordfällen mit politischem Hintergrund ohnehin nur in 1,05 Prozent solcher Fälle Täter ermittelt, vor Gericht gestellt und rechtskräftig verurteilt werden. In seinem bereits im März 2007 veröffentlichten, knapp 200 Seiten starken Philippinen-Report kam das in Hongkong beheimate Asian Legal Resource Center (ALRC), eine Schwesterorganisation der Asiatischen Menschenrechtskommission, zu dem Verdikt, das Strafrechtssystem in den Philippinen sei »verrottet«.

Hofierte Warlords

Noch Anfang dieser Woche erklärte Rowena C. Paraan, Vositzende der Nationalen Journalistenunion der Philippinen (NUJP), auf einer Pressekonferenz: »Die Situation von Medienschaffenden, die ums Leben kommen, sind ein getreues Spiegelbild dessen, was in unserer Gesellschaft passiert. Wir sind mit einem System konfrontiert, das politische Patronage, Kriegsherrentum (warlordism) und eine Kultur der Straffreiheit nährt.« »All diese Morde geschehen«, fügte Paraan erbittert hinzu, »weil Clans wie die Ampatuans über viele Jahre hinweg von nationalen Führungspersönlichkeiten toleriert, ja ermutigt werden, die ihrerseits in Wahlkampfzeiten auf die Stimmen solcher Warlords angewiesen sind«.

Der Höhenflug des Ampatuan-Clans begann während der Ära von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001-2010), als Andal Ampatuan sr. die Gouverneurswahl in Maguindanao gewann. Seitdem benannten die Ampatuans mehrere Orte in der Provinz nach ihren Vorfahren und Kindern und zelebrierten selbstherrlich ihre Machtfülle. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2004 und den Senatswahlen im Sommer 2007 sorgten die Ampatuans als verlässlichste Regionalverbündeten von Arroyo dafür, dass deren politischem Lager jeweils ein nahezu hundertprozentiger Sieg garantiert wurde. Die Präsidentin revanchierte sich mit der im Juli 2006 unterzeichneten Exekutivorder 546. Diese gestattete fortan lokalen Beamten und Politikern, privates bewaffnetes Personal im Kampf gegen den »Terrorismus« als »Verstärkungselement« staatlicher Sicherheitskräfte einzusetzen. Mit dem Resultat, dass die Ampatuans im Zenit ihrer Macht eine Privatarmee von mehreren hundert Mann unterhielten und die in der Region stationierten AFP- und PNP-Verbände alimentierten und kontrollierten - ein gigantisches politisches Gangsterum auf Gegenseitigkeit.

Arroyo-Nachfolger Aquino hatte während seines Wahlkampfs 2010 versprochen, die zahlreichen Privatarmeen politischer Clans und Dynastien im Lande zu entwaffnen und somit Massakern wie dem vom 23. November 2009 den Nährboden zu entziehen. Nichts dergleichen geschah. Derweil entwickelte sich der Ampatuan-Prozess zu einem für die Hinterbliebenen der Opfer erniedrigenden Trauerspiel und bot den Eliten im Lande eine Kulisse zur Demonstration der Arroganz ihrer Macht. Sieben Zeugen wurden bis dato ermordet - der letzte von ihnen, Dennis Sakal, am vergangenen Dienstag (siehe Spalte). Ein wirksames Zeugenschutzprogramm existiert noch immer nicht. Je länger der Prozess dauert, umso mehr werden potentielle Zeugen zermürbt. Offene Gewalt(androhungen) gegen sie und ihre Verteidiger werden flankiert von Angeboten seitens umtriebiger Mittelsmänner der Ampatuans, für Summen von umgerechnet etwa 80.000 Euro die Anklage zurückzuziehen und zu schweigen. Darüber hinaus wird das Gericht mit Anträgen der Verteidigung bombardiert, die Richterin und Staatsanwälte wegen Befangenheit auszutauschen und die Angeklagten auf Kaution freizulassen. Erst kürzlich entbrannte selbst zwischen den Staatsanwälten und zwei privaten Anwälten der Opfer ein Streit über vermeintlich geflossene Bestechungsgelder und die künftige Verfahrensstrategie.

