Philippinen: Basilan, die zweite "Antiterrorfront"
660 USA–Elitesoldaten sind gegen Abu Sayyaf ins Feld gezogen
Von Rainer Werning
Wer geglaubt hatte, nach Afghanistan nähmen die USA-Streitkräfte »Schurkenregimes« wie
Irak und Somalia ins Visier, musste umdenken. Mitte Januar eröffneten die USA auf den
Philippinen die »zweite Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus«.
Auf Mindanao und in der Sulu-See, Südostasiens ältester Konfliktregion, herrscht der
Ausnahmezustand. 660 US-amerikanische GIs – darunter 160 so genannte Elitesoldaten der Green
Berets und Navy Seals – ziehen gemeinsam mit philippinischen Kompagnons in den Krieg. Dessen
vorrangiges Ziel ist es, die Abu Sayyaf-Gruppe (ASG) auf der Insel Basilan auszumerzen. Ihr werden
Verbindungen zu Osama bin Laden und dessen Al-Qaida-Netz nachgesagt. In der Sicht amerikanischer
Militärstrategen gilt die ASG als eine von zahlreichen, über ganz Südostasien verstreuten
Terrororganisationen.
Kein Grund zur Panik, es handele sich lediglich um ein routinemäßiges gemeinsames
US-amerikanisch-philippinisches Manöver namens »Balikatan« (Schulter-an-Schulter), wiegelt Angelo
Reyes ab. Der General ist im Kabinett von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo ein einflussreicher
Hardliner. Während der nur kurzen Amtszeit des Ex-Schauspielers Joseph Estrada (Juni 1998 bis
Januar 2001) war Reyes Generalstabschef und einer der Architekten des »totalen Krieges« gegen den
Moro-Widerstand im Süden. Heute ist der General Verteidigungsminister und faktisch mächtiger als
seine von Statur zierliche Präsidentin, die verfassungsgemäß gleichzeitig auch Oberbefehlshaberin der
philippinischen Streitkräfte (AFP) ist. Das Ende ihres ersten Jahres als Regierungschefin vermiesten
Gloria nicht nur landesweite Protestaktionen und Demonstranten, die ihren Rücktritt und sofortigen
Stopp der US-amerikanischen Einmischung im Süden des Landes forderten.
Ausgerechnet ein Amerikaner goss Öl ins antiamerikanische Feuer auf den Philippinen: Der aus
Kansas stammende Senator Sam Brownback, Mitglied des USA- Senatsausschusses für auswärtige
Angelegenheiten, tat öffentlich kund, nach Afghanistan konzentriere sich der »weltweite Kampf gegen
den Terror« nunmehr auf die Philippinen. Überhaupt sei Südostasien die »nächste Zufluchtstätte für
Terroristen«.
Bei ihrem ersten Staatsbesuch in den USA im November vergangenen Jahres hatte Frau Arroyo dem
Kollegen George W. Bush artig »bedingungslose Unterstützung« im Kampf gegen das »Böse«
zugesichert und Manila dadurch neben aufgestockter Wirtschafts- und Finanzhilfe eine militärische
Soforthilfe, unter anderem in Form von AC-130-Kampfhubschraubern und 30000 M-16-Gewehren,
verschafft. Gesamtwert: knapp 100 Millionen Dollar.
Wenngleich die jahrzehntelang auf den Inseln unterhaltenen USA-Militärstützpunkte Subic Naval Base
und Clark Air Field nach dem Ende des West-Ost-Konflikts an militärstrategischer Bedeutung
eingebüßt hatten, empfand man es in Washington als »unfreundlichen Akt«, dass nach einem
entsprechenden Votum im philippinischen Senat im Herbst 1992 das Sternenbanner eingeholt werden
musste und die letzten GIs aus dem Land hinauskomplimentiert worden waren.
Zwar konnte – eine bemerkenswerte Kehrtwende – durch das ebenfalls vom philippinischen Senat
später abgesegnete und am 1. Juni 1999 in Kraft getretene Visiting Forces Agreement (VFA) wieder ein
Modus vivendi gefunden werden, der USA-Truppen zu Manöverzwecken nunmehr explizit in 22
Hafenstädten willkommen hieß. Doch das VFA sieht – wie übrigens der seit August 1951 zwischen
beiden Ländern existierende Gemeinsame Verteidigungspakt und die philippinische Verfassung von
1987 – einen unmittelbaren Kampfeinsatz von USA-Truppen auf philippinischem Boden nur im Falle
einer äußeren Bedrohung beziehungsweise militärischen Invasion eines anderen Staates vor.
Nun beteuert Manila, die USA-Truppen würden nicht in Kampfhandlungen verstrickt. Sie dienten lediglich
als Berater und Ausbilder, um mit Hilfe modernen militärischen Geräts die philippinischen Streitkräfte zu
befähigen, Kampfhubschrauber mit Nachtsichtgeräten in dichtem Dschungelgebiet einzusetzen und
damit die Counterinsurgency insgesamt effektiver zu gestalten. Dafür hätten Berater genügt, die sich
ohnehin bereits seit Oktober im SouthCom, dem in Zamboanga City beheimateten Südkommando der
AFP und Schaltzentrale der langjährigen Kriegführung gegen die Moros, befinden.
Fakt ist bereits, dass unter dem Befehl von US-Brigadegeneral Donald Wurster und dem Banner des
antiterroristischen Kampfes die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern intensiviert und
der einstige USA-Luftwaffenstützpunkt Clark Air Field von US-amerikanischen Streitkräften ebenso
genutzt wird wie die Flughäfen auf Mactan (Cebu) und Zamboanga City. Alles deutet auf einen mit
aktiver USA-Unterstützung geführten »low-intensity conflict« hin, der zu größeren kriegerischen
Auseinandersetzungen eskaliert, wenn die bewaffneten Verbände der für Unabhängigkeit kämpfenden
Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) und der von der Kommunistischen Partei geführten Guerilla der
Neuen Volksarmee (NPA) angegriffen würden. Zwischen beiden Organisationen besteht seit Ende 1999
eine enge Kooperation. Beide haben seit Manilas verheerendem »totalen Krieg« in Zentralmindanao im
Sommer 2000, als sämtliche medialen Blicke auf den wochenlangen Geiselpoker auf der Insel Jolo
gerichtet waren, beträchtlich an Zulauf gewonnen. Das weiß auch Angelo Reyes. Und dennoch hat der
General bereits die NPA als nächstes Ziel gemeinsamer philippinisch-amerikanischer »Manöver«
ausgemacht.
Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2002
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