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Was kommt nach dem Geiseldrama?

Die Probleme bleiben - Der Bürgerkrieg geht weiter

In die Begeisterung über die Freilassung der Geiseln von Jolo - noch sind es nicht alle - mischte sich Ende August im blätterwald nur ausnahmsweise Nachdenken über die Zukunft der Philippinen und des dort herrschenden Bürgerkriegs. Der Kommentator in der Frankfurter Rundschau mahnt am 28.08.00: "Beim freudigen Abhaken einer halbwegs glücklich endenden Affäre darf es aber deshalb nicht bleiben, weil die Geiselnahme von Jolo auf den politischen Sprengsatz verweist, der sich im Süden der Philippinen seit Jahren jenseits öffentlichen Interesses angesammelt hat. Es wäre fast zu schön, um wahr zu sein, wenn er nicht allzu schnell wieder vergessen würde - bis zum nächsten Drama."
Und damit diese Mahnung nicht nur in den Wind geschrieben bleibt, widmet sich die FR in einem Hintergrundartikel den Problemen, die hinter der Geiselnahme stehen. Wir dokumentieren daraus wesentliche Auszüge:


Das Happy End findet nur in Göttingen statt

Die Medien rüsten sich für die Schlussrunde im Inselkrimi, aber auf den Philippinen ist kein Frieden in Sicht
Von Thomas Maron und Brigitte Spitz


... Das Drama auf Jolo trägt in der bundesrepublikanischen Wahrnehmung mittlerweile Züge eines Fernsehspiels, in dem der Zuschauer den Sieger kürt. Ungeniert wird vom Schicksal der Geiseln Besitz ergriffen, um daraus auf der Folie der Realität Legenden von Spielerfiguren zeichnen zu können. Renate Wallert, so scheint es, hat im "Inselduell" mit dem Kick tatsächlicher Lebensgefahr verloren. Ihr Mann Werner hat da bessere Karten. Sohn Marc schwebt dagegen noch immer in Lebensgefahr. Keiner fragte, ob die drei eigentlich mitspielen wollten. Umso klarer war dafür von vornherein: Die letzte Szene, zu spielen dann, wenn endlich alle Wallerts frei sind, heißt "Happy End in Göttingen".

Aber auch ein Happy End ist eine Frage der Definition. Für die Freigelassenen und ihre Angehörigen mag es am Ende stimmen. Sie kommen heim und haben, wenn der Rummel vorbei ist, die Ruhe, das Erlebte zu verarbeiten. Ihr Gefängnis im Dschungel der Südphilippinen lassen sie hinter sich. Dort aber fragen sich die Menschen: Wer wird der Nächste sein. Der Nächste, der um sein Leben bangen muss. Auf dem Sulu-Archipel, wird von dort berichtet, haben sich die Gangster der Abu Sayyaf schon wieder auf den Weg gemacht. Gewalt und Entführungen sind für sie ein lukratives Geschäft. Jetzt mehr denn je. Klingt das nach Happy End?

Schon vor der jüngsten Lösegeldzahlung, oder wie immer auch die Geldtransfers etikettiert werden, haben die Banditen in den vergangenen Wochen mit Geld nur so um sich geworfen. Nach Schätzungen aus Militärkreisen wurden allein für die Freilassung von Renate Wallert und die der ersten Malaysier rund 5,5 Millionen Dollar gezahlt. Jetzt noch einmal fünf Millionen drauf - je eine Million für Werner Wallert und die vier mit ihm freigelassenen Geiseln. Was wunder, dass sich Abu Sayyaf starken Zulaufs vor allem junger Kerle erfreut. Von etwa 200 Mitgliedern ist nach Schätzungen der Behörden die Zahl auf inzwischen fast 2000 angeschwollen. 24 Dollar, mehr als 50 Mark, Lohn am Tag als Späher und Wache, das ist in der armen Region ein kleines Vermögen. Und den Guerilla-Helden können sie auch noch spielen: junge Kerle mit ihren Milchbärten und Waffen. Lächerlich, wären sie nicht so unberechenbar.

Moslem-Rebellen, so werden sie in den Nachrichten über das Geiseldrama meist genannt. Die Terrorbande Abu Sayyaf ist nur eine Splittergruppe der vielen islamischen Widerstandsbewegungen, die für eine Autonomie der südlichen Philippinen von der Zentralregierung in Manila kämpften und kämpfen. Doch im Gegensatz etwa zur Moro Islamic Liberation Front (Milf) hat die Abu Sayyaf nach Einschätzung von politischen Beobachtern keinen ideologischen Unterbau und kein politisches Konzept. Das "Schwert Gottes", so die Übersetzung des Bandennamens, kämpft vor allem für die eigene Tasche.

Und das mit großer Brutalität. Die Bande, die sich Ende der 80er Jahre formierte, hat immer wieder Dörfer überfallen, Christen niedergemetzelt, chinesisch-stämmige Geschäftsleute gekidnappt und gegen Zahlung von "Kost und Logis" wieder freigelassen. Schmutzige Geschäfte diese Art werden schon seit Jahren gemacht. Und es gibt inzwischen deutliche Hinweise darauf, dass Anfang der 90er Jahre das philippinische Militär und der Geheimdienst, deren Vorgesetzte in der Regierung jetzt markige Worte über die "Rebellen" verbreiten, in die Aktivitäten der Abu Sayyaf verwickelt gewesen sind.

Das philippinische Gesetzbuch ahndet "gewöhnliche" Geiselnahmen mit der Todesstrafe, sieht aber für politisch motivierte Taten nur Haft vor. Schon deshalb beharrt ein Teil der Abu-Sayyaf-Leute auf politischen Forderungen, etwa dem Verbot des industriellen Fischfangs zum Schutz der örtlichen Fischer und mehr Autonomie für die südlichen Landesteile. Das macht sich besser in der Weltöffentlichkeit und sichert Sympathien der moslemischen Bevölkerung.

Das internationale Interesse - weil diesmal Touristen aus dem Westen entführt wurden - versuchten sowohl die Kidnapper als auch die Regierung zu instrumentalisieren. Die Banditen ließen sich von den Berichterstattern für die Bilder ihrer Opfer bezahlen. Die große Resonanz, heißt es auf den Philippinen, hat zudem die Preise für Freilassungen hochgetrieben.

Die Zentralregierung in Manila konnte wiederum - pars pro toto - sämtliche Rebellengruppen als kriminelle Haufen brandmarken. Ganz so, als hätten die Forderungen der Moro, wie die Moslems in dem überwiegend katholischen Land genannt werden, keinen politischen und sozialen Hintergrund. Dabei waren und sind die Vergehen der Regierungen massiv.

Schon während der spanischen Kolonialzeit widersetzten sich islamische Fürstentümer der Zugehörigkeit zum von der katholischen Kirche geprägten Staatswesen. Die Situation verschärfte sich, als in den 50er und 60er Jahren dieses Jahrhunderts von der (inzwischen unabhängigen) Zentralregierung massiv christliche Siedler in den Süden verfrachtet wurden. Vor allem unter Diktator Ferdinand Marcos (1964-1986) wurden die Moro auf Mindanao und dem Sulu-Archipel politisch und wirtschaftlich marginalisiert. Auf Jolo mit seinen 400 000 Einwohnern gibt es heute gerade mal zwei Banken. Außerhalb der Inselhauptstadt existiert kein Geld; fließendes Wasser und Strom sind eine Seltenheit. Die Moro, die vor 50 Jahren etwa 85 Prozent der Bevölkerung des Sulu-Archipels gestellt hatten, sind dort mit 25 Prozent zur Minderheit im eigenen Land geworden, berichtet die Gesellschaft für bedrohte Völker.

Ende der 60er Jahre organsierte sich der Widerstand der Moslems im Süden der Philippinen. Aus dieser Zeit stammen auch die Kontakte nach Libyen. Das Regime von Muammar el-Ghaddafi, das sich jetzt als Geisel-Retter präsentiert, bildete Moro-Rebellen aus und unterstützt(e) die Widerstandsbewegung mit Geld.

Der Konflikt im Süden der Philippinen hat in den vergangenen 40 Jahren schätzungsweise 120 000 Menschen das Leben gekostet. Es gab auch einige Friedensschlüsse, von denen nur der mit der ehemals größten Separatistengruppe MNLF seit 1996 einigermaßen hält. Andere kämpfen weiter um Unabhängigkeit. Das Unrecht gegenüber der moslemischen Minderheit hatte Revolutionäre rekrutiert. Nicht alle behielten das politische Ziel im Blick.

Die nächsten Geiseln sind jetzt frei, und auch der Rest kann hoffen. Wohl bald wird sie vorbei sein, die Zeit der "stillen Post" aus dem Dschungel mit Meldungen über Freilassungen und Dementis, mit Gerüchten über Lösegeldsummen und schwarze Taschen. Doch der Süden der Philippinen ist weit entfernt von einem Happy End. Präsident Estrada, dessen Popularität seit seiner Wahl massiv abgenommen hat, wird wieder zum Anti-Guerilla-Kampf gegen sämtliche Rebellen aufrufen. Die Hatz war ohnehin nur auf Jolo unterbrochen worden, weil die westlichen Regierungen um das Leben der Geiseln gefürchtet hatten. Parallel zum Kidnapping hatte die Regierung auf Mindanao eine Offensive gegen die Milf-Rebellen gestartet, die wiederum mit der Ausrufung eines "heiligen Krieges" reagierten. Dort sind rund 200 000 Menschen auf der Flucht. Und die Abu-Sayyaf-Bande konnte sich jetzt dank der Lösegeld-Zahlungen bis unters Kinn bewaffnen. Das klingt nach Gewalt, nicht nach einem glücklichen Ende.
Aus: Frankfurter Rundschau, 28.08.2000 (gekürzt)

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