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Vernichtungskrieg gegen Rebellen

Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung geht das philippinische Militär gegen die Rebellen auf Jolo vor (30. September 2000)

Nur der Druck aus Westeuropa auf die Regierung in Manila konnte das Militär in Zaum halten. Nach der unter libyscher Vermittlung zustande gekommenen Freilassung der europäischen Geiseln aus den Händen der Abu-Sayyaf-Bande war das Regime der Philippinen nicht mehr zu bremsen. Mit großangelegten Militäroperationen, in deren Gefolge auch Flächenbombardements durchgeführt wurden, versuchte das Regime, mit den Terroristen aufzuräumen - und traf im Wesentlichen doch nur die Zivilbevölkerung. Die beiden folgenden Artikel aus der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung schildern - in aller Zurückhaltung - die problematische Entwicklung im Süden der Philippinen und die Geisteshaltung des philippinischen Präsidenten Estrada.

Ungeachtet Zehntausender Flüchtlinge will das philippinische Militär weiter massiv gegen die Abu-Sayyaf-Banditen im Süden des Landes "vorgehen". Die Gruppe müsse vernichtet werden, "ganz egal, was es kostet", sagte Verteidigungsminister Orlando Mercado bei einem Besuch auf der Insel Jolo am Freitag. Er riet den Soldaten, die Rebellen so unnachgiebig zu verfolgen, "wie die Israelis oder Juden es mit Nazi-Kriegsverbrechern" getan hätten. Am Freitag räumte General Narciso Abaya ein, die Streitkräfte hätten nicht damit gerechnet, dass die Abu Sayyaf-Mitglieder auf die Militäroffensive mit Flucht reagieren würden. "Wir dachten, sie würden von Anfang an Widerstand leisten, aber das haben sie nie getan", sagte Abaya.

Nach einem Bericht der philippinischen Zeitung The Philippine Star hat Minister Mercado jedem Soldaten, der Lösegeld entdeckt, einen Anteil daran versprochen. Wieviel genau die Soldaten erhalten wurde nicht gemeldet. Für die Freilassung westlicher Geiseln waren in den vergangenen Wochen mehrere Millionen US-Dollar gezahlt worden. Abu Sayyaf hat noch 17 Geiseln in ihrer Gewalt.

Das Militär hob unterdessen nach Protesten unter anderem von der katholischen Kirche und Menschenrechts-Gruppen die Blockade von Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung auf Jolo auf. Auch dürften wieder Journalisten auf die Insel reisen, die die Armee seit zwei Wochen aus der Luft und mit Artillerie angreift. Bis zum Ende der Woche flohen auf Jolo und der Nachbarinsel Basilan mehr als 62 000 Menschen vor den Kämpfen. Viele von ihnen kamen in völlig überfüllten Notquartieren unter.

Der philippinische Präsident Joseph Estrada unterbreitete am Freitag der Guerillaorganisation Islamische Befreiungsfront Moro (Milf) ein Amnestie-Angebot. Mitglieder und Anhänger der Milf, die Verbrechen aus politischen Überzeugungen begingen, könnten unter bestimmten Umständen straffrei bleiben, sagte Estrada. Ein Sprecher der Rebellen lehnte das Angebot als Propaganda ab. Die Milf ist die zweitgrößte Guerillaorganisation der philippinischen Moslems im Süden des Inselstaates. Milf-Sprecher Eid Kabalu erklärte, Estradas Vorschlag sei ein Versuch, die Moslembewegung zu schwächen. "Wir werden nicht anbeißen", sagte Kabalu. Bei Aufständen in der südphilippinischen Region Mindanao sind in den vergangenen 30 Jahren mehr als 120 000 Menschen getötet wurden.
Aus: Frankfurter Rundschau, 30.09.2000

Joseph Ejercito Estrada - Kurzporträt des philippinischen Präsidenten

"Genug ist genug." Das Wort des philippinischen Präsidenten Joseph Ejercito Estrada wird wohl in die Geschichte eingehen, zumindest in die Geschichte der Philippinen. Gesprochen hat er es, um seinem Volk den massiven Militärschlag gegen die Kidnapper auf der Insel Jolo zu begründen. Und verkündet hat er es via Fernsehen aus seinem präsidialen, goldumrahmten Sessel heraus, locker im Freizeitlook gekleidet.

Typisch Estrada: der einfache Mann als entschlossener Feldherr. Genau diesem Image allerdings vermochte der Mann, der sich auch gern Erap nennt - eine Umkehrung zu "pare", in der Landessprache Tagalog so viel wie Patenonkel, Kumpel -, nicht so recht zu entsprechen, seit er im Juni 1998 das Präsidentenamt antrat. Gewählt worden war Erap als Anwalt der Armen, als Held der Unterdrückten. Schließlich hatte er diese Rolle als junger Beau in unzähligen Filmen und seichten Fernseh-Serien gespielt. Da war er eine Art Robin Hood, ein erfolgreicher Raufbold im Dienste der Gerechtigkeit, und so wollte er, obwohl er mit seinen 63 Jahren mittlerweile etwas in die Jahre gekommen und auch leicht übergewichtig ist, als Präsident auftreten.

Schlechten Willen unterstellt ihm niemand. Aber es ist halt etwas anderes, Ungerechtigkeit im Film zu rächen und die Armut in der Wirklichkeit zu bekämpfen. Sicher, Estrada fehlten auch die Mittel für griffige Programme, um den Unterpriviligierten zu helfen und die extreme Kluft zwischen Armen und Reichen zu verringern. Aber selbst ehemalige Parteigänger kritisieren heute seinen unberechenbaren Regierungsstil, seine spontanen Entscheidungen und den Mangel an politischer Kompetenz.

Niemand hat Estrada je einen überzeugenden politischen Intellekt nachgesagt. Vorgeworfen wird ihm aber, dass er nicht auf seine durchaus qualifizierte Regierung hört, sondern auf dubiose Einflüsterer, Trinkkumpane oder reiche Geschäftsleute. "Die Tragödie dieses Präsidenten ist, dass er irgendwann beschloss, allein das Land regieren zu können und selber die Lösung für jedes Problem zu kennen", sagt zum Beispiel Karina Constantino-David, die Estradas Regierung als Verantwortliche für sozialen Wohnungsbau angehörte, bevor sie enttäuscht von ihrem Amt zurücktrat. Sogar die armen Massen, die Erap, den Lebemann und Frauenheld, gewählt hatten, blieben ihm nicht treu. Seine Popularitätskurve sank steil nach unten, als die Wahlversprechungen sich als Seifenblasen erwiesen und die Hoffnungenunerfüllt blieben. Der Populist Estrada wurde zunehmend unpopulär, und in Manila wurde schon spekuliert, ob der Präsident seine sechsjährige Amtsperiode überhaupt durchstehen könne.

Da kommt Estrada nun die Geiselkrise auf Jolo gerade zu pass. Fünf Monate lang war er der Hampelmann der Kidnapper von Jolo. Jetzt schlägt er zurück wie in seinen Filmen - Erap, der Superman. Das kommt gut an. Das rettet vielleicht sogar seine Präsidentschaft. Estrada erhält eine zweite Chance, tatsächlich die Lebensumstände jener Armen zu verbessern, die den zweitklassigen Filmschauspieler zum ersten Mann im Staat gemacht hatten.
Andreas Bänziger
Aus: Süddeutsche Zeitung, 19.09.2000



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