Als sei das nicht schon schlimm genug, mussten die Hinterbliebenen der Opfer zwischenzeitlich weitere Schmach erleiden. Etwa 90 Angeklagte sind bis heute nicht gefasst worden. 17 Angeklagte wurden Mitte Oktober gegen eine Kaution von jeweils 200.000 Peso, umgerechnet 3.450 Euro, vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Und zwei hochrangige Militärs, die eigentlich für die Sicherheit des Mangudadatu-Konvois verantwortlich gewesen wären, damals aber den angeforderten Personenschutz verweigert hatten, kamen in den Genuss einer Beförderung. Im Sommer wurde Armeeoberst Medardo Geslani zum Brigadegeneral ernannt, während sein ehemaliger Vorgesetzter, Generalmajor Alfredo Cayton, als Generalleutnant aus dem aktiven Dienst schied.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. November 2014


Bitteres Gedenken

Von Rainer Werning **

Welch ein Omen kurz vor dem fünften Jahrestag des Maguindanao-Massakers. Am Dienstag nachmittag erlag Dennis Sakal seinen Schussverletzungen, die ihm aus kurzer Entfernung zugefügt worden waren. Er befand sich gerade gemeinsam mit einem Freund per Motorrad auf dem Weg in ein Rechtsanwaltbüro, um sich als Zeuge im laufenden Mordprozess gegen Ampatuan et al. registrieren zu lassen, als er niedergestreckt wurde. Sein Freund Butch Saudagal überlebte den Anschlag mit Schussverletzungen am Arm. Offensichtlich kannten beide Opfer die Täter, da sie ihnen vor dem Anschlag noch zugewinkt hatten. Saudagal erklärte am Mittwoch, sie hätten in den vergangenen Tagen mehrfach Drohungen von Angehörigen des Ampatuan-Clans erhalten.

Gleichzeitig kritisierte der Nationale Presseclub in Manila in einer ersten Stellungnahme in scharfen Worten die Regierung: »In großer Trauer und mit tiefer Enttäuschung müssen wir festellen«, heißt es darin, »dass ein weiterer wichtiger Zeuge des grauenvollen Ampatuan-Massakers Opfer eines Anschlags wurde, der von Schergen der Angeklagten verübt wurde und den bislang schwersten Angriff auf die Pressefreiheit in unserem Land darstellt.«

»Das Justizsystem unseres Landes«, hatte Mitte Oktober der frühere Erzbischof und Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz der Philippinen, Oscar V. Cruz, erklärt, »ist krank und abscheulich. Warum? Einerseits gibt es zahlreiche ungelöste Fälle, und es werden so viele Anklagen erhoben, die dann aber wieder fallengelassen werden. Dann gibt es so grausame Fälle wie das Massaker in Maguindanao mit 58 Toten, wo sich auch fünf Jahre später nichts wirklich bewegt hat. Das ist nicht nur verspätete und vereitelte Gerechtigkeit, sondern Ungerechtigkeit per se.« Menschenrechtsorganisationen gehen einen Schritt weiter und fordern, dass sich auch die frühere Präsidentin Arroyo als eine der Hauptarchitekten der Allianz zwischen Regierung und dem Ampatuan-Clan und Nutznießerin eines solchen Deals vor Gericht verantworten müsse.

Landesweit werden am Sonntag eine Million Kerzen im Gedenken an die Opfer des Massakers entzündet und Solidaritätsveranstaltungen für deren Hinterbliebenen durchgeführt. Daran nimmt auch eine Delegation der Internationalen Journalisten-Föderation (IFJ) mit Hauptsitz in Brüssel teil. Deren Mitglieder besuchten eine Woche lang gemeinsam mit ihren Gastgebern und Kollegen der Nationalen Journalistenunion der Philippinen (NUJP) Verwandte und Bekannte der vor fünf Jahren Ermordeten. Von der Präsenz der Delegation erhofft sich die NUJP-Vorsitzende Rowena C. Paraan »wenigstens zusätzlichen Druck auf die Regierung, endlich entschieden gegen die Ermordung von Medienvertretern und Massaker wie das in Maguindanao vorzugehen«.

** Aus: junge Welt, Samstag, 22. November 2014


Zurück zur Philippinen-Seite

Zur Philippinen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